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Hubert Lepka, lawine torrèn

Hubert Lepka bei seinem Vortrag am 13. Szenografie Kolloquium in der DASA, Dortmund 2013.

Hubert Lepka wurde auf das 13. Szenografie Kolloquium in der DASA, 2013, Dortmund eingeladen.  Er spricht über „invisible tales“. Unsichtbare Geschichten befinden sich überall. Sie liegen nah an der Oberfläche, sie müssen gesehen und erkannt werden. invisible tales können in der Natur in einer Steinformation liegen, genauso aber auch in der Tätigkeit des Erzählens, sei es das Erzählen mit Worten, mit Bildern, Gesten, Tönen oder Handlungen. Hubert Lepka verstehen wir als Entdecker der invisible tales. Er ist künstlerischer Leiter von lawine torrèn. Der Kontrast der Aufführungen und Performances von lawine torrèn zum präsentierenden Menschen bei dem Kolloquium ist nicht unerheblich. Er gehört zur fragilen, schnell bewegten, schneller sprechenden Sorte Mensch, dessen Tempo ein bisschen gezügelt ist, immerhin wird präsentiert. Seine Gestik und sein Habitus erzählen parallel eine Geschichte, ob sie unsichtbar ist oder nicht, lassen wir offen. Die Hosenträger haben bei seiner Kleidung ein Recht auf Dasein. Alles bewegt sich, auch wenn es eigentlich an einem angestammten Platz sein sollte. Ein Hemdzipfel findet den Weg in die Freiheit und es flattert unerwartet die Strickjacke in Begleitung einer Haarsträhne am oder im Gesicht herum. Der Hemdkragen ist hochgeschlossen und damit ausserhalb einer Veränderungszone, was uns erstaunt. Wie hat er das geschafft?

Das Podium erhöhte die Sprecher, sie schauten nach unten. ©ursula drees

Bei den Performances mit dem Titel wie z.B. FRUTIGER oder GANGART werden ordentliche Tagebau-Schaufelbagger, Untertagebaugrubenlader, Dump Trucks mit Reifenhöhen von mehr als 2 Meter Durchmesser, Wheel Dozer, Satteltieflader, Unimogs, Sattelzüge, Planierraupen, Radlader, Raupenbagger, Lastkräne, Pistenraupen, Flugzeuge, Helikopter, Transportschiffe und anderes schweres Gerät zu Akteuren. Dazwischen: ihre Lage behauptenden Menschen. Die ungelenken Bewegungen der Monstermaschinen, bedrohlich und ohne Reaktionspotential und der Mensch, klein, wendig, anfällig. Der Kontrast kann nicht grösser sein. Maschinen, die Gebäude abreissen oder Sprengungen einleiten, deren Schaufeln massige Feldblöcke spielerisch vor sich her bewegen und eine Art Katz und Maus Choreografie aufführen. Immer wieder einzelne Menschen oder Gruppen dazwischen. Die nachahmen oder vorspielen. Das weiss man nicht genau.

Hubert Lepka hat sich der Kunst, des Bewegten, des Gigantischen, des Gefährlichen  verschworen.  Seine Bühnen sind Naturlandschaften, sie sind wie sie sind und vorgefunden werden. Vom Berggipfel, Fluss, Flugplatz, Stadtbebauung bis zur Erzgrube.  Das was ist, ist auch Bühne. Hier ergeben sich andere Herausforderungen, wie das Wetter: Kälte, Hitze, Nebel, Regen, Schnee und was sonst so geschehen kann,  Verkehr und vorbei strunzende Anwohner, eine Kuhherde auf dem Weg zum Stall, Kirchenglocken, die zum Abendgebet auffordern – aber das schreckt nicht ab. Es sind komplexe und raumübergreifende Performances, schwer koordinierbar und zeitlich eher an Minuten-, denn an Sekundenskripts gebunden.

