Category Archives: Wissenschaft
Literatur ausstellen. Wie das? Sollen wir uns Bücher in Vitrinen anschauen, vielleicht dazugelegte Skizzen und Notizen, angereichert mit dem originalen Schreibutensil? Und daneben lesen wir dann die Geschichte des Schriftstellers. Das bedeutet der Museumsbesuch dauert Tage. So viel lesen nimmt Zeit in Anspruch. Auch Mühe und Ruhe, schlafen zwischen durch, essen und trinken auch.
Wie ist das mit der Literatur. Gedanken lassen sich kaum halten. Das Vergängliche, der spontane Einfall, wie soll das ausgestellt werden? Eine Ausstellung, so Prof. Dr. Raulff, muss nicht Essay sein, braucht keine Bibliographie, ist nicht nur ein Beitrag oder ein chronologischer Zeitstrahl mit wichtigen Merkmomenten. Kann es natürlich muss es aber nicht. Es ist aber eine Frage wert: wie stelle ich Literatur aus und mache es zu einem Besuch, der nicht vorrangig durch Langeweile oder elterliche Zwangsbildungsmaßnahme gekennzeichnet wird?
Meine Mitschrift. Ich wurde von Vortrag zu Vortrag geübter. ©Ursula Drees
Dr. Raulff, ein Sprecher mit einem erlesenen Wortschatz, er verwendete Worte wie „occopure“ (von Besetzung abgeleitet? „Occupy“ oder vom italienischen „Occupare“ als „etwas in Besitz nehmen“?) oder , „ephimär“(ebenerdig) oder „ephemer“ (eintägig, vergänglich), „obsolet“ (überholt, veraltet, ungebräuchlich, überflüssig geworden), Cassiber (geheime und versteckte Nachricht) und viele Andere ohne mit der Wimper zu zucken, ist ein gewandter Vortragender.
Er stellte verschiedene Sonderausstellungsprojekte vor, die allesamt mit der Ausstellungsgestaltung die Aussage des Objekts unterstützten und eine Eindeutigkeit der Bedeutung schafften. Robert Gernhardt zum Beispiel – ein Multitalent. Er war Maler, Zeichner, Karikaturist und Schriftsteller. Wer kennt nicht seine Karikaturen? Ein massives Werk und schnell kann es bei der musealen Präsentation einer solchen Fülle auch zu Überfüllung und -information kommen. Auch fragen wir uns wie die unterschiedlichen Werkanteile vernünftig gezeigt werden können? Karikaturen, Poesie, Gedichte, Essays?
Robert Gernhardt: Vom Männlein. In: Zeit-Magazin Nr. 50/1985 vom 6.12.1985, S. 4. DVA: F 4867
© Robert Gernhardt. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Almut Gehebe-Gernhardt.
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Dr. Raulff erzählte, Robert Gernhardt hat stets auf Brunnenheften gearbeitet, anfangs umfassten die Hefte nur 32 Seiten, später dann schon 64 Seiten. Überall skizzierte, zeichnete, notierte er Gedanken und Einfälle. Sie waren sein Archiv. Eine weitere Gewohnheit zeichnet ihn aus; er verwendete nur eine Stiftart, nämlich die gelben BIC Kugelschreiber. Daraus entstand dann das Konzept für die Ausstellung. Eine Invasion von gelben BIC Schreibern zog sich unter der Decke entlang und darunter wurden in Kreise angeordnet, Plexiglasscheiben, durch Stahlseile von Decke und Boden in Spannung gehalten, ausgesuchte Doppelseiten der Hefte gezeigt. Die Menge wurde reduziert und damit stichprobenhaft und exemplarisch der Zugang zum Werk geschaffen.
Eine Fotografie von der Präsentation vor Ort. Im unteren Bildrand sehen wir Dr. Raulff und eine Impression zur Robert Gernhardt Ausstellung. ©Ursula Drees
Man sieht wie genau mit Menge, Objekten, räumlicher Aufteilung, der Architektur und Lichtsetzung umgegangen wurde. Wer das Bild sieht, versteht auch, dass Literatur in einer solchen Präsentation sich plötzlich auch dem weniger Kultur beflissenen Leser und Bildungsbürger erschliessen kann. Und zu diesen Leuten zähle ich mich auch.
