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Am Samstagabend lud das Futurelab ins Deep Space 8k zur großen Leistungsschau ein. Den Auftakt bildete ein recht stilles Projekt von Toyota Coniq Alpha in Zusammenarbeit mit der Shiga Universität und dem Ars Electronica Futurelab. Es ging um Memories for Future, genauer gesagt um die Digitalisierung von Objekten, die den EinwohnerInnen des 230 Seelen Dorfes Azusa Kawachi der Präfektur Shiga in der Nähe von Kyoto am Herzen lagen.
In einem Workshop wurden die EinwohnerInnen von Azusa Kawachi mit der Gaussian Splatting Technologie vertraut gemacht. Zahlreiche TeilnehmerInnen sind dann losgezogen, um das Objekt ihrer Wahl zu scannen. Im Deep Space 8k wurde eine Auswahl der Arbeiten als Video vorgeführt, das die Objekte mit der damit verbundenen Geschichte präsentiert. Die Beteiligung und Aktivierung der lokalen Bevölkerung war sicher das beeindruckendste an diesem Projekt. Ihre bewegenden Geschichten und die damit verbundenen Orte in einer der schönsten und traditionellsten ländlichen Gegenden Japans konnten somit für die Zukunft aufgezeichnet werden. Durch die Verschmelzung von kulturellem Erbe und digitaler Kunst ermöglicht das Projekt den BewohnerInnen, ihre Erzählungen und Identität auf innovative Weise zu bewahren und sichtbar zu machen. Es bietet eine neue Perspektive auf das kulturelle Erbe, indem es traditionelle Werte in die digitale Ära überführt und gleichzeitig eine tiefere Auseinandersetzung mit der lokalen Geschichte fördert.
Etwas aufgeregter ging es bei der Preisverleihung der Aktivistengruppe Aggro Climate zu. Provokativ haben sie Künsterlnnen in der Kampagne “Schmilz, schmilz Baby” dazu aufgerufen, Zukunftsentwürfe für die Zeit nach der Gletscherschmelze zu entwerfen. Ganz konkret ging es um die Pasterze, Österreichs größten Gletscher, der allein im letzten Jahr um 203,5 m kleiner geworden ist.
Es blieb einem fast das Lachen im Halse stecken und doch war die mit deftigem österreichischem Humor gespickte Preisverleihung erfrischend originell. Der Preis ging an das Projekt „Schönbrunn x Alpenkitsch“, das die Tonalität der Kampagne munter aufnahm und ein Repräsentationsgebäude für die Mächtigen und Reichen im Post-Gletscherland vorschlug. Dafür gab es eine eisige Trophäe, die vor den ZuschauerInnen langsam dahin schmolz.
Leider ist die Zeit nie ausreichend, dem riesigen Angebot des Ars Electronica Festival gerecht zu werden und sich die Vielfalt der Exponate und Events annähernd zu erschließen. Das mussten selbst die Initiatoren des Ars Electronica Festivals auf der Pressekonferenz eingestehen. Insgesamt 112.000 Besuche wurden in den letzten 5 Tagen gezählt, das Ars Electronica Festival 2024 verzeichnete einen Rekord in diesem Jahr. 1.260 KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen, EntwicklerInnen,UnternehmerInnen und AktivistInnen aus 67 Ländern waren in Linz zu Gast und haben zur Ars Electronica 2024 beigetragen. Achzehn Locations wurden bespielt und 498 Veranstaltungen angeboten. Kaum vorzustellen ist der Aufwand hinter den Kulissen, so ein Festival auf die Beine zu stellen.
Nach einer Expertenführung im Lentos hat sich Christl Baur, Head of Festival, Ars Electronica Festival, Exhibitions & Prix Ars Electronica trotz prallen Terminkalenders am Samstag die Zeit genommen, uns einen Behind-The-Scenes Einblick zu geben.1
Es gäbe noch zu viel zu erwähnen, das Campus Programm des Ars Electronica Festivals 2024 beispielsweise, welches mehr als 400 Projekte von über 60 Universitäten und Kunsthochschulen aus 40 Ländern präsentiert.
Oder die zahlreichen Konzerte und Performances. Die Art + Science Ausstellung im JKU MED Campus, das Animation Festival, und vieles mehr.
