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Hanna Haaslathi „Captured“, ZKM Karlsruhe

Hanna Haaslathi, eine in der Medienkunstszene zukunftsträchtige Künstlerin, präsentiert derzeit ihre Installation „Captured“ im Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe. Haaslathi, geboren im Jahr 1990, hat sich durch ihre interdisziplinäre Herangehensweise an Medien, Technologie und Wahrnehmung als Stimme der zeitgenössischen Kunst etabliert. Sie kombinierte in ihrer Ausbildung an renommierten Institutionen wie der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und der Akademie der Bildenden Künste in München verschiedene künstlerische Ausdrucksformen mit einem Fokus auf digitale Medien, Performance und Installation.

„Captured“ ist ein multidimensionales Werk, das die Beziehung zwischen Mensch und Technologie in den Mittelpunkt stellt. In einer Ära, in der der Mensch zunehmend von digitalen Medien und Technologien durchdrungen wird, thematisiert Haaslathi die Konzepte der Überwachung, des persönlichen Raums und der digitalen Identität. Die Installation besteht aus einer Vielzahl von interaktiven Elementen.

Die BesucherInnen lassen sich von einer Kamera filmen, das Konterfei wird in einen Avatar übersetzt. Der trägt einen Ganzkörperanzug in verschiedenen Farben. Die Farben geben Auskunft zum Team, indem der Avatar später auf der Stage, einer grossen Projektion auftritt. Aber erst wird der Avatar gedreht, betrachtet und dann durch einen weissen Schattenriss in die Szenerie gekippt. Angekommen finden sich die Avatare auf einem Kampffeld wieder. Ehe man sich versieht wird zugeschlagen. Entweder holt der eigene Avatar kräfig aus, schlägt vielleicht in die Luft, aber auch zieht Anderen einen über. Es wird getreten, geprügelt und verletzt. Avatare finden sich stehend, gehend, kniend auf allen Vieren, liegend im Spielfeld.

„Captured“ von Hanna Haaslahti, mein Konterfei ist bereit aufs Spielfeld zu gehen.

Diese Technologie nutzt Sensoren und KI-Algorithmen, um individuelle Bewegungen und Interaktionen zu analysieren und visuell sowie akustisch zu übersetzen. Die Künstlerin spielt dabei mit der Idee der „Datenkonstruktion“ – wie unsere digitalen Spuren und Interaktionen nicht nur unsere Identität formen, sondern auch das Verständnis von uns selbst in der digitalen Welt verändern.

Ein zentrales Anliegen von Haaslathi in „Captured“ ist die Reflexion über das, was es bedeutet, in einem überwachten Zeitalter zu leben. Die Installation stellt provokante Fragen zur Privatsphäre und zur Konsensualität in der Nutzung von Daten – Fragen, die in der zeitgenössischen Debatte über digitale Rechte und Ethik von großer Bedeutung sind. Denn wenn mein Avatar andere schlägt und in die Knie zwingt, fertig macht und prügelt, dann denke ich, dass ich die besseren Argumente habe. Auch wenn es Körperliche sind.

Es geht nicht um Recht, um Copyrights, um Umgangsformen. Es geht darum, sich deutlich zu machen. Einige Menschen greifen zu drastischen Formen, schreiben hasserfüllte Tiraden, drohen und fühlen sich in der digitalen Anonymität ziemlich gut und sicher. Da kann man sich zum Monster entwickeln. Belangt werden können diese Monster, aber kann man bei der Fülle überhaupt noch strafrechtlich dagegen angehen und verfolgen? Wohl eher nicht. Es ist ein wilder Westen. Und so verhalten sich die Avatare auch. Meiner auch.

Wenn Geist und Argumente nicht mehr wirksam eine Meinung vertreten, dann greife zu drastischen Massnahmen. Schlagen, Prügeln, Verunglimpfen, Fertig machen, solange bis der Andere am Boden liegt und erledigt ist.

Die Installation „Captured“ von Hanna Haaslahti wird im Rahmen der Ausstellung „The Story That Never Ends. Die Sammlung des ZKM“ im ZKM Karlsruhe gezeigt. Diese Ausstellung wurde am 4. April 2025 eröffnet und läuft voraussichtlich bis zum 20. September 2026.