Immer wieder lande ich in Museen, die ihre Exponate präsentieren, als wären es Pausenbutterbrote, meist mit bedruckter Wand im Hintergrund, mit Zeitstrahl und Fotografien, sogar auch Beschriftung, im Vordergrund hängend eine Vielzahl von gleichartigen Objekten, die allesamt mächtig alt und herausragend sind und liegend, wahlweise stehend, auf dem Vitrinenboden noch weitere Besonderheiten ausgelegt sind. Das Lager wird zum Depot, zum Ausstellungsraum, zur Überfüllung und umgekehrt.
Im Jahr 2012 habe ich auf Kreta ein ethnologisches Museum, dass im Reiseführer als gelungen angepriesen wurde und sogar einen Preis für Gestaltung erhielt, besucht. Guten Mutes und denkend: „So können sogar alte Tonschüsseln, Geldscheine, Webstühle und Kupferkessel erträglich werden“. Es war langweilig. Mehr noch , dräuende Müdigkeit machte sich breit, Durst kam oben drauf. Zum Glück gab es kleine Babykatzen in einer Nische ausserhalb des Museums. Das rette mich. Was geht schon über Leben?
Die Bilder der Präsentation der Gernhardtsschen Arbeiten lassen mein Herz schlagen. So kann ich mich einer Sache nähern ohne Furcht vor zu viel Masse zu verspüren. Da will ich lesen und hinschauen.
Eine meiner Mitschriften. ©Ursula Drees
Anschliessend stellte er eine weitere Sonderausstellung vor. Eine, die ganz und gar ohne Objekte oder Gegenstände auskommen musste, es ging um Schicksal. Vorstellungen und Gedanken, glauben wir immer noch an die 13 als Unglückszahl oder sind wirklich alle guten Dinge 3? Es war kein geschlossenes Werk, eher ein Sammelsurium. Eine Kombination aus vielen unterschiedlichen Dingen und Sachen. So wurden kreisrunde Podeste gestaltet, an den Seiten befanden sich Einkerbungen, der Besucher schaute hindurch und konnte etwas erkennen. Hier wird verdeckt und unsichtbar gemacht. Der Kontext, der Tenor des Auszustellenden wird erfasst. Denn wer kann Schicksal greifen, wer erkennt Schicksal auf dem ersten Blick? Schicksal offenbart sich und so wurde auch in dieser Ausstellung vorgegangen.
Das Leitmotiv des Deutschen Literaturarchivs in Marbach ist durch 3 grosse Gedanken markiert.
1. Die Objektart wird untersucht. Man will ihr gerecht werden und wenn sie zu Leitobjekten taugen, dann werden sie als solche behandelt.
2. Die Objektsprache soll durch Purismus gekennzeichnet sein.
3. Werkgenesen oder Autorenbiografien gilt es aufzubrechen. Keine Sprödheit in der Literatur.
Sehen ist etwas anderes als Lesen. Dies wurde vermittelt.
Was mir an dieser Präsentation gefiel, war die Intelligenz der Aufarbeitungen. Hier sind Menschen am Werk, die Literatur verstehen. Die begreifen, dass Gedanken, Visionen, Vorgehensweise und Versuche ein wesentlicher Bestandteil eines schöpferischen Prozesses sind und die Literatur davon lebt. Denn Verschriftlichtes wird auf dem Papier und oft in Buchform gezeigt. Da haben Aussteller keine Aufsehen erregende Skulpturen, Bilder, Installationen, Töne und Lichter. Eine weitaus schwierigere Aufgabe. Ich werde das Museum in Marbach besuchen.
Und zu guter Letzt noch ein filmisches Dokument „vomdunkelanslicht“ zum Deutschen Literatur Archiv in Marbach vom 20. April 2012. Es ist die Kurzfassung eines Films von Dieter Zimmermann zur Eröffnung des Literaturmuseums der Moderne am 6. Juni 2006. Er entstand in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach. Mit Peter Rühmkorf, den Fantastichen Vier, Marco Goecke und dem Stuttgarter Ballett, Timo Brunke, David Chipperfield, Alexander Schwarz, Timon Birkhofer, Barbara Stoll und Musik von Patrick Bebelaar und Marie Luise.