Ganz Linz schien aus dem Häuschen zu sein in dieser Woche. Am Samstag Abend zählen die Veranstalter ca. 100.000 BesucherInnen bei der Linzer Klangwolke, dem großen Musikspektakel an der Donau. Die Inszenierung „Pioneers 52 Hz“ unter der künstlerischen Leitung von Carlus Padrissa und dem Team der katalanischen Gruppe “La Fura dels Baus” erlebten die ZuschauerInnen eine fesselnde multimediale Show. Mit Musik aus Gustav Holsts Suite “The Planets”, kombiniert mit einem speziell entwickelten Sounddesign, riesigen überdimensionalen Figuren, einer (kontrollierten) Explosion und zauberhafter Luftakrobatik, entstand ein spektakuläres Erlebnis, das die Themen Ozean, Pioniere der Wissenschaft und Weltall auf eindrucksvolle Weise vereinte.
Wer nun sehr bedauert, nicht dabei gewesen zu sein, hat zumindest noch die Möglichkeit, die Linzer Klangwolke 2024 als Übertragung vom ORF anzusehen.
https://on.orf.at/video/14242055/linzer-klangwolke-2024
Ansonsten kann man den Termin für das nächste Ars Electronica Festival schon mal einplanen. Es wird vom 03.-07.09.2025 stattfinden.
Beitrag und Medien von Prof. Katja Schmid
- Christl Baur: Experten erklären. Christl Baur ist die Kuratorin und Leiterin des Ars Electronica Festivals. Sie is interdisziplinäre Forscherin aus der Kunstgeschichte, Kulturmanagement und Naturwissenschaften kommend. „Ihr besonderes Interesse liegt in der Verbindung ästhetischer und sozialer Praktiken, die auf Kollaboration und Experimentieren basieren und soziale, politische und wirtschaftliche Protokolle herausfordern. Ihr Forschungsgebiet erstreckt sich über Themen wie Videokunst, Neue Medientechnologien, Computerkunst, Biotechnologie und Interaktive Kunst, wobei sie an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft arbeitet.“ so die Kulturstiftung des Bundes. ↩︎
#3 If You Have Starry Skies in Your Eyes, Rib (JP)
Award of Distinction, Prix Ars Electronica, Ausstellung von 13 PreisträgerInnen im Lentos Kunstmuseum
Unter den PreisträgerInnen, die im Lentos Kunstmuseum ausgestellt sind, hat mich eines besonders beeindruckt. Es sind Rib’s Kreationen von Augenprothesen. Ich brauchte einen Moment in der Ausstellung, um zu verstehen, dass die Künstlerin auf einem Auge erblindet ist und eine Prothese trägt. Sie hat diesen Umstand zum Anlass genommen, ihre eigenen Prothesen zu gestalten und selbst herzustellen, nachdem sie sich das entsprechende Verfahren angeeignet hat.
In Japan sind Augenprothesen traditionell so gestaltet, dass sie realen Augen möglichst exakt nachempfunden werden. Dieser rationale Ansatz spiegelt sich in den strengen Normen der japanischen Industrie für Augenprothesen wider, die individuelle Wünsche wie „Ich möchte eine Prothese mit etwas größeren Pupillen, die zu meinen farbigen Kontaktlinsen passen“ oder „Ich hätte gerne eine Prothese mit einer blauen Iris“ nicht berücksichtigen. Offiziell zugelassene Hersteller lehnen solche maßgeschneiderten Prothesen ab.
Gegen diese gesellschaftlichen Vorurteile stellt Rib ihr Kunstwerk in Form einer innovativen, interaktiven Prothese vor. Diese Prothesen, die Rib selbst trägt, haben unterschiedliche Designs, eine davon integriert einen Magnetsensor, ein LED-Licht und eine Batterie, alles umhüllt von medizinischem Acrylharz. Durch die Beleuchtung des Auges mittels des Magnetsensors wird die Prothese zu einem Symbol für Individualität und Selbstdarstellung.
Das Projekt basiert auf Ribs persönlichem Hintergrund und setzt sich gegen die gesellschaftliche Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen ein, die oft als „unsichtbar“ oder „unberührbar“ angesehen werden und die Tendenz haben, sich zu verstecken. Mit diesem leuchtenden, prosthetischen Auge fordert Rib die gängigen Vorstellungen über naturtreue Replikation von Prothetik heraus und bietet Menschen mit Behinderungen mehr Möglichkeiten zur Selbstdarstellung. Ribs Ziel ist es, die Einzigartigkeit und das Potenzial physischer Unterschiede zu zeigen und die Akzeptanz sowie das Verständnis für Vielfalt zu fördern.
https://www.righteyerib.com/work
Beitrag und Medien von Professorin Katja Schmidt.