„The Story That Never Ends“ präsentiert eine umfangreiche Auswahl aus der bedeutenden Sammlung des ZKM, die Werke von den 1950er-Jahren bis heute umfasst. Die Ausstellung legt besonderes Augenmerk auf die Verknüpfung von Kunst und Technologie sowie die Herausforderungen der Erhaltung und Präsentation medienbasierter Kunstwerke.

Beitrag von Ursula Drees. Alle Photos wurden vor Ort von mir mit einen Iphone 12 gemacht.

Paul Garrin: Yuppie Ghetto with Watchdog, 1989-1990

Es geht um Überwachung, Interaktivität und urbane Grenzen

Foto von Ursula Drees. Yuppie Ghetto with Watchdog von Paul Garrin ist derzeit Teil der Ausstellung „The Story That Never Ends. Die Sammlung des ZKM“ im ZKM | Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe.

Paul Garrins Installation Yuppie Ghetto with Watchdog (1989/90) ist ein paradigmatisches Beispiel seiner frühen Arbeiten, in denen Medien, Technologie und soziale Strukturen untrennbar miteinander verknüpft werden. Die Ästhetik kommt uns heute sehr alt und rudimentär vor. Keine eleganten Animationen im Hintergrund, der bellende Schäferhund in schlechter Bildauflösung. Die Grösse des Vieos kommt uns winzig vor. Das interaktive Feedback ist nicht sekundengenau. Es gibt noch mehr, aber so war es in den 1990iger Jahren. Damals war die Technik brandneu und die Installation zeige alles was Interaktivität und Multimedialität angeht.

Die Installation inszeniert einen komplexen Raum der Sichtbarkeit: Auf einer Videoprojektion wird eine urbane Cocktailparty der sogenannten „Yuppies“ gezeigt, während im Hintergrund Szenen von Unruhen und urbaner Gewalt sichtbar bleiben. Die projizierten Bilder werden durch einen physischen Zaun mit Stacheldraht vom Publikumsraum getrennt, vor dem ein Monitor mit der Darstellung eines Wachhundes positioniert ist.

Eine Videokamera überwacht den Raum, und sobald ein Besucher dem Zaun zu nahe kommt, reagiert der Hund – knurrt, bellt, animiert durch die Bewegung der Betrachter:innen. Er wird immer wilder, der deutsche Schäfterhund.

Foto von Ursula Drees. Yuppie Ghetto with Watchdog von Paul Garrin ist derzeit Teil der Ausstellung „The Story That Never Ends. Die Sammlung des ZKM“ im ZKM | Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe.

Die räumliche Trennung durch den Zaun markiert eine soziale Grenze. Die Partygesellschaft im Bildraum ist geschützt, isoliert und privilegiert, während der Betrachter sich außerhalb befindet – in der Position des Eindringlings. Sogar des Asozialen.

Ich habe Paul Garrin kurz nachdem er das Werk vollendete kennen gelernt. Ich war an der UDK und studierte bei Valie Export. Sie lud ihn zum Künstlergespräch ein, er kam. Er sagte damals, dass er sich von den Dimensionen und dem Aussehen der Villa Hügel in Essen hat inspirieren lassen. Das war erstaunlich. Er als Amerikaner? Aber beinäherer Betrachtung doch eine kluge Wahl. Denn die Villa wurde zwischen 1869 und 1873 von Alfred Krupp, dem damaligen Chef des Stahlkonzerns Fried. Krupp erbaut. Sie diente sie als repräsentativer Wohnsitz für die Familie Krupp und als Symbol für den wirtschaftlichen Aufstieg des Unternehmens. Es ist ein Schloss mit einem sehr grossen Garten. Ein imposantes Gebäude, das jedem Fürsten und König gefallen würde.