von Ursula Drees
Prof. Dr. Hahn auf dem Podium beim 13. Szenografie Kolloquiums in der DASA 2013. Fotografie von U. Drees
Prof. Dr. Achim Hahn von der Technischen Universität Dresden, Institut für Baugeschichte, Architekturtheorie und Denkmalpflege spricht über Erlebnisräume. Was bedeutet Erlebnisraum? Ist es ein Ort des Erlebens, wo ERLEBEN gemacht, hergestellt, produziert wird. Gibt es das Produkt Erlebnis? Können wir Erleben gestalten, verkaufen, garantieren und vermarkten? Wenn es geplantes Erleben gibt, dann muss es auch ein Forum dafür geben. Und stellt sich die Frage nach der Erlebnisgesellschaft. Er fragt nach der Beschaffenheit der Erlebnisgesellschaft und nach der Qualität des Erlebens in diesen gestimmten Räumen, Environments, Architekturen, Landschaften. Was bedeutet Erleben? Ist es eine Kompetenz des Körpers, des Leiblichen? Wie kann Erleben gemessen werden? Kann es überhaupt gemessen werden? Gibt es vergleichbare, verlässliche, zeitunabhängige Parameter dafür. Jeder Mensch erlebt anders. Gemäss seiner Herkunft, Sozialisation, Bildung, Überzeugungen, Vorlieben und Begabungen. Wie soll Erleben gemessen werden?
Screenshots von Prof. Dr. Hahn’s Präsentation beim 13. Szenografie Kolloquiums in der DASA 2013. Man sieht eine Karte zur Orientierung im Freizeitpark Belantis bei Leipzig. Fotografie von U. Drees
Und mit dieser Erkenntnis dass Erleben als Prozess oder Ereignis oder Ergebnis kaum messbar ist, bleibt festzustellen, dass es eine Erlebniskultur zwar gibt, sie in aller Munde ist, aber das Erleben für diese Gesellschaft kaum fassbar ist. Wir kaufen Erlebnisse als Geschenk, wie Fallschirmspringen, Abenteuerurlaube, Detektivabendessen und gehen in Erlebnisparks, Erlebnisferien, Erlebnisausstellungen. Daher stellt sich die Frage, ob äussere Umstande so funktionalisiert werden können, dass ein inneres Beleben also Erleben statt findet?
Screenshots von Prof. Dr. Hahn’s Präsentation beim 13. Szenografie Kolloquiums in der DASA 2013. Ein kleines mittelalterliches Dorf, wobei die Fassaden Attrappen sind und die Rückseite nicht für die Augen der Besucher gestaltet wurden im Freizeitpark Belantis bei Leipzig. F
otografie von U. Drees
Beim Erleben geht es also um das Innere. Das Innen gibt eine Orientierung vor. Dort findet etwas wie Bereitwilligkeit zum Erleben statt. Es ist die Orientierung des Inneren die den Menschen veranlasst, Gefühlsäusserung wie z.B. „Das finde ich toll“, „Das ist so schön weit“ oder „Die Enge war so wie Zu Hause, das erinnert mich an Wärme und Geborgenheit.“ zu äussern. Erleben will nicht nur gewollt werden, Erleben bezieht sich auf Etwas in vielen Fällen bereits Vergangenes.
Ist das gewollte Erleben das zentrale Lebensziel der Erlebnisgesellschaft? Im Gegensatz zu vorgehenden Generationen haben sich die Lebensziele von z.B. Vorstellungen über einen Teil eines starken Staates zu sein, oder Autoritätsliebe oder Selbstdisziplin oder Anreicherung von Besitz dem persönlichen Erlebnis zugewendet. Die Frage nach Glück, nach Selbstverwirklichung rückt als zentrales Thema in das Bewusstsein. Freiheit, Selbstbestimmung und Individualität sind die heutigen Werte und der Motor zum Handeln und zum Konstruieren des Lebens.
Meine Mitschrift zum Vortrag. Theoretische Auseinandersetzungen zu erfassen bedeutet wichtige Stichpunkte mitschreiben. Sonst gewinnt das Vergessen. Je mehr Information, desto weniger Zeichnung. Meine Mitschriften werden sich ändern. Die letzten Beiträge sind dann bereits Landkarten.
Wie entsteht Erleben. Erleben hat mit Gefühlen zu tun. Gefühle werden an konkrete Bewegungen und Räume gebunden. Man hört ein Musikstück aus der Jugend und erinnert das Gefühl und die Erfahrung, vielleicht Liebeskummer oder -glück. Der Geruch eines Neuwagens erinnert an das erste eigene Auto und die gewonnene Erfahrung von Freiheit. Erleben ist an Erinnerungen von etwas speziellen gebunden. An Räume und diese sind leiblich zu spüren: Wohlbefinden oder das Gegenteil, Furcht Beklemmung, Freude und Heiterkeit. Kommt ein Mensch in einen Raum, der diese bestimmte Beschaffenheit aufweist, dann wird neben der Erinnerung auch das Gefühl eines Erlebens also einer inneren Beteiligung ausgelöst. Man spricht von Atmosphäre.