Gangart: ein Projekt von lawine torrèn       

Bei solchen Verhältnissen wird es schwer für die Zuschauer das Geschehen zu überblicken. Teilbereiche können eingesehen werden, aber nicht unbedingt alles.  Medien, Kameras, Projektionen, Leinwände sind erforderlich, um das weit Entfernte abzubilden.  Der Beitrag vom 3. Dezember 2012 bespricht das Gletscherschauspiel  „Hannibal“ von lawine torrèn, (12. April 2013  gibt es eine weitere Aufführung von HANNIBAL – Gletscherschauspiel sölden – tirol – austria). Diesmal geht es um Arbeiten, die eine öffentliche Aufführung – oder besser noch – eine Durchführung haben, aber deren Aufzeichnung das künstlerische Werk darstellt.

Gangart: ein Projekt von lawine torrèn             Photographie © Magdalena Lepka

Diese Form der Geschichtenerzählung sind laut Hubert Lepka  „invisible tales“. Bei FRUTIGER und GANGART geht um den Entstehungsprozess des Werks. Nicht zu verwechseln mit einer Projektdokumentation oder einem Making Off. Es geht nicht um die Aufzeichnung der Vorbereitung des Werks. Es geht um die Entstehungsgeschichte einer Arbeit. Die Wechselseitigkeit der Erzählungen und deren Erzählern. Drehorte, Bewegungen, Schauspieler, Tänzer, Kulisse, Maschinenakteure, Kameraleute alle wirken an der Geschichte mit. Der oder die einen als jene, die etwas sichtbar ändern, die anderen als jene, die im Prozess einer Aufnahme, durch Einstellungsgrössen, Perspektiven, Winkel, Schnittfolgen, Ton und Akzente die Geschichte mit erzählen. Es ist eine Art handelndes Erzählen oder erzählendes Handeln. Es ist, Zitat Hubert Lepka, eine Art Performance Archäologie. Der Weg ist das Ziel. Das bleibende Bild führt über die Aufführung über die Performance zum Werk Die filmische Aufzeichnung ist die Kunst und aus der künstlerischen Handlung heraus geboren. Denn die Kameras umkreisen die Performance, aber bei diesen Grössenverhältnissen und Distanzen ist das Aufnehmen ein performatives Shooting.

Gangart: ein Projekt von lawine torrèn             Photographie © Magdalena Lepka

So wie bei der Performance GANGART – eine montanistische Performance zum Jubiläum 1300 Jahre Erzabbau am Steirischen Erzberg – eine Choreographie für Baumaschinen und Eisenstein – eine Bergparade aufgeführt am 22. September 2012 um 14.00 Uhr, auf die hier näher eingegangen wird.

Gangart: ein Projekt von lawine torrèn             Photographie © Magdalena Lepka

Der Erzberg ist ein, aus der Luft betrachteter, Zengarten aus Stein. Treppen aus Gesteinsschichten formen einen Berg und ein Tal, dort findet die Performance von Baumaschinen und Menschen statt. Siderit ein Mineral aus der Mineralklasse „Carbonate und Nitrate“ auch Eisenkalk, Eisenspat, Spateisenstein und Stahlstein genannt, wird im Steirischen Erzberg abgebaut. Mit etwa 400 Millionen Tonnen abbauwürdiger Erzmenge gilt der Erzberg als größtes Sideritvorkommen der Erde. Diese Form dient der Performance als Blueprint.

Lawine Torrèn: Gangart – Montanistische Performance am Erzberg from eisenerZ*ART on Vimeo, gepostet wurde das Video von eisenerZ*ART, hergestellt von mediacreation GmbH, Film, TV & Multimediaproduktionen

„Bergbaumaschinen ohne Performance Erfahrung agieren mit 5 Tänzern, ohne Maschinenerfahrung.“ (Hubert Lepka beim Kolloquium). Die Maschinen massig und überdimensioniert, die Menschen ziemlich klein. Plötzlich ist es wie in einem Puppenhaus. Die Dinge sind erwachsen, die Tänzer ganz klein. Auf der Website von lawine torrèn liesst sich das Ganze wie folgt: „dieses “falsche” raumgefühl bringt lawine torrèn mit der improvisationstechnik “viewpoints” von mary overlie in ein feines geflecht von berg, mining equipment und zeitgenössischem tanz. die fahrgeräusche der antriebe, der donner von fallendem fels, von sprengungen, das sirenenheulen, die metallischen gitarren der drei schwestern von sawoff shotgun, all dies wird zu einem soundtrack komponiert, der nicht für die performance gemacht ist, sondern aus der performance entsteht. inspiration: cage im überdimensionalen ryoanji-garten.“

Hier kann die VideoDoku der Performance angeschaut werden.  Die Musik kommt von sawoff shotgun. Die Credits sind unter der Website von lawine torrèn nachzulesen.