Während des Zweiten Weltkriegs spielte die Krupp-Firma eine zentrale Rolle in der deutschen Rüstungsindustrie. Unter der Leitung von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, dem Enkel von Alfred Krupp, produzierte das Unternehmen Waffen, Munition und andere Kriegsgeräte für das nationalsozialistische Regime. Alfried Krupp trat 1938 der NSDAP bei und war Fördermitglied der SS. Nach dem Krieg wurde er in den Nürnberger Prozessen wegen Verbrechen im Zusammenhang mit Zwangsarbeit zu zwölf Jahren Haft verurteilt, jedoch 1951 begnadigt und konnte sein Unternehmen wieder übernehmen.

Die Villa Hügel selbst war während des Krieges nicht nur Wohnsitz der Familie, sondern auch ein Ort für gesellschaftliche Ereignisse und politische Treffen. Wenn man diese Geschichte bedenkt, hat Paul GArrin einen guten Ort als imaginäe Vorlage für sein Werk gewählt.

Paul Garrin (1957, Philadelphia) gehört zu den bedeutenden Vertreter:innen einer Generation von Medienkünstler:innen, die den Übergang von der analogen Videokunst zur digitalen Netzwerkkultur aktiv reflektiert und gestaltet haben. Nach seiner Ausbildung an der Pennsylvania Academy of the Fine Arts und der Cooper Union School of Art in New York – wo er bei Hans Haacke und Vito Acconci studierte – arbeitete Garrin ab 1981 eng mit Nam June Paik zusammen. Diese Zusammenarbeit prägte sein Verständnis von Medien als erweiterbare, intervenierende Systeme, die nicht nur Repräsentation, sondern soziale und politische Handlung sind.

Foto von Ursula Drees. Yuppie Ghetto with Watchdog von Paul Garrin ist derzeit Teil der Ausstellung „The Story That Never Ends. Die Sammlung des ZKM“ im ZKM | Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe.

Bereits in den 1980er Jahren nutzt Garrin das Medium Video als Instrument einer visuellen Gegenöffentlichkeit. Seine Dokumentation des Tompkins Square Park Riot (1988), bekannt geworden unter dem Titel Man with a Video Camera, steht exemplarisch für seine künstlerische Praxis. Sichtbarkeit wird als politische Ressource verstanden.

In der Tradition Foucaults lässt sich Garrins Arbeit als eine Intervention in die „Ökonomie der Sichtbarkeit“ verstehen: Das Machtgefüge zwischen Beobachtenden und Beobachteten wird umgekehrt. Die Kamera wird zum Werkzeug der Subjektivierung gegenüber institutioneller Kontrolle. Garrins Blick ist dabei weniger ästhetisch als epistemologisch – er fragt, welche Wahrheit das Bild produziert und wem sie dient.

In seinen späteren Arbeiten, etwa White Devil (1992–93) oder Border Patrol (1995–97), verschiebt Garrin seine Untersuchung vom dokumentarischen zum interaktiven Raum. Hier artikuliert sich eine Nähe zu Gilles Deleuzes Konzept der „Kontrollgesellschaft“.

Die Zuschauer:innen werden zu Teilnehmer:innen, deren Verhalten selbst zum Material der Arbeit wird – eine Ästhetik der Kontrolle. Garrins Kunst stellt ein Modell für das dar, was Deleuze als „ununterbrochene Modulation“ beschreibt: Macht als algorithmische Dynamik, die nicht mehr durch Zwang, sondern durch Teilhabe wirkt.

Die internationale Rezeption seiner Arbeiten – etwa durch das ZKM | Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe, die Biennale von Lyon oder den Prix Ars Electronica – verdeutlicht, dass Garrin eine zentrale Position im Diskurs über Kunst, Macht und Medientechnologie einnimmt. Seine Praxis verbindet politische Theorie und technologische Reflexion zu einem ästhetischen Feld, in dem Foucaults Machtanalytik, Deleuzes Kontrollgesellschaft und Manovichs Softwarekultur konkret aufeinander treffen.

Beitrag von Ursula Drees

Hito Steyerl: Power Plants

Hito Steyerl ist Künstlerin, Kuratorin und Theoretikerin. Sie arbeitet hauptsächlich mit Video, Installation und digitalen Medien. Ihr Fokus liegt auf den Themen Digitalisierung, Informationsflut, Medienkritik und die politischen sowie gesellschaftlichen Auswirkungen moderner Technologie. Steyerl analysiert, wie Bilder, Daten und Bilderfluten unsere Wahrnehmung und Wirklichkeit beeinflussen. Ihre Arbeiten verbinden Kunst, Theorie und kritische Gesellschaftsanalyse und sind international anerkannt.