Wenn der Mensch auf das Erleben konzentriert ist, wie kommt er dann dazu? Muss Erleben geplant werden? Kommt es in der Erlebnisgesellschaft zu einem Vorgriff der Erlebnistauglichkeit von Leben. Werden Konstruktionen zu Erlebnistauglichkeit entwickelt? Erlebnisparks, Erlebnisgelände, Erlebnisräume? Dr. Hahn dazu: „Werden Erlebnisse, Atmosphären und Stimmungen als Dinge und Objekte begriffen? Erleben besagt zuerst: noch am leben sein, wenn etwas geschieht. Und das Erlebte kann einer nur selbst erleben. Niemand kann uns darin vertreten, Erleben setzt also Anwesenheit voraus. Aber Dabei-Sein ist nur die notwenige Voraussetzung für ein Erlebnis. Es ist nicht hinreichend. Denn nicht jedes Dabei-Sein wird zu einem Erlebnis. Erst die erschließende Leistung eines Erlebnisses hebt dieses von allem sonstigen Erleben ab. Wie dieses Leisten möglich ist und welches Potential dabei sogenannte Erlebnislandschaften bieten sollte kritisch unter die Lupe genommen werden.“
Mit dieser Frage im Gepäck hat das Team von Dr. Hahn zwei Erlebnisparks, den Erlebnispark Belantis bei Leipzig und Kulturinsel Einsiedel ein Abenteuerfreizeitpark in der Nähe von Görlitz genauer betrachtet. Die landschaftliche Architektur wurde nach baulichen und architektonischen Gesichtspunkten, nach ästhetischen, nach aktiver Einbindung, der Ruhe, der Anteilhabe und Aktion untersucht.
Das Tal der Pharaonen in Erlebnispark Belantis in der Nähe von Leipzig. Eine Wildwasserfahrt durch eine 34 Meter hohe Pyramide führt in einen künstlichen Teich. © Belantis Website
Belantis besteht aus verschiedenen Themenwelten und erinnert im Aufbau und der Präsentation an Disney World. Es gibt das Schloss Belantis, das Tal der Pharaonen, den Strand der Götter, das Land der Grafen, die Insel der Ritter, die Küste der Entdecker, die Prärie der Indianer und das Reich der Sonnentempel. Rutschen mit und ohne Wasser, Achterbahnen, Karusselle, Springburgen und Rennbahnen. Ein grosses Spektrum an Freizeitgestaltungsmöglichkeiten und Erlebnisangeboten wird gemacht. Dieser Park ist gross und gut ausgeschildert, es gibt Cafes, Shoppingmöglichkeiten und Karten zur Orientierung.
Poseidons Flotte aus dem Erlebnisbereich Strand der Götter © Belantis Website
Götterflug, Die neue Generation der Fahrattraktionen macht`s möglich: Du selbst entscheidest, wie rasant Dein Flug wird! © Belantis Website
Die Kulturinsel Einsiedel ist im Besitz von Jürgen Bergmann, der selbst seit ca. 30 Jahren auf einem Waldbauernhof lebt. Am 1. Juli 1990 wurde sie ins Leben gerufen und im Laufe der Jahre um die umliegenden Grundstücke erweitert. In den folgenden Jahren wurde die Kulturinsel ständig erweitert. Hier findet man einen verspielten Abenteuerspielplatz vor. Etwas uneinsichtig, es gibt Baumhäuser und Höhlen zum Erkunden, langsam durch die Jahre gewachsen. Aufführungen, Theater, Musikveranstaltungen finden dort auch statt.
Beide Bilder Kulturinsel Einsiedel in Zentendorf (Deutschland) © Mike Krüger
Zwei unterschiedliche Orte mit den gleichen Ziel: Erlebnisorte zu sein.
