plusinsight

Category Archives: Wissenschaft

Ars Electronica_Postcity: Nervous System (US)

 

Das Kinematics Dress und Floraform.

Das Kinematics Dress ist aus unterschiedlich grossen Dreiecksmodulen, die wie Puzzle zusammen steckbar sind im 3 D Drucker aus Plastik entwickelt. Hier geht es um den Fertigungsprozess. Der ist neu, ein modulbar gedrucktes Kleid oder Kleidungsstück. Wer einen 3 D Drucker hat kann mit entsprechenden Programmsteuerungskenntnissen  seine Garderobe verbessern. Die Dreiecke müssen nicht mehr zusammen gesteckt werden, das spart Zeit, der Drucker druckt das Ganze in einem Satz. Wie lange gedruckt wird, ist noch unklar, aber da wird die Industrie Lösungen finden. Übrigens wird von 4 D Druck in den einschlägigen blogs gesprochen. Sie übernehmen die vorgeschlagene Nomenklatur der Macher Jessica Rosenkrantz und Jesse Louis-Rosenberg aus US Massachusetts.

img_9189

„4D printing refers to 3D-printing something in one shape that is intended to be in another shape,“ creative director Jessica Rosenkrantz. „The design transforms into its final configuration without manual labour. The shape it is printed in may be advantageous for various reasons: faster, cheaper, or printing larger objects in a smaller volume.“

4D Print bezieht sich auf den 3 D Druck und der zeitgleichen Assemblage, dem Zusammenfügen von Modulen zu einer grösseren Form.  Die Gestalt wird direkt produziert. Es gibt keinen weiteren Fertigungsschritt, es werden keine weiteren Hände benötigt. Es ist schneller, kostensparender und es können grössere Objekte in kleineren Auflagen gefertigt werden.

img_9188

Das Kleid selbst hat wie alle 3 D hergestellten Produkte eine überschaubare Komplexität und einen geringen Anspruch an Schnitt und Material. Ein Hänger, aber immerhin schon in einem schönen Yves Klein Blau, und wie immer aus Plastik. Wie wird es angezogen?

img_9190

Es ist tailliert, gibt es einen Verschluss irgendwo? Es kann abgesprüht werden wenn es schmutzig ist und klein zusammen gelegt werden, es zeigt wenig Abnutzungserscheinungen. Ein Unterkleid ist vielleicht angemessen, der Tragekomfort von Plastik auf Haut ist gering. Die Module sind hart und bei Drehung und Kippung wird Haut gezwickt. Schweiss und Geruchsentwicklung sind abzuschätzen. Es sind Prototypen. Wenn 3 D Drucker flexible, atmungsaktive, geruchsabweisende Materialen drucken, wird die Textilindustrie revolutioniert. Das Schneiderhandwerk wird zu einer Kunstform, nur wenige werden in wenigen Jahren noch nähen.

Floraform

Die gleiche Technik wird auf Schmuckherstellung übertragen. Damit fingen sie an. Sie haben eine Nylonschmuckcollection hergestellt. Anfangs kragenähnliche Colliers, jetzt bereits komplexe und filigrane Formen. Anhänger für Ketten, Dekoration für Zimmer, und Fingerschmuck. Manche Objekte werden als Edelmetallschmuck ausgestellt. Der Drucker dient als Kompositionshilfe  und das Schmuckstück wird letztendlich von einer Goldschmiedewerkstatt in Handarbeit als Unikat gefertigt. Es ist ein Schnitt im Bereich Konzept und Prototyp gemacht.

img_9194

img_9198

 

img_9195Die Formen werden durch generische Rechenprozesse entwickelt. Das Vorbild für die Formen ist die Natur, es ist der Wachstumsprozess von Blättern oder Blüten. Der Kohl und Salatblätter ist der Pate für die Floraform: Weisskohl, Grünkohl, Rotkohl, Endivien usw. Der Wissenschaftliche Beitrag von  L. Mahadevan “Growth, geometry and mechanics of the blooming lily” stellte die Initialzündung dar. Es wird über den Wachstumsmechanismus von Blüten gesprochen. Dieser natürliche Wachstumsprozess wurde simuliert und dient als Grundlage für die Designs.