„Power Plants“ ist ist schon etwas älter, aus dem Jahr 2014. Es handelt sich um eine interaktive, video-basierte Mehrkanalinstallation. Die Blumen und Pflanzen wurden durch KI erzeugt. Bei der Ausstellung aus dem Jahr 2019 mit dem Titel „I will survive“ ist die Installation mit dem Garten des Geländes verbunden. Die 18 LED Screens alle unterschiedlich gross,  auf denen die Pflanzen und Blumen generierten Animationen laufen, befinden sich auf Gerüststrukturen. 18 LED Textmodule geben Informationen zu den Pflanzen.  Jede Monitor-Text-Einheit ist eine „Power Plant“-Videoskulptur. Es soll ein virtueller Garten entstehen.

Diese Arbeit war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sehr zeitgemäß. In den Jahren 2018 bis ungefähr 2022 wurde KI in der Kunst populär. Die Grenzen zwischen Technologie und Kunst verschwammen. Es wurden reine Technikexperimente plötzlich zu Kunst erhoben. Wir denken zum Beispiel an „Edmond de Belamy“. Immer wieder hiess es: KI kann auch Kunst. Mittlerweile hat sich die Kunstwelt besonnen. KI wird mehr und mehr zu umsetzenden Werkzeug, aber eigenständige Kreativität wird nicht mehr attestiert. Der Mensch, der Künstler erobert seine Domäne des emotionalen, assoziativen, nicht logisch Nachvollziehbaren, des Intuitiven, des kontextuellen Verbindens und Schaffens zurück. Die Faszination KI in der Technischen Kunst ist abgeflaut. Gott Lob.

Diese Arbeit liegt genau in der Zeit der Klärung: Was ist Kunst und was kann Technik in der Kunst. Refik Anatol hat mit Machine Hallunizinations einen ähnlichen Wurf geschafft. Dann aber wurde das Ganze kommerzialisiert. Wir denken an Monets Garten. Es entstanden eine Vielzahl ähnlicher immersiver Experience Spaces. Sie haben nichts mit Kunst zu tun. Es sind Inszenierungen, die einem ungebildeten Spektakel-Publikum Kunst auf eine technisch nur erdenkliche Weise näher bringt.

„Power Plants“ jedoch zeigt zwar grosse Anteile von KI erstellte Animationen, aber die Kombination Text mit Scheininformationen aus der Biologie ergeben eine tiefere Ebene. Das wird durch den Installationsaufbau unterstützt. Die Power Plants: LED Screen und Textmodul, sind auf dem Riggingsystem aufgehängt und ergeben ein kühles und mit Natur wenig verbundenes Arrangement. Zwar haben die bunten Animationen einen wunderbar hypnotischen Effekt, aber sie bleiben hohl und nur schön anzusehen. Grelle Farben, stete Veränderung, wer mag da nicht hinstarren.

Die neueren Werke werden präziser. Sie setzen sich mit den aktuellen Herausforderungen auseinander, die durch soziale Medien, Überwachung, globale Konflikte und Umweltzerstörung entstehen. Im Mittelpunkt steht die Frage: „Was bedeutet die Zukunft in einer Welt, die von digitalen Technologien, Datenfluten und globalen Machtkämpfen geprägt ist?“ Steyerl analysiert kritisch, wie Bilder und Daten unsere Wahrnehmung verändern und welche gesellschaftlichen Folgen daraus entstehen.

Deshalb ist auch „Power Plants“ eine Arbeit, die gesehen werden darf.

Beitrag von Ursula Drees. Die Photos wurden mit dem Iphone in der Stuttgarter Staatsgalerie gemacht.