Nach der Bestandsaufnahme wurden Besucher nach ihren Erlebnissen befragt. Nicht direkt nach dem Verlassen des Parks sondern nach einigen Tagen und mit ihrer Zustimmung. Es wurden Geschichten von Vergangenheit mit den Eindrücken des Parks verbunden. Es ging immer um ein Mensch – Welt – Erleben in Kombination mit der eigenen Geschichte und des eigenen Wissens. Daraus konstruierte sich ein Erlebnis. Demnach können Erlebnislandschaften mit biografischen Erleben abgestimmt sein. Die räumlichen Erlebnislandschaften müssen an die früheren Erfahrungen anknüpfen. Der eine erinnert sich an Spiel in Wäldern und Baumhütten, die anderen an den kleinen Hobbit, wieder andere an Walt Disneyartige Szenerien. Und so weiter…
Assoziationen, Erinnerungen, Stimmungen werden abgerufen und zu einem neuen Erleben und einem neuen Erlebnis werden. Der Raum ist eine Art Marker, ein Grenzstein für das Erleben. Eine automatisierte Erinnerung und Neukonstruktion eines Erlebens ist nicht garantiert. Ursache und Wirkung sind nicht fest umrissen und können nicht wie ein Regelwerk eingesetzt werden. Was aber immer vorhanden sein muss ist ein Mensch, der mit Offenheit und Wachheit durch den Raum geht und der Erlebnismöglichkeit entgegen steuert. Atmosphäre jedoch wird nicht als relativ wahrgenommen.
Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Nach dem Vortrag unterhielt ich mich mit Prof. Oliver Langbein und wir waren uns nicht ganz schlüssig, was wir denken und was wir mit dem Wissen anfangen sollten. Es entsprach unserer Vermutung. Und wir fühlten uns bestätigt, aber nicht erstaunt. Wunderten uns und fragten uns, ob das ganze Unternehmen überhaupt Sinn macht, wenn wir doch schon wussten, dass es so ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach wenigstens. Ich habe dann nachgedacht. Und jetzt weiss ich, was mich an diesem Vortrag beeindruckte. Die Tatsache nämlich, dass ein Versuch zur wissenschaftlichen Nachweisbarkeit angegangen wurde einerseits und auch die Lösung, die jetzt vielleicht nicht mehr nur Vermutung oder Menschenkenntnis ist. Das ist ein Sieg der Wissenschaft.
Fotografie©Thomas Ebert
Die Gruppe von resonate hat ein altes Containerboot mit 70 Meter Länge, 8 Meter Breite und einem 4 Meter hohen Innenraum zu einer Klanginstallation umfunktioniert. Dieser Raum selbst umfasst ungefähr 40 Meter und die wurden auch bespielt. Der Resonanzkörper des Schiffs wird zum Instrument. Elastische Klangsaiten, durch Piezo-Tonabnehmern und Arduino-Boards verstärkt und digitalisiert werden im Schiffsinnenraum aufgespannt. Bei der Art der Spannung, der Saiten, der Aufhängung, der Vernetzung wurde ausgiebig experimentiert und geforscht.
Fotografie©Nine Bläß
Der Besucher erzeugt eigene Geräusche und Töne und gleichzeitig werden die Daten durch 8 interaktive Objekte abgebildet. Sie werden in Lichtwellen übersetzt und die Oberfläche der Objekte vereinen Klang und Licht.
Die Testphasen und Experimentierschritte werden auf der Resonate Website ausführlicher dargelegt.
Mit 1.600 einzeln ansteuerbaren Capix LEDs wird die akustische Schwingung der Saiten erhellt, ausserdem wird Schwarzlicht als atmosphärisches Grundlicht eingesetzt.
Fotografie©Thomas Ebert
ausserdem gibt es einen inaktiven Zustand dieser Installation. Der wird durch das Aufspannen eines weissen Regenschirms aktiviert. In dieser Phase wird der Kommunikationsmodus unterbrochen. Licht und Klang simulieren den Beginn eines Gewitters und Regentropfen fallen. Das Farb- und Klangspektrum wird erweitert, die Atmosphäre des Bootes verändert sich. Das Äußere kehrte sich nach innen und nur das Schließen des Schirmes beendet diese Ruhephase.
Ich habe Lea Mirbach einige vertiefende Fragen zum Projekt stellen dürfen. Hier das Interview:
Ursula Drees: Zu den Objekten von resonate: Im Bootsinneren befinden sich ovale Basiskörper, in leichter Schräglage durch LED illuminiert.
Lea Mirbach: Genau. Ovale, schräge Basiskörper mit einer transluzenten Acryl-Schreibe als Deckel. Darunter sind die einzeln programmierbaren LEDs an einem Gitter angebracht – ähnlich wie ein ovaler, grob gepixelter Bildschirm. Hier entstehen dann durch Interaktion, Zupfen an den Saiten, die wellenförmigen Lichtimpulse in Blau- und Grüntönen. Diese erinnern sowohl an Wasser, wegen des Bootes, als auch an Sound-Wellen. Visualisierung von Klang – Wellen als Gemeinsamkeit.
