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Ars Electronica 2017: Artificial Intimicy: OMGYES VON DR. Debbie Herbenick

Screenshot von der OMGYES Website

Wie ist die Sexualität der Frau. Was liebt sie, was nicht? Es handelt sich um eine Website, die im Zuge einer Studie zu den Besonderheiten der weiblichen Lust entstand. Frauen im Alter zwischen 18 und 95 Jahren (immerhin mehr als 1000) wurden befragt. Die Ergebnisse wurde zusammengefasst und in der Website zusammen gefasst. Sie dokumentiert die verschiedenen Spielarten der weiblichen Lust und Sexualität. angemeldete Personen dürfen mit interaktiven Videos üben und spielen, so wird Variationsreichtum erlernt und damit das Liebesleben verschönert. Es waren Wissenschaftler/innen von der Hochschule für Gesundheitswesen an der Universität von Indiana und vom Kinsey-Institut beteiligt.

Die Website zeigt in der ersten Staffel 12 Episoden. Alle voller Erkenntnisse und zum Ausprobieren.

Es werden 50 Videos gezeigt, davon sind 11 Videos rein praktischer Übungsnatur. Im Ausstellungsraum auf der Ars Electronica wurde ein Device bereitgestellt, da konnte schon geübt werden. Die Videos sind realistisch, und mit den bekannten Interaktionsgesten (Multi-TouchGestures) für mobile Devices lässt sich die Handhabung ausprobieren.

Kostenlos ist es nicht. Jetzt vor dem Release der zweiten Staffel gibt es einen Sonderpreis für 39 €, vorher waren es 59 €. Ein Schnäppchen.

Und so verführerisch ist es, dass eine Überlegung statt findet. Natürlich geht es auch um die Ästhetik der Bildwelten. Da ist die Hoffnung hoch, denn wenn es darum geht, Schamlippen zu umkreisen, dann ist es sicher gut, wenn die Bildwelten ansehnlich sind. Wie oft jedoch schauen Frauen aus nächster Nähe ihre primären Geschlechtsorgane an? Und wie empfinden sie die Realisation des Menschlichen? Des Organischen, des biologischen? Die Website spricht von Frauen, die erklären und zeigen, wie sie eine bestimmte Technik anwenden, wie sie sie entdeckt haben und warum sie sich so gut anfühlt. Kein Drehbuch, keine Schauspielerinnen. Hier ist die Natur im Spiel. Keine Animation, kein Zeichentrick, keine Abstraktion. Die Videos lassen also ausprobieren, es gibt Feedback für richtig und falsch. Was hilft es, die Website muss ausprobiert werden! Und Glücklicherweise gibt es eine Art Schnupperdemo.

Dort sprechen 3 Frauen von ihren speziellen Techniken und demonstrieren, was sie herausgefunden haben. Die Videos sind ca. 2 min. lang und informativ. Keine Witze, keine Anspielungen, keine Scham. Das schafft Vertrauen. Die Ausprobierdemo ist aus hunderten von Bildern einer Frau und ihrer Vagina entstanden. Realismus geht vor. Wer mit Interaktionsgesten Bewegungen ausführt, sieht die Veränderung und bekommt von einer weiblichen Stimme Kommentare zum Handeln. Eine Lernumgebung.

Virtuelle Intimität? Die Auseinandersetzung mit dem weiblichen Orgasmus ist als Thema intim. Nach wenigen Minuten jedoch stellt sich eher der Wille zum Lernen ein. Und dann ist die Intimität im Hintergrund und aufmerksame Beobachtung mit Erkenntnisgewinn im Vordergrund. Orgasmus als Thema für Forschung stellt eine Forschungslücke dar. Wir begrüßen alle Aktivitäten die Aufklärung hervorrufen.

OMGYES.com

Screenshot von der OMGYES Website

 

Ars Electronica 2017: Postcity: NYLOID von André und Michel Décosterd

Drei sechs Meter lange Nylonbeine, miteinander verbunden durch runde Endstücke, sehr robuste in denen Lautsprecher eingebaut sind, bewegen sich nach Tönen, Geräuschen. Die Bewegung ist schwerfällig, archaisch. Es sieht aus wie im postindustriellen Zeitalter. Langsam strecken sich die Beine, erheben sich mit letzter Kraft, wie es scheint, dann fallen sie schmetternd zusammen. Wo genau weiß niemand, das Areal ist abgesperrt. Die Bewegung ist nicht kontrolliert. Es ist kein Tanz oder Ablauf. Es ist ein schwerfälliges mechanisches Aufbäumen und Zusammenfallen. Hypnotisch fast. Die Künstler führen Experimente zu plastischen und klanglichen Prinzipien der Selbstorganisation durch. Die Nylonbeine werden durch klangliche und mechanische Einwirkungen und Geräten bewegt. Die Sounds sind atonal, mal leise mal laut, sie entsprechen den Verrenkungen der Skulptur. Es sieht aus wie eine Kreatur im Überlebenskampf, dramatisch und roh.

Bildergalerie:

Ars Electronica 2017: Artificial Intimicy: END OF LIFE CARE MACHINE von Dan Chen


Es ist eine interaktive Installation. Das Umfeld ist ein Sterbehospiz, Krankenaus auf der Intensivstation. Überall Schilder, Erkennungsarmbänder aus Plastik, Broschüren, und der Last Moment Robot. Der kommt erst zu Einsatz, wenn die lebenserhaltenden Maschinen ein nahendes Davonscheiden feststellen. Dann auch verlässt das Krankenhauspersonal, seien es Schwestern oder Ärzte das Zimmer. Der Roboter sengt sich auf den Arm herab und bewegt sich leicht über den Unterarm der Sterbenden. Roboterintimität bei den letzten Atemzügen. Sie sollen den Menschen beruhigen und ihm sinnlich angenehme Impulse vermitteln. Der Mensch ist im Moment der größten Not und Verletzlichkeit nicht allein. Eine Maschine steht ihm bei.