Gangart: ein Projekt von lawine torrèn    

Maschinen als übergrosse, angeschnittene Monster, dazwischen die Menschen. Sie imitieren die Bewegungen und geben sich Mühe, die Dinger zu orchestrieren.  Die Bewegungen korrespondieren mit Vorstellungen des Maschinellen oder des Bergbaus? Ist auch nicht wichtig, es zählt der Tanz: Maschine mit Mensch. Wir sehen Schaufelbagger, deren Grabtiefe und maximaler Schaufelinhalt x-Meter und mehrere Tonnen zu sein scheinen,  mindestens 10 Meter, riesig , ungeheuerlich. Darin ein bewegter Felsbrocken. Er wird geschoben, gerollt, gewiegt und abgeladen, aufgeladen, geworfen. Ein mächtiges Ding. Dann die Sprengung. Eingeleitet durch Brizeln an der Abbruchkante und es knallt. Von unten aus der Tiefe gibt es eine Erschütterung und kurz darauf: die Steinlawine geht ab. Immer wieder der Mensch, die Tänzer, bekleidet mit Unterwäsche und Staubmänteln. Er drängt sich ins Bild. Schafft er noch gerade, denn ein Rad allein ist Format füllend. Er hat keine Chance, aber mutig bleibt er, überrollt wird er nicht. Der Film macht’s deutlich, als Zuschauer der Performance wird der Eindruck der Masse klar, aber vielleicht nicht der spezielle Blickwinkel. Das ist aber wichtig. Der Film ist das künstlerische Werk und alles führt darauf hin. Performative Archäologie.

Das Video mit originalen Filmsequenzen unbedingt hier ansehen.

Das Video mit originalen Filmsequenzen unbedingt hier ansehen.

Screenshots aus dem Video von stefan aglassinger, mit Musik von Alban Berg und Robert Schumann 
eingespielt durch das Hermes Quartett Salzburg.

Im Zusammenhang der performativen Archäologie und den invisible tales muss das Werk „Schafberg 1911“ genannt werden.  Die Geschichte versteckt sich in der vorgefundenen Szenerie. Eine Felsformation, der Schafberg, oben ganz oben ein Fels, der steil in die Luft ragt und unvermittelt abfällt, tief in ein Tal. Ist hier nur eine Laune der Natur zu bewundern oder sollte mehr dahinter stecken? Vielleicht beides? Haben Menschen die Steinarchitektur erkannt und zu nutzen gewusst? Invisible tales: man muss sie sehen können. Die Geschichte vom Schafberg 1911 ist Fiktion, eingebettet in die Bergwelt, dargestellt, wie Dokumentation, hergestellt wie performative Archäologie: handelndes Filmen und filmisches Handeln. Die Performance ist ein Teil des Werks, nicht aber das Zentrum. Die Fiktion wird mit vielen Medien erzählt. Die in der Vergangenheit angelegte Story wird als einmaliges Zeitdokument behandelt, Teilstücke der damaligen Gegenwart werden ausgegraben und neu aufgelegt, wie die Postkartenserie oder wieder gefundene Filmaufnahmen. Die Postkartenserie wird übrigens an touristischen Stätten und Kiosken in Österreich auch verkauft. Das muss man sich mal vorstellen. Die Grenzen der Erzählung zur Wirklichkeit verschwimmen. Der unbedarfte Betrachter, Tourist, Wanderer wird die Karte sehen und ahnungslos dem Bild Glauben schenken, dennoch er hält eine gekonnt erzählte Fiktion in den Händen. Oder ist etwa doch was dran?