img_9193

img_9197

kohl-pflanzen-lila-gekraeuselt-topf-garten-tipps

gemuese-garten-anlegen-kohl-pflanzen-gruen-weiss

Die Schmuckstücke erinnern an Korallenriffs. Die Farben unterstützen diese Impression. Sie werden Floraform genannt und das zu Recht.

img_9196

lila-flieder-farbe-kohl-pflanzen-bunt-garten-tipps

pflanzen-idee-kohl-garten-gemuese-beet-rosa-lila

Ars Electronica_Postcity: Project Jacquard von Dr. Ivan Poupyrev

img_9203
Ein Stück Stoff in das leitfähige Garne eingenäht sind. Es sind dünne, metallische Legierungen, kombiniert mit natürlichen und synthetischen Materialien wie Baumwolle, Polyester oder Seide. Und damit werden sie zu Interaktionsschnittstellen.

img_9202

“If you can weave the sensor into the textile, as a material,” so Poupyrev, “you’re moving away from the electronics. You’re making the basic materials of the world around us interactive.” Wenn der Sensor in das textile Gewebe eingefügt werden kann dann bewegen wir uns weg von Electronic. Die Grundlagenelemente unserer Welt werden interaktiv. Wir brauchen keine weiteren Geräte oder Devices. Diese idee ist nicht besonders neu. seit gut einem Jahrzehnt wenn nicht länger wird von intelligenten Stoffen geredet und daran experimentiert. Was aber neu ist, wenn die Gewebe in normalen Textilfabriken hergestellt werden. Wenn es nicht mehr Einzelstücke sind, sondern das Gewebe Teil der Konsumwelt wird.

“Any time you put your phone into your pocket, you have a smart jacket… the only problem is they don’t talk to each other. There’s no connection between them. So this work, we can actually kind of close the circuit.”

Jedes Mal wenn wir unser Handy in die Jackentasche stecken dann haben wir intelligente Kleidung. Nur in diesem Fall ist der Device vollständig abgeschirmt und die Kleidung auch. Warum werden sie nicht miteinander verbunden?

img_9207

Das Gewebes Stoff und die Garne sind dünn. Sie sind biegsam, sie fühlen sich wie Garn an. Das ist vertrauenserweckend. Die interaktive Stelle erscheint vielleicht wie ein kunstgestopftes Teil, aber nicht störend. Mit Wischbewegungen wird vielleicht Music auf dem Cellphone gewechselt, das Volumen rauf oder runter gesteuert, oder ein und aus geschaltet. Mit anderen Verbindungen werden LED Lampen gesteuert. Ein und aus, hoch oder runter dimmen, Farbtemperaturwechsel. Es gibt eine Vielzahl von Geräten, die diese drei Funktionsweisen in sich tragen, sie können mit den Schnittstellen verbunden werden. Das Ganze ist einfach und weiter fortgeschritten als andere interaktive Textilien.

img_9211

Wie das mit dem Waschen und Pflegen ist, das wird nicht gesagt.

Ars Electronica: postcity_MycoTEX von Aniela Haitink / NEFFA (NL)

img_9168

 

Das Kleidungsstück ist aus organischer Materie. Diese Materie nennt sich Myzellen. Sie werden ihm Labor gezüchtet, getrocknet und verarbeitet. Das ausgestellte Kleid weist keine Nähte auf. Auf welchem Untergrund werden die Teile aufgetragen? Wie fügen sie sich zu einer Fläche zusammen? Werden sie in vielen Lagen aufeinander geschichtet und dann kommt es zu einer vollständig zu verarbeitenden Bahn? Die Verarbeitung wird nicht erklärt. Jedoch die Experimente zu den verschiedenen Zellformen. Sie sehen aus wie Schimmelpilze.

img_9169

Ob das Material wohl riecht? Ob es dehnbar ist? Ob es zu waschen ist? Im Begleittext wird gesagt, dass Änderungswünsche wie Längenerweiterung spielend durchführbar sei. Und es würden keine Abfälle entstehen. Ein Zero Waste Kreislauf. Und wenn das Kleidungsstück abgelegt wird, dann lässt es sich kompostieren. Darf es denn in Regen kommen?

img_9171

Ganz ohne zusätzliche Fragen kommt dieses Material nicht aus. Was geschieht wenn Farbe ergänzt wird? Oder sind die Träger an die zufällig entstehende Farbpalette aus Braun, Beigetönen angewiesen? Wie fällt das Material. Ist es steif? Ist es leicht? Ist es zart auf der Haut zu tragen? Reisst es schnell? Kann auch eine Hose daraus geschneidert werden? Was geschieht denn bei komplizierten Schnitten? Warum ist diese Material für die Herstellung von Kleidung eigentlich geeignet? Festzustellen ist: es gibt viele offene Fragen.

img_9170

img_9173

img_9172

 

Ars Electronica_Postcity: Artist Lab Yasuaki Kakehi

YASUAKI KAKEHI hat am MIT Media Lab studiert, promovierte in Interdisciplinary Information Studies der The University of Tokyo und arbeitete als Associate Professor in Keio University, Kanagawa, Japan.

