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av@ar von Manfred Borsch

 ©av@ar von Manfred Borsch, interaktive Installation mit Gestenerkennung

Wir stellen die Diplomarbeit von Manfred Borsch, videograph, mit dem Titel „av@ar“ vor. Sie entstand am Institut Für Musik Und Medien. Herr Borsch hat nach der ersten Sicht freundlicherweise in einem online Interview Hintergrundfragen beantwortet. Mit diesem Wissen steigt der Genuss am Werk. es ist poetisch und hintergründig. Hintergründig weil die Interaktion sowohl aktiv als auch inhaltlich erarbeitet wird. Wer nicht genau hinschaut kann die Tiefe des Werks übersehen. Und das wäre schade.

UD: „Wie wird die Gestenerkennung gemacht? Haben sie Kinects eingesetzt? Wird Mimik abgenommen? Wenn ja, wie haben sie das technisch gelöst?“

MB: Die Gestenerkennung ist wie von Ihnen richtig vermutet mit einer Kinect, OpenNI mit NITE Middleware und der Programmierungsumgebung Max/MSP/Jiitter realisiert worden. Die Mimik wird nicht durch die Kamera aufgenommen, trägt jedoch thematisch zum geschlossenen Kreislauf der Installation bei.
Als Avatar wurde ein Mensch (und eben nicht eine digitale Form, wie beispielsweise eine Pixelansammlungen) gewählt, da durch Spiegelneuronen die Bindung zwischen BesucherIn und Abbild erhöht wird. Hierzu zählt auch das (teils unbewusste) Nachahmen von Emotionen mit der Gesichtsmuskulatur. Da alle Auswirkungen des Handelns in der Installation erforscht werden sollen, es also keine Spielanleitung o.ä. gibt, ist den InterakteurInnen zu Beginn nicht bekannt, ob sie auch mit ihrer Mimik einen Einfluss auf das Geschehen haben.
Diese Abhängigkeiten können im geschlossenen Kreislauf erkundet werden, was sich auf die Wechselseitigkeit von Körper (Interface) und Emotionen (audiovisuelle Reaktionen) gründet.
Bekannt ist die Richtung, dass Emotionen erlebt werden und sich daraufhin das Körperliche verändert, beispielsweise in der Gesichtsmuskulatur, die sich zu einem Lachen hin verzieht. Dies beschreibt beispielsweise Paul Ekman mit dem Facial Action Coding System. Andersherum zeigt die Kognitionswissenschaft im Forschungszweig Embodiment, dass Gefühle auch nach der körperlichen Regung erzeugt werden können. Ein bekanntest Beispiel hierzu ist der quer in den Mund genommene Bleistift, der zur Anspannung von Muskeln im Gesicht führt, die eigentlich zum Lächeln benutzt werden. Forschungen haben ergeben, dass ein solcher, emotional unbewusster, äußerer Einfluss zu deutlich positiveren Bewertungen von Situationen führt, als bei der neutralen Vergleichsgruppe.

 ©av@ar von Manfred Borsch, interaktive Installation mit Gestenerkennung 

Generell steht in der Installation die Frage der Kontrolle, der Auswirkung, im Mittelpunkt. Was kann ich direkt kontrollieren? Wo erlebe ich Kontrollverlust? (zufällige Fehler zur Kontrollminderung sind vorhanden.) Und in wieweit werde ich kontrolliert/geleitet, also wonach richte ich mein Handeln aus. Diese durch die Überlagerung der Rezeptions- und Handlungsebene sehr individuelle Erfahrung kann zur Reflexion über eigene Handlungsziele führen. Beispielsweise kann ich erlernte Körperhaltungen wiederholen, um dem umherstehenden Publikum zu zeigen, dass ich Kontrolle ausübe, ich kann mich auf die Suche nach neuen Bildern und Tönen machen, ich kann die Synchronität der Bilder und der Musik in den Mittelpunkt stellen (VJing) oder mich zu der Musik bewegen, die ich durch meine Bewegung selber schaffe.

UD: Wie viele Reaktionen des medialen Ichs wurden vorproduziert?

MB: Es gibt 16 Einzelemotionen, die in vier Gruppen, den sogenannten Basisemotionen unterteilt sind. Mehr dazu unten… 🙂
Mit dem Überbegriff der Basisemotion versehen, werden die Emotionen wie folgt gruppiert:
Angst, Neid, Scham, Trauer: negative Emotion, passives Verhalten
Freude, Bewunderung, Stolz, Glück: positive Emotion, aktives Verhalten
Liebe, Mitleid, Dankbarkeit, Hoffnung: positive Emotion, passives Verhalten
Hass, Verachtung, Ärger, Verzweiflung: negative Emotion, aktives Verhalten.