Link resonate: http://luminale2012.fh-mainz.de/
Fotografie©Thomas Ebert
Ursula Drees: Verbinden die Klangsaiten alle Objekte miteinander?
Lea Mirbach: Nicht ganz. Die Klangsaiten verbinden die vorhandenen Löcher der Schiffswand mit den Objekten; nicht jedoch die Objekte untereinander. Dadurch wird der Schiffskörper als Klangkörper genutzt und verstärkt das Konzept „Raum als Instrument“.
Ursula Drees: Drehen sich die Körper? Spannen sie die Saiten stärker und schwächer und erzeugen andere Tonlagen oder sind sie fest installiert?
Lea Mirbach: Die Realisierung von resonate war für uns ein Forschungsprojekt an sich. In diesem Prozess sollten sich die Körper tatsächlich mal drehen. Die Idee war war genau die: Der Sound sollte digital seine Tonlage verändern, weil man durch die Drehung die Saiten mechanisch spannen und lockern würde. Es gab allerdings einige Nachteile dabei: Die Saiten, die aus festen Gummiseilen sind, bauten zu viel Spannung auf. Die ovalen Objekte wären möglicherweise durch den Raum geflogen. Es war sicherer, sie im Boden fest zu verankern.
Dazu kommt, dass durch die Fixierung der Objekte die Twist-Form der weißen Seile beibehalten werden konnte. – Nicht gedreht sahen die Seile weniger spannend aus.
Fotografie©Martina Pipprich
Ursula Drees: 1 Jahr lang wurde daran gearbeitet?
Lea Mirbach: Nein, ein halbes. Die Entwurfsphase startete im Oktober 2011 – als wir mit Ali Torabi lernten, parametrisches Design mit dem Programm „Para 3D“ für unsere Zwecke zu entwerfen. Dann pitchten 5 Gruppen im Semester gegeneinander. Ein Entwurf, der Schwarzlicht beleuchtete Seile im Boot verspannt zeigte, gewann den Wettbewerb und wurde ab Januar 2012 in der Gruppe weiterentwickelt. Die Aufbauphase begann erst Mitte März und musste innerhalb eines Monats fertig sein: 15.-21.4.2012 konnte resonate dann von den Besuchern der Luminale in Frankfurt besucht werden. Es müssen wohl 12-15.000 in der Woche gewesen sein! Ein unglaublicher Erfolg!
Und zur Zeit (noch bis zum 06.01.2013) ist die Installation im ZKM im Rahmen der Sonderausstellung „Sound Art“ zu besuchen. Eintritt Kostenlos! Neuheiten erfährt man auf facebook.
Fotografie©Martina Pipprich
Link Ali Torabi: http://www.torabiarchitect.com/blog/
Link ZKM: http://on1.zkm.de/zkm/stories/storyReader$8128
facebook: http://www.facebook.com/pages/Resonate-Luminale-2012/244775952268749
Ursula Drees: Die Saiten sind durch UV licht blau erleuchtet. Ist das UV-Licht jeweils am Boden und an der Decke als Minispot positioniert? Oder wie habt ihr das gemacht?
Lea Mirbach: Ja, wir haben sehr starke UV-Lichtröhren von Zumtobel dafür bekommen. Diese waren hinter einer Fußleiste am Boden angebracht, sodass sie den Leuten nicht direkt ins Gesicht oder auf die Zähne leuchteten, sondern vorrangig nach oben in die Seile. Hätten wir die Seile von oben beleuchtet, wäre der Schwarzlicht-Effekt auch nur von oben sichtbar gewesen. Das mussten wir bedenken.
Das Schiff konnte so abgedunkelt werden, dass der Effekt sehr gut wirkte. Viele Besucher fragten uns, wie wir das Licht in die Seile bekommen haben ;-).
Link Zumtobel: http://www.zumtobel.com/de-de/lichtloesungen.asp
Fotografie©Martina Pipprich
Ursula Drees: Und das Objekt wird ja vom Innenraum mit LEDs beleuchtet.
Welche Farben sind involviert? Werden die Farben nach bestimmten Kriterien gesucht und gewählt? Stichwort: Farbvalenz oder Farbreiz als Äquivalent zu Tonhöhe und Schwingungsmoment?
Lea Mirbach: Auch hier haben wir viel experimentiert. Aber am Ende gab es zwei verschiedene Modi. Im Normalzustand während der Interaktion variierten die Farben minimal zwischen Blau- und Grüntönen, um die kühle, mystische und nautische Atmosphäre zu untermalen. Dann gab es den Regen-Modus, der die Interaktion stoppte und wie ein Demo-Modus ein paar Farbmöglichkeiten zeigte – aber immer einfarbig und mit harmonischen Übergängen. Wir haben keine Farben gemischt um eine bunte LED-Hölle zu vermeiden. Mit LED-Farben darf immer aufpasst werden.