Nathalie Djurberg & Hans Berg: Damaged Goods, 2019; 6:28 min

Staatsgalerie Stuttgart: in der Ausstellung „This is Tomorrow“

Nathalie Djurberg wurde 1978 in Lund, Schweden, geboren und studierte an der Konstfack in Stockholm. Sie ist bekannt für ihre Animationskunst, Video-Installationen und skulpturale Arbeiten, wobei sie häufig die Stop-Motion-Technik benutzt, um surrealistische und oft groteske Themen zu erforschen. Hans Berg, ebenfalls 1978 in Schweden geboren, absolvierte sein Musikstudium an der Universität Göteborg. Er ist vor allem als elektronischer Musiker und Sound-Designer bekannt und arbeitet in der Regel als Komponist für Djurbergs Werke.

Das Künstlerduo arbeitet seit den frühen 2000er Jahren zusammen und verbindet Djurbergs visuelle, gesellschaftskritische und psychologisch tiefgründige Animationskunst mit Bergs innovativer Musik. Ihre Zusammenarbeit ist geprägt von surrealen, dunklen, teils humorvollen Themen, die gesellschaftliche, sexuelle und psychologische Aspekte beleuchten. Ihre Werke wurden in zahlreichen internationalen Institutionen und Kunstfestivals gezeigt, darunter das Museum of Modern Art (MoMA) in New York, das Centre Pompidou in Paris und bei der großen Kunstschau documenta.

In „Damaged Goods“ gräbt eine weibliche Anthropoide in einer Kiste und entnimmt Körperteile, die sie an sich selbst anbringt und entfernt, ähnlich wie bei einem Frankenstein’schen Verkleidungsspiel. Anthropoide“ bezieht sich allgemein auf menschenähnliche Wesen oder Lebewesen, die menschliche Merkmale aufweisen. Der Begriff wird oft in der Anthropologie und Biologie verwendet, um Primaten zu beschreiben, die Ähnlichkeiten mit Menschen haben, wie etwa Affen. In einem künstlerischen oder literarischen Kontext kann „anthropoide“ auch verwendet werden, um fiktionale oder metaphorische Figuren zu beschreiben, die menschliche Ähnlichkeiten aufweisen.

Sie näht, schneidet, klebt und tauscht aus. Sie spielt mit groteskem Fantasiespiel. Sie versucht, die perfekte Form zu finden, probiert einen Affenhintern, einen Schwanz, einen Schnabel und Arme, die zu Beinen werden. Das Ergebnis ist eine fast menschliche Frau. Sie liegt verführerisch auf dem Bauch. Sie glitzert und wackelt mit den Zehen. Sie erinnert an Madonna im Musikvideo „Express Yourself“. Sie wirkt gleichzeitig wild und gefangen. Das Werk beschwört eine Atmosphäre des Unruhe. Es ist wie eine bizarre Verwandlung. Es weckt Fragen nach Identität und Selbstbild.

Wenn wir von Madonna sprechen: Madonna hat im Laufe der Jahre verschiedenste Schönheitsideale dargestellt. Von jugendlicher Frische bis zu einem reiferen, kontrollierten Erscheinungsbild hat sie sich an Schönheitsnormen angepasst und vielleicht auch neue Normen gesetzt. Sie hat Gesicht und Körper durch plastische Eingriffe, Make-up und Styling immer wieder neu inszeniert. Sie ist an und für sich zu einer nicht wiedererkennbaren Kunstfigur geworden. So auch Prominente wie Kim Kardashian oder auch Lauren Sanchez, die neue Frau von Jeff Bezos. Diese Menschen dürfen als Vorlage für Damaged Goods verstanden werden. „Ich bin ich, aber ich will nicht so aussehen, wie ich bin. Ich will aussehen, wie die Medienlandschaft das Ideal von Schönheit definiert. Auch wenn ich 50 oder 60 oder 70 Jahre alt bin, darf ich keine Falten haben, meine Lippen müssen dick und voll sein, die Mundwinkel nach oben weisen, ich habe ein schmales Kinn, keine Falten oder hängende Gesichtes- oder Körperteile. Meine Arme sind muskulös und schlank, die Taille schmal und frühweiblich. Cellulitis, Krähenfüsse, eingefallene Wangen, Doppelkinn, Altersflecken auf der Haut, gelbe Zähne, trockene Haut, brüchige, ergraute Haare, Krampfadern, Wasser in den Beinen, schlechtes Bindegewebe, unerwünschte Fettpolster, steifer Gang und weniger Muskeln… all das darf nicht sein.