Auf der Ars Electronica werden gleich 4 Arbeiten gezeigt und drei in diesem Artikel vorgestellt..

Loopers (Yasuaki Kakehi),
microcosm (Shohei Takei and Yasuaki Kakehi),
Phytowalker (Junichi Yamaoka and Yasuaki Kakehi), and

Loopers

img_9216

Eine Soundinstallation aus künstlichen Würmern, die aus magnetischen Kugeln zusammengesetzt sind. Die Würmer bewegen sich auf einer Bühne vor und zurück, indem sie ihren Körper abwechselnd krümmen und strecken. Die Kugeln schlagen und klopfen in verschiedenen Rhythmen auf die Bühne, Sound wird erzeugt. Unter der Bühne ist ein elektromagnetisches Feld angebracht. So verändern die Würmer ihre Position als Reaktion auf die gesamte Szenerie.
In Zusammenarbeit mit Michinari Kono (JP).

Single Stroke Structures

img_9226

Ein dünner Kunststoff-Schlauch wird aufgeblasen. Durch Wärme und Druck lässt sich die Krümmung der Röhre steuern und in verschieden Formen verwandeln. Es kann ein Cocoon, ein Dach, ein Häuschen, ein Schirm geformt werden. Alles was dem mobilen Menschen in aller Schnelle einen kurzzeitigen Schutz bietet. Wenn er in der Stadt unter dem Menschenmassen leidet. Wenn er kurz einen Ruhepol sucht. Wenn er Abgeschlossenheit wünscht und dies nicht ohne Weiteres finden kann. Dann soll er Geborgenheit in und unter den Formen finden.

img_9224

Phytowalkers

Eine Kolonie botanischer Roboter besteht aus Töpfen, Pflanzen und Elektronik. Botanische Roboter beschreiben eine makabre Form von Verbindungen Technik und Pflanze. Das ist zweifelhaft, ist der Dr. Mengele Ansatz zu finden? Nur weil Pflanzen nicht für uns hörbar sind, heisst dies nicht, dass sie Schmerz unempfindlich sind,  die Pflanzen werden amputiert. Wenn Menschen einen Roboter “wachsen” lassen, reifen Tillandsien in einem Topf zu Roboterbeinen heran. Der Organismus geht auf eigenen “Beinen”. Hort sich gut an, er wird mobil gemacht. Aber wie es sich tatsächlich darstellt, schmerzt das Auge.

img_9221

Vor Ort ist den Pflanzentöpfen ein Areal abgesteckt, einige kriechen erbärmlich am Boden entlang, sie stehen auf dem Kopf, denn die Beine sind die Pflanzen. Sollten sie nicht zur Sonne und zum Licht weisen? Nein hier sehen sie aus wie Einsiedlerkrebse, nur dass sie keine Einsiedlerkrebse sind. Es sind Pflanzen. Scheinbar vergisst der Künstler, dass es einen Unterschied zwischen toter und lebender Materie gibt, vergisst ethische Grundbedingungen. Ein Manko in dieser Installation. Sie ist erschreckend, ist brutal und verfehlt den Sinn. Die Phytowalkers sind mit einem Mikrocontroller, einem Motor und mehreren Sensoren ausgestattet. Erreicht der Roboter einen Sonnenplatz, stoppt er und lädt sich selbst mithilfe einer Solarzelle und der Photosynthese der Pflanzen wieder auf.
In Zusammenarbeit mit Junichi Yamaoka (JP).

img_9219

Kopfgeburten.