Das Schwingungsmoment wird sehr gut von den Wellenimpulsen wiedergegeben. Und die Töne waren eher Geräusche – und unterschieden sich eher im Charakter als in der Tonhöhe.
Fotografie©Martina Pipprich
Ursula Drees: Wie ist die Aufhängung der Saiten durchgeführt worden? Einfache Baumarktspanner? Welche Farbe haben die Saiten, wenn sie im Original vorliegen?
Lea Mirbach: Das war alles Handarbeit – bzw. Körperarbeit. Die Metallringe haben wir mit Stahlseilen und ja, einfachen „Baumarktspannern“ schräg montiert und anschließend die Gummiseile durch die 60 – 80 Löcher gezogen. Und das in 4m Höhe!
Die Saiten sind schneeweiße Gummiseile. Zunächst gab es nichts auf dem Markt, was Fluoreszenz UND Elastizität besaß, wie wir es brauchten. Exakt solche Seile sind dann extra von der Firma Gepotex für unser Projekt entwickelt worden – wir waren begeistert!
Vielen Dank Lea Mirbach für die vertiefenden Hintergrundinformationen.
Link Gepotex: http://www.gepotex.de/schwarzlicht_schnuere_p1037.html?catid=44
CREDITS:
Fotos © Nine Bläß, Thomas Ebert, Martina Pipprich, das resonate Team
Mitwirkende:
Studenten der FH Mainz / Master “Kommunikation im Raum”:
Lisa Bader, Edyta Bednarska, Janine Bläß, Navina Groß, Isabel Klaus, Olga Kondrjuk, Dorothee Mainka, Lea Mirbach, Francesca Müller, Alexia Pogiatzi, Janina Rausch, Eslam Rafaee, Magdalena Teuber, Nemanja Tomasevic, Olga Zergibel
Leitung: Prof. Klaus Teltenkötter, Entwurf und Parametrisches Design, Prof. Bernd Benninghoff, Entwurf und Objekt Design
Projektvertiefung: Prof. Holger Reckter, Medieninformatik; Prof. Dr. Elmar D. Konrad, Unternehmerisches Handeln, Prof. Clemens Tropp, Lichtdesign
Raumklang: Hochschule für Musik der Uni Mainz, Univ.-Prof. Peter Kiefer, Master “Klangkunst-Komposition” , Dipl. Des. Kaspar König, Circuit Bending & Elektronische Klanggestaltung
Bauleitung: Dipl. Ing. Mathias Ewald
Programmierung: Lukas Flory, Benjamin Knichel
Schiffseigner & Sponsor:
Carl Strack
weitere Sponsoren: siehe http://luminale2012.fh-mainz.de/partner/
Preise und Auszeichnungen:
Gewinner des goldenen Schlüssels beim ersten internationalen Wettbewerbs “Der Raum” des CommClubs Bayern e.V. in der Kategorie “Nachwuchs”.
Ausstellung im ZKM in Karlsruhe, 8. September 2012 bis 6. Januar 2013
Die Installation wurde im Rahmen der Luminale 2012 vom 15.04.-20.04.2012 und der „Nacht der Museen‟ am 21.04.2012 auf einem Containerboot am Holbeinsteg in der Frankfurter Innenstadt gezeigt.
Hintergrundinformationen:
Die Licht- und Klanginstallation resonate ist ein Projekt des Innenarchitektur-Masterstudiengangs „Kommunikation im Raum“ der FH Mainz Gestaltung und entstand in Kooperation mit dem Masterstudiengang „Klangkunst-Komposition” der Hochschule für Musik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Im Rahmen der Exzellenzinitiative „Innovative Lehrprojekte‟ ist das Projekt ein Förderprojekt des Gutenberg Lehrkollegs der Uni Mainz. Mit freundlicher Unterstützung von Strack Logistik e.K. und Zumtobel Lighting GmbH. Und für alle, die die Namen und Zugehörigkeiten erfahren wollen gibt es auf der Resonatewerbsite mehr.