In „Damaged Goods“ werden diese Formen menschlicher Machtstrukturen angesprochen. Es wird über die Manipulation und Neuarrangierung von Körperteilen gesprochen und zeigen die Kontrolle über Selbstbild und Identität. Es geht darum, wie gesellschaftliche Vorgaben und Schönheitsideale den Körper formen und deformieren. Die grotesken Verwandlungen spiegeln gesellschaftlichen Druck wider, sich anzupassen. Technische Eingriffe werden als Machtinstrument sichtbar. Sie deformieren, permutieren und verändern den menschlichen Körper. Das Spiel mit den Körperteilen zeigt auch eine Form der Selbstermächtigung. Der Mensch versucht, durch groteske Körpermodelle Kontrolle über sich selbst zu gewinnen. Insgesamt hinterfragt das Werk die Grenzen menschlicher Selbstbestimmung. Es thematisiert die Macht, die auf den Körper, die Identität und gesellschaftliche Normen ausgeübt wird.

Dieses Duo ist ausgesprochen cool.

Beitrag von Ursula Drees, die Fotos sind mit dem Iphone in der Staatsgalerie gemacht.

paper positions. Berlin.

Diese Ausstellung lief vom 1. bis 4. Mai in Berlin, Flughafen Tempelhof. Eigentlich war es ein Kunstmesse. Gezeigt wurden Werke die auf Papier, mit Papier und um Papier gedacht wurden.

Der Flughafen Tempelhof an und für sich ist eine angenehme Ausstellungsfläche. In der ehemaligen Besucherhalle geschätzte 65 Galerien mit einigen Exponaten zu sehen. Viele Deutsche Galerien, einige aus den europäischen Ländern. Ein grosse Vielfalt wurde gezeigt.

Ich muss gestehen, dass ich bei solchen Ausstellungen einerseits hoffe, nicht überfordert zu werden, andrerseits die reinen Anblick der Kunst in allen Zügen geniesse. Die Ausdrucksformen und Eigenwilligkeit der jeweiligen Künster*Innen zeigen die Einmaligkeit des Künstlerische Oeuvres und der technischen und handwerklichen Expertise. Ein Wunsch zu Experimentieren liegt vor. Es ist aber kein grundsätzlich durch Zufälligkeit entstandenes Bild oder Werk. Es ist die gesteuerte Kenntnis von Regulierbarem und nicht Regulierbarem.

Adam Kašpar (*1993 in Litomyšl, Tschechien) zählt zu den der jüngsten Generation tschechischer Maler. Seine detailreichen, realistischen Landschaftsgemälde drücken eine tiefe Verbindung zur Natur ausdrücken. Kašpar absolvierte von 2012 bis 2018 ein Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Prag im Atelier für Malerei IV unter der Leitung von Professor Martin Mainer. Seine Werke zeichnen sich durch eine präzise realistische Technik aus, die auf sorgfältiger Vorbereitung basiert, einschließlich Skizzen, Fotografien und systematischer Beobachtung der Natur. Dabei geht es ihm nicht um dokumentarische Genauigkeit, sondern um die Darstellung der „ewigen“ Aspekte der Landschaft – des majestätischen, scheinbar zeitlosen Charakters der Natur.

Bei den paper positions werden einige Malereien gezeigt. Mein Blick jedoch fiel auf ein DinA 2 grosses Skizzenbuch. Skizzenbuch ist untertrieben. Es ist ein Kunstwerk, das Papier gut 2 mm dick und hochwertig. Es wird ein Zyklus der ewigen Natur. Jede Doppelseite ist ein Ereignis. Es erinnert ganz entfernt an die Pflanzen und Naturzeichnungen im Stil von Alexander Humboldt. Die Farne, die Bäume, Muster, Symmetrien, Farben und handschriftlichen Erklärungen lassen diesen Vergleich vielleicht zu. Das ist neuwertig und zitiert gleichzeitig das Ende des 19. Jahrhunderts. Ein Sichtereignis.

Beitrag und Bilder von Ursula Drees