Ars Electronica: postcity_Caress of the Gaze von Behnaz Farahi (IR)

img_9160
Das Kleidungsstück ist im 3 D Drucker entstanden.  Es ist ein bizarrer Panzer aus spitzen Zähnen, aus Zacken, eine Igeloberfläche. Sie erscheint schützend, nicht bekleidend. Es ist ein Teil einer Rüstung. Es wird wie eine Pelerine über den Schultern getragen, geht über die Brust und endet oberhalb der Taille. Der Rücken wird ebenso bedeckt. Dieses Objekt liegt nicht auf der Haut, es steht ab, denn die Technik wird im Zwischenraum Körper Objekt versteckt.

img_9146

Es sind Kabel, Schnittstellen, Kamera und Mikrocontroller. Darunter muss ein schützender Stoff die Haut vor Abschürfungen bewahren. Die Kamera erkennt Bewegung, Masse, Grösse, Nähe und Entfernung. Sie sendet Informationen an den Controller, der schickt Bewegungsbefehle an die verzackte Aussenhaut. Diese bewegt sich wie der Igelpanzer. Die Zacken stellen sich auf oder legen sich an. Ein bewegtes Objekt, das an Kleidung erinnert. In der Beschreibung wird von „Schnittstelle zwischen Mensch und Außenwelt“ gesprochen. Sie reagiert auf soziale Themen wie Intimität, Identität und Geschlecht.

img_9154Das hört sich gut an, entspricht aber wohl noch einem Wunsch. Das bereits Sichtbare ist ein erster Schritt. Der Wunsch nach der Reaktion einer zweiten künstlichen Haut und einer Verhaltensweise auf Außenbedingungen reagieren zu können, wird formuliert. Der Künstler, Forscher kommt aus dem Iran. Frauen sind verschleiert, sie bedecken sich bis zur Unkenntlichkeit und werden zu Objekten. Individualität und Selbstbestimmung werden nicht wahr genommen. Die herrschende Gesellschaft ist männlich, sie bestimmt den Ton und verbannt die Frau als Sexualobjekt in die häuslichen Gefängnisse.

img_9158Argumentiert, dass der Anblick der unverschleierten Frau die männliche Integrität erschüttert und das animalische des Mannes so schnell und unmittelbar erweckt, dass dieser davor geschützt werden muss. In einem Land in der das Geschöpf Mensch-Weib nicht erscheinen darf, kann ein solcher Panzer ein Schutz sein. In der westlichen Welt, wo Frauen als Menschen dem Mann (fast) gleichgestellt sind, kann die Frau sicherlich auch ohne Panzer leben. Denn bequem sieht das Ding nicht aus. Zu starr und sich damit anzulehnen. Die Gesellschaft arbeitet seit Jahrhunderten an funktionaler, schützender, leichter, bequemer, bewegungssteigernder Haut, praktisch, nicht riechend, gut zu reparieren und zu waschen, sauber und Wärme spendend in Wintern. In der  europäischen Modegeschichte und Entwicklung geht es um Befreiung.

img_9157Denken wir nur als Beispiel an Mode unter Ludwig dem XIV. Die Mieder der Frauen haben Hunderte von Blutvergiftungen durch tiefe Fleischwunden im Taillenbereich hervorgerufen. Es waren Stahlgerüste, die durch Stoff verkleidet und Unterkleidern von der menschlichen Haut getrennt wurden. Aber im Laufe der Zeit, des Gebrauchs entstanden an den Enden Abnutzungen und die Spitzen bohrten sich bei Bewegung in das Fleisch. Bücken, Springen, laufen, hopsen war möglich, aber nicht einfach. Sitzen mit den grossen, bewegungungsfeindlichen Krinolinen unter den Röcken und den starren Miedern war eine Qual. Die Frauen litten unter Atemnot, fielen in Ohnmacht, waren nicht belastbar. Will die Menschheit in der Mode zu diesen Verhältnissen zurück?

img_9155Der gezeigte Panzer soll von Frauen getragen werden. Was wird hier gezeigt? Eine elektronische Idee. Nicht nur bei diesem Exponat stellt sich die Frage der Sinnhaftigkeit. Die Künstler machen Experimente, sie scheinen die weitergehenden Bedingungen nicht zu bedenken. Sie arbeiten im Tunnel, haben eine Idee, setzen sie um, schöne Sache das. Soziologische Fragen, kulturelle Fragen, moralische Fragen bleiben aussen vor. Diese Einseitigkeit der Betrachtung findet sich in fast allen Exponaten. Die Naivität dieser Haltung ist unübersehbar.

img_9159