Szenographie als Nachschlagewerk? Am letzten Tag des Szenographie Festivals in Stuttgart machten wir uns Gedanken wie sich die Wissenschaft in der Kunst der Szenographie verfestigen kann. Es gibt viele Quellen, Bereiche, Gruppen, Agenturen und Künstler, die in der Szenographie arbeiten. Aber gibt es auch ein Forum, wo wir uns finden und Projekte sehen und austauschen können, voneinander lernen, kollaborativ zusammen sind, speichern und erweitern? Nein, nicht das wir wüssten. Da meldete sich Lea Mirbach mit ihrem gerade ins Leben gerufenen blog SZENOGRAFANS.
Neben dem passgenau gewählten Namen, eine tolle Möglichkeit jetzt und zukünftig diesen Blog als gemeinsame Platform zu etablieren. Deshalb gibt es jetzt eine eindeutige Aufforderung auf Szenografans zu gehen, zu lesen und sich zu überlegen welche Projekte, Ideen und Aktivitäten hier an die Öffentlichkeit gebrachten werden müssen.
Das werdet ihr sehen wenn ihr auf http://szenografans.wordpress.com geht.
Kunst definiert sich in vielen Bereichen. Manchmal kann sie nur schwer erkannt werden. Die normalen Parameter von Schönheit und Ästhetik werden nicht bedient. In der Kunst kann eine subjektive und intuitive Ahnung zu einem Tätigkeitsablauf führen. Die Kunst bietet grösseren Spielraum. Es geht jedoch in der Wissenschaft als auch Kunst immer um die Frage nach Erkenntnissen und Möglichkeiten Ideen zu beweisen. Was also unterscheidet Kunst von Wissenschaft. Diese Frage kann auf der diesjährigen Ars Electronica nicht deutlich beantwortet werden. Kunst sieht aus wie Wissenschaft, umgekehrt erscheint die Wissenschaft im Gewand der Kunst.
Dieses Werk hebt die offensichtlichen Grenzen von Kunst zu Wissenschaft deutlich auf. Der Versuch basiert auf einer künstlerisch initiierten Grundidee, die Verfahrensweisen und Beweisführung sind Laboruntersuchungen und Testreihen. Das Ergebnis „2.6g 329m/s“ von Jalila Essaiti wurde auf der Ars Electronica gezeigt und mit dem Preis Honorary Mention Hybrid Art ausgezeichnet.
Die Angaben 2.6g 329m/s bezeichnen das Gewicht und die Geschwindigkeit einer Kleinkaliberpatrone, denen eine kugelsichere Weste standhalten muss. Die Wissenschaftlerin oder Künstlerin Jalila Essaiti aus den Niederlanden hat diesen Umstand zum Ausgangspunkt ihres Experiments gemacht. Mit dem Wissen dass organisch erzeugte Spinnfäden stärker als Stahl sind, müssten sie auch entsprechend eine Kugel abprallen oder zumindest am Hautdurchschlag und weiter durch den Körper abhalten.
Vorausgesetzt es kann ein Mischgewebe von Haut und Spinnfäden entwickelt werden. So hat sie im ersten Schritt eine menschliche Haut von transgenen Ziegen gewonnen und dieses organische Material mit Spinnfäden verwebt. Wobei die richtige Webform entwickelt und getestet werden musste. Im Anschluss wurden unterschiedliche Hauttypen mit der Patrone der Kleinkaliberpistole getestet. In dem Film der auf der Ars Electronica gezeigt wurde sind 4 Hauttypen in vier Testdurchläufen demonstriert worden.
Test 1: Haut eines Schweins: Sie wird von der Kugel durchschossen.
Test 2: biologisch hergestellte menschliche Haut: Sie wird ebenfalls problemlos durchschossen
Test 3: biologisch hergestellte menschliche Haut die mit Seide verstärkt wurde. Das Projektil durchschiesst die Haut aber zeigt mehr Elastizität und Widerstandskraft
Test 4: biologisch hergestellte menschliche Haut mit Spinnfäden verstärkt.
Das Projektil kann die Haut nicht durchschlagen. Die Haut wird stark gedehnt und verformt, aber das Gewebe wird nicht verletzt. Es findet kein Durchschlag statt, die Kugel bohrt sich in das darunter liegende Gewebe, aber wird nach maximaler Dehnung des Gewebes am Durchschlag gehindert. Was für eine bahnbrechende Versuchsreihe. Sollten gentechnische Änderungen und Eingriffe in die menschliche Haut die Produktion von herkömmlichen Waffensystemen überflüssig machen? Eine Kugel würde verletzen aber nicht töten, vorausgesetzt dass die Elastizität des neuen Hautmischgewebes auf Fleischwunden reduziert werden kann.