Postkarte zum Schafberg 1911          Photographie © Magdalena Lepka

Schafberg 1011 – Auf dem Weg zum Mond – der Hödlmoser-Cranz-Versuch als Theateraufführung am Abgrund des Schafberges, eine Performance von und mit lawine torrènschafbergbahn und wolfgangsee tourismus.  Hier die Geschichte, entnommen der Website von lawine torrèn:

„1911 verfolgen zwei junge männer vom wolfgangsee eine vision, die die wiener gesellschaft mehr als entzückt: könnte der schafberg mit seinem steilen hochplateau tatsächlich die startrampe für einen mondflug sein? berthold hödlmoser und carl cranz jedenfalls sind so überzeugt von dieser idee, dass sich sophie, eine ehemalige jugendfreundin, sogar um kontakte ins kriegsministerium bemüht – über arthur, einen offizier, der sein spiel an geheimhaltung so geschickt zu betreiben weiß, dass zuletzt sogar der kaiser neugierig wird. wenn es wirklich gelänge, die zweistufige, dampf-ballistisch getriebene konstruktion von der spitze des schafbergs bis in das böhmische pilsen zu schießen und dort an einem spezialfallschirm landen zu lassen, so wäre auch ein mondflug – möglich!
womit sich der militärische lokalaugenschein auf dem schafberg nicht nur schwerwiegenden herausforderungen, sondern auch einer unerwartet eigenwilligen dame gegenüber sieht, die lästige fragen stellt, komplizierte technische sachverhalte erstaunlich gut zu erfassen weiß und so das unfassbar haarsträubende dieser unternehmung erst richtig „auf spur“ bringt.“

Postkarte zum Schafberg 1911        Photographie © Magdalena Lepka

Das Video mit originalen Filmsequenzen unbedingt hier ansehen. Die Kameraeinstellungen, das Zufällige des Amateurfilms wird gekonnt nachempfunden. Die Akutere sprechen und gestikulieren direkt mit der Kamera bzw. dem Kameramann (Stummfilm natürlich). Die Musik stammt von Alban Berg, ein Schüler von Arnold Schönberg, dessen freie Atonalität und Zwölftontechnik die klassische Komposition in die Modere führte. Alban Bergs Kompositionen, eindeutig in der Tradition von Schönberg, sind emotionsgeladene Werke. In Verbindung mit den Filmbildern wird ein Eifersuchtsdrama, Verlust, Verwirrung, Missverständnisse, Glück und Missgunst, Rache, das Unvorhergesehene, drohende Gefahr erzählt. Der Wind und die steilen Abhänge tun ihr Übriges. Dabei geht es um etwas ganz anderes, aber ist das bei diesen Bildern noch wichtig? Es ist der Moment, der zählt.

Postkarte zum Schafberg 1911        Photographie © Magdalena Lepka

Die Besetzung bitte hier einsehen.  Dieses Werk wird aufgeführt. Die Bühne der Berggipfel zwischen Wolfgangsee und Schafweiden, die Darsteller wie sie waren seinerzeit. Es wird unterstützt von der schafbergbahn, dem wolfgangsee tourismus, dem land oberösterreich, dem land salzburg, von porsche, von swietelsky,  progres und bm:ukk

Postkarte zum Schafberg 1911        Photographie © Magdalena Lepka

Beim Nachdenken kommt der Gedanke an Godard und die Nouvelle Vague auf. Das Konzept der Authentizität des filmischen Handelns. Sie wollten Echtheit darstellen, nicht etwas Echtes vorspielen. Die dialogische Vervollkommnung des Filmes durch offene Handlungsmöglichkeiten. Bei Godard ist das filmisch Narrative im Vordergrund und im Vergleich dazu ist lawine torrèn eine logische Weiterentwicklung der Nouvelle Vague. Der Tenor der Godard’schen Filme ist das Unmittelbare, das Dringliche, viele Szenen sind nicht geprobt oder nicht mal angekündigt. Es wurde mit kleineren Teams, ohne grosses Equipment gearbeitet, mit natürlichem Licht, der Establishing Shot bleibt oft weg, die Ebenen der Produktion werden in jeder Phase als formbildend eingebunden. Filme drehen selbst ist die Veränderung der Realität. Diese Merkmale der Nouvelle Vague lassen sich auch bei den Arbeiten von lawine torrèn nachweisen. Der Begriff der performativen Archäologie findet eine Bezugsform.

Postkarte zum Schafberg 1911        Photographie © Magdalena Lepka

 Beitrag von Ursula Drees

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