Von sprechenden Maschinen, Teppich-Tastaturen und manipulierten Raum-Zeit-Videos – weitere preisgekrönte Arbeiten aus dem Lentos
Stellt Euch vor, Automaten und Geräte des täglichen Lebens würden mit Euch sprechen, diskutieren, sich über Euch lustig machen oder ihren Dienst verweigern! Das war die Grundidee von Jan Zuiderveld, der in eine Kaffeemaschine, einen Bürokopierer und eine Mikrowelle generative KI eingebettet hat, um uns zum Nachdenken anzuregen über Machtverhältnisse, Handlungsfähigkeit und Disruption im Alltag. Bei den BesucherInnen ein absolutes Highlight, welches viele zum Schmunzeln gebracht hat. Der bittersüße Nacheffekt ist garantiert, wenn man sich vorstellt, dass auch das eine mögliche Realität sein könnte.
Ein Bürokopierer verweigert die langweilige Kopierarbeit und setzt stattdessen von den BesucherInnen gezeichnete Kopiervorlagen mittels KI in “eigene” Bilder um.
Eine Kaffeemaschine fragt, ob es denn wirklich Kaffee sein soll und ob der Traum vom Kaffee denn nicht zu groß sei.
Eine Mikrowelle wärmt nicht auf, sondern benutzt das hineingelegte Etwas, um eine Konversation zu beginnen, die auch schnell ins Poetische oder Melodramatische abdriften kann.
Nosukaay von Diane Cescutti (FR – Prix Ars Electronica in der Kategorie „Interactive Art +“), ist eine die haptischen Sinne ansprechende Installation, die westafrikanische Webkunst mit moderner Computertechnologie verbindet. Im Mittelpunkt steht ein Manjak-Webstuhl aus Senegal, der als interaktive Tastatur fungiert und es den BesucherInnen ermöglicht, über einen Webteppich als Tastatur durch ein narratives Videospiel zu navigieren. Der Mensch schließt den Stromkreis, in dem er beide Hände benutzt und die Kommunikation mit dem System ermöglicht. Es geht um das Zusammenspiel von traditionellem Handwerk und digitaler Technologie, im Zeitalter des Verlustes handwerklicher Fähigkeiten und Bräuchen.
Die kleinen Rauten im Webmuster sind für die Auswahl programmiert, die großen Rauten sind die “Enter”-Tasten.
Mit einem recht wissenschaftlichen Ansatz arbeitet Ryu Furusawa für sein experimentelles Video-Kunstwerk Mid Tide #3, das die Wechselwirkungen zwischen Zeit und Raum anhand von Aufnahmen von Meereswellen erforscht.
Meeres-Triptychon, manipuliert in Raum und Zeit
Furusawa macht einen Schnitt durch die Zeit, quasi vertikal durch die Videosequenz. Dadurch entsteht eine nichtlineare Zeit- und verzerrte Objektwahrnehmung, die den Betrachter in eine traumähnliche, verzerrt-hyperreale Welt eintauchen lässt.
Das Kunstwerk zielt darauf ab, die Wiedererkennbarkeit von Objekt und Bewegung zu garantieren, aber deren Raumzeitlichen Zusammenhang zu manipulieren. Damit wird die reale Welt neu geformt, wie auf einer Video-Töpferdrehscheibe.
Medien und Beitrag von Professorin Katja Schmid
Im Ars Electronica Center bietet der Deep Space, eine der innovativsten Plattformen der Medienkunst, eine beeindruckende Erfahrung. Dieser hochmoderne Raum ist bekannt für seine atemberaubenden 16 x 9 Meter großen 8k Projektionen und interaktiven 3D-Visualisierungen, die das Publikum in immersive digitale Welten eintauchen lässt.