 ©av@ar von Manfred Borsch, interaktive Installation mit Gestenerkennung 

UD: Gibt es eine Relation zwischen den Einstellungsgrössen und den Besucheraktivitäten. Wann wird eine Detail oder Gross Einstellung genommen wann Halbtotale oder Totale?

MB: Es gibt eine mögliche Raum- und eine Körpererfahrung.
Der Raum kann in seiner Tiefe (Abstand der AkteurInnen zur Leinwand) erforscht werden, worauf sich die mediale Reflexion nach der Proxemik (E.T. Hall) in vier Stufen anpasst. Dies ist eingeteilt in die öffentliche Distanz (> 3m), gesellschaftlich-wirtschaftliche Distanz (1,5-3m), persönliche Distanz (0,5-1,5m) und die intime Distanz (< 0,5m) und wird so auch visuell Abgebildet (tief im Raum, als Spiegelsituation, Portraitdarstellung und Detailaufnahme. Je kleiner der Abstand, desto dezenter die dargestellte Emotion). Der Raum kann auch im Volumen erfahren werden, ausschlaggebend hierfür ist die durchschnittliche Höhe beider Hände. Hier können die vier Basisemotionen angesprochen werden. (Bsp.: Befinden sich beide Hände über der Kopfhöhe, wird die Basisemotion Angst angesprochen. Befindet sich der Akteur sehr nah vor der Leinwand, erscheint die Detailaufnahme – intime Distanz – des sich aufreißenden Auges). So ist der Raum mit vier Basisemtionen komplett abgedeckt.
Darüber hinaus können die weiteren 12 (Sekundär-)Emotionen durch bestimmte Körperhaltungen angetriggert werden. Hierbei muss erforscht werden, welche Körperhaltung zu welcher audiovisuellen Reaktion führt. (Bsp.: Beide Hände auf die Hüften gestützt, Oberkörper aufrecht -> Emotion Stolz). Auch diese Sekundäremotionen sind auf den vier verschiedenen Distanzebenen darstellbar, sodass es insgesamt (16×4) 64 vorproduzierte visuelle Reaktionen gibt.

©av@ar von Manfred Borsch, interaktive Installation mit Gestenerkennung

UD: Reagiert die Musik auch?

MB: Die Musik reagiert ebenso auf das Handeln der AkteurInnen, entzieht sich jedoch zum Teil durch Statistiken. Die Komposition unterteilt sich in vier Ebenen, die stets zusammen erklingen, und sich auf die vier deutschen Begriffe zur Emotion gründen. (Affekt, Gefühl, Emotion und Stimmung: je kürzer die Emotion, desto Objektbezogener. Ein Affekt (sehr kurz) ist somit sehr objektbezogen.) Die oberste musikalische Ebene (Affekt-Ebene) ist direkt an das Bild gekoppelt und kann zu jedem Zeitpunkt angespielt werden. Sie verton sehr genau alle 64 dargestellten Bilder.  Die darunter liegende Gefühlsebene ist doppelt so lang (zwei Takte), berechnet sich aus dem Durchschnitt der zuvor angetriggerten Affekten und stellt die 16 Emotionen dar. Ebene drei (Emotionsebene) ist wiederum länger (vier Takte), wird aus dem Durchschnitt der angespielten Affekten berechnet und vertont die vier Emotionsgruppen (s.o.). Die längste Ebene (Stimmungsebene) unterscheidet nur noch zwischen positiv-annähernd und negativ-ablehnend (der emotionalen Grundtendenzen Neugeborener nach) und ergibt sich aus den Handlungen der letzten acht Takten (ca. 26 Sekunden).
Die musikalische Komposition (Tonart, Rhythmus, Melodie,..) bezieht sich hierbei auf die Affektenlehre des Barock, ein Regelwerk, dass sehr klare Vorgaben zur Vertonung von Emotionen vorsah, sich also sehr gut in den Grundcharakter der Installation einfügt, in der etwas sehr Menschliches wie Emotionen radikal in Gruppen einsortiert, systematisiert und damit abrufbar gemacht wird.

Ich bedanke mich für die inhaltsvollen und Erkenntnis unterstützenden Antworten!

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