Ein besonderes Highlight in diesem Jahr ist die Performance „Cooperative Aesthetics“ von Gerhard Funk (AT). Diese Performance vereint verschiedene künstlerische Disziplinen und nutzt die einzigartigen Möglichkeiten des Deep Space, um eine visuell und akustisch fesselnde Erfahrung zu schaffen. Durch die Kombination von live-generierten Grafiken und interaktiven Elementen werden die Besucher aktiv in den kreativen Prozess eingebunden, wodurch ein dynamisches Zusammenspiel von Kunst und Technologie entsteht.
Gerhard Funk (AT) begeistert die Besucher mit vier neuen Arbeiten, die nicht nur faszinieren, sondern auch unterhalten. Die interaktiven Installationen ermöglichen es den Menschen, durch Bewegung und Zusammenarbeit visuelle Werke zu schaffen, was die Atmosphäre lebendig und inspirierend macht.
– “Crossings”: Wenn ein Benutzer den Weg eines anderen kreuzt, tauschen die mit jedem Benutzer verbundenen Kreaturen Körperteile aus und kreieren so zwei neue Kreuzungen.
– “Sound Ping Pong”: Diese Rhythmusmaschine erlaubt es den Nutzern, einen gemeinsamen Rhythmus zu entwickeln und zu variieren, während eine minimalistische visuelle Darstellung dieses Rhythmus an der Wand projiziert wird.
– “Squeegee”: Hier formen zwei Personen eine (gezahnte) Gummiwalze und ziehen Farbe über den Boden, um ein komplexes, kollaboratives Gemälde zu schaffen.
– “Sun”: Diese Installation ermutigt die Besucher, so nah wie möglich zusammenzustehen. Je mehr Menschen sich in der Mitte des Raums versammeln, desto intensiver wird die Sonnenprojektion.
Diese Erfahrungen sind nicht nur amüsant und belebend, sondern können auch viele neue Möglichkeiten z.B. im Bildungsbereich und in der Therapie eröffnen. Auf jeden Fall laden die Werke von Gerhard Funk dazu ein, die eigene Kreativität gemeinsam mit anderen zu entfalten, und schaffen eine wunderbare Verbindung zwischen Kunst, Technologie und menschlicher Interaktion.
Beitrag und Medien von Professorin Katja Schmid
Konzentrieren-Kalibrieren-Spielen, ja easy – aber mit dem Gehirn, nicht mit den Händen!
Das war die vielleicht aufregendste und nachhaltigste Erfahrung im Selbstversuch. Und als Ü50-Nichtgamerin gewagt. Es hat einigen Mut gebraucht, sich eine EEG-Kappe aufzusetzen, in deren Elektrodenlöcher Gel gespritzt wurde, die Schuhe auszuziehen, das Handy auf Flugmodus zu schalten und sich hinein zu begeben in den BCI-Laborworkshop von Unicorn. (BCI steht für Brain-Computer Interface).
Kurz vorweg genommen: Die Dimension dessen, was ich da erlebt habe, muss noch verdaut, verstanden und integriert werden.
Das Spiel Unicorn Dream Power ist ein sogenanntes brain-controlled Game, das über eine Brain-Computer-Schnittstelle (BCI) funktioniert. Mithilfe von Elektroenzephalografie (EEG) misst es Gehirnströme und nutzt diese zur Steuerung des Spiels. Hierbei tragen die SpielerInnen eine spezielle EEG-Kappe oder ein Headset, das elektrische Signale des Gehirns aufzeichnet und in Spielbefehle umwandelt. Durch Konzentration und gezielte Gedanken werden die Bewegungen und Aktionen im Spiel gesteuert, ganz ohne physische Controller.
In diesem Beispiel wurden die großen grün leuchtenden Punkte über das Gehirn gesteuert.
Die Technologie hinter solchen Spielen wurde bereits in anderen Projekten wie VR-Spielen verwendet, bei denen man durch Gedankenkraft Objekte bewegen oder Entscheidungen treffen kann. Das hat natürlich ein Wahnsinns-Potential, auch für medizinische Anwendungen, beispielsweise für Prothesensteuerung, Schlaganfall-PatientInnen oder für therapeutische Anwendungen für Personen mit Autismus.
Übrigens: wenige Meter neben diesem Workshop wurden u.a. Forschungsprojekte von Wacom und dem Futurelab skizziert, die an ähnlichen Methoden und Lösungen arbeiten, Kreativität und Hirnaktivität in Visualisierungen einfliessen zu lassen.
Beitrag und Medien von Professorin Katja Schmid