Das ist in einem kurzen Loop dokumentiert. Anfangs scheint diese Art der Kunst eine emphatisch initiierte zu sein. Aber nach einigen Überlegungen und nach einem Zurückgreifen auf Erinnerungen und Erfahrungen ist diese Vorstellung der Ausdruck einer empathielosen Gesellschaft. Sollen in den letzten Atemzügen befindende Menschen von einem Roboter gestreichelt werden müssen? Werden die Verwandten nicht mal in diesen schweren Stunden Zeit haben? Manchmal klappt das nicht, das stimmt, denn der Weg ins Jenseits dauert oft länger, eine Woche, vielleicht zwei. Und da sitzen die Kinder am Sterbebett, Tage- und Nächtelang und just in dem Moment, wo sie austreten oder Luft schnappen, wird der letzte Atemzug getan. Das erscheint tragisch, aber die Zeit vorher ist gut genutzt. Am Bett sitzend kann man die Hand halten, sanft streicheln, die wichtigsten Dinge besprechen. Sind die Tomaten gegossen, ist das Wohnzimmer gestaubsaugt, der Wagen in der Garage, das Taufgeschenk da. Dinge, die für eine Person hohe Wichtigkeit haben. Meistens dreht es sich nicht um Geld, Beruf, Karriere, Politik oder die schönen Künste. Es ist das Kleine und Alltägliche, das kennen nur, die dem Sterbenden Nahestehende.

Menschen im Todeskampf haben durchscheinende Haut, sie ist empfindlich. Die leichteste Berührung kann zu einem schreckhaften Zucken, zu Verwirrung führen oder manchmal Schmerz hervor rufen. Die Maschine ist kühl, die Hand der Tochter, des Sohnes, des Mannes, des Enkels, Bruders, der Schwerster warm, vertraut und menschlich. Diese Hände wissen, wie berührt wird. Ohne Stress, ohne Zeit, einfach halten und sanfte kleine Bewegungen, wenn überhaupt. Wichtig ist die Nähe von vertrauten Personen. Nur diese Menschen kennen beruhigende Worte, dass alles gut ist, dass alle voller Liebe dem Sterbenden zugewandt sind, dass jetzt gegangen werden darf. Allein die Zeit zusammen zu verbringen ist ein hohes menschliches Gut. Es ist ein Geschenk und nicht wie angenommen, eine Qual. 

In dem Szenario der END OF LIFE CARE MACHINE von Dan Chen verlassen die Menschen, bis auf den Sterbenden den Raum. Alles Lebende geht. Nur die Maschine bleibt. Die Trostlosigkeit kann gar nicht übertroffen werden.

Ars Electronica 2017: Artificial Intimacy: Honey Pie von Zackary Canepari, Drea Cooper (US)

Es wird ein Video gezeigt. Einer über die Herstellung von einem Honey Pie. Es ist eine Sexpuppe. Die Lippen sind köstlich, voll und geöffnet. Die Augen groß und auch vielversprechend. Alles stimmt, die roten Haare, die Haut, die Körperformen und Körperöffnungen. Und der Erschaffer Matt McMullen, von Haus aus Künstler, jetzt liebevoller Handwerker von Real Dolls ist ihnen zugewandt. Eine Puppe kommt auf 6000 US Dollar. Sie werden in alle Gebiete, bevölkert oder besiedelt sorgfältig in großen Holzkisten verschifft. Die Besteller sind Männer oder vielleicht auch Frauen, davon wird nicht geredet, die eine Sexdoll brauchen. Die sie lieben, hingebungsvoll körperlich. Die Dolls haben unterschiedliche Vaginagrößen, ganz wie der Besitzer es wünscht. Und der Mund ist nach den Lippen eher eine Penisverschwindehöhle und ist weit von einer Mundhöhle entfernt.

Matt McMullen spricht von der Herstellung. Wie die Brüste und der Po geformt werden, wie er sich auch als Testobjekt um die Wirksamkeit der Sexdolls kümmert, wie sehr sie dem Manne zupassen kommen, wie sie helfen.

Mag sein, aber Inimacy? Artifiziell ja, wo aber ist das Intime? Ist es das Nackte im allgemeinen, sind es die passgenauen Öffnungen? Ist es die angenehme Hautstruktur? Ist es das gesamte Objekt und Gott Lob keine Frau. Lebend, denkend, mit Ansprüchen, Moral, Anstand und nicht Anstand?

Bildergalerie:

Ist nicht Intimität ein Zustand von tiefster Vertrautheit der Intimsphäre. Sie kann auf das Körperliche beschränkt sein aber auch erweitert gesehen werden. Intimität ist auch etwas Seelenhaftes, etwas Gefühlvolles. Wer die Intimsphäre eines Menschen verletzt, kann Labilität hervorrufen, das aus der Balance kommen der menschlichen Selbstverständlichkeit. Körperliche Berührungen dienen als Ausdruck von Sympathie und Verstehen. Es ist die Berührungen der Hände, der Haut, der Wangen, das Austauschen von Blicken, das zärtliche Streicheln und das kann zu Lust führen mit dem Geschlechtsverkehr und Orgasmus als Ausdrucksmittel.

Die Reduktion von Intimität auf Lust und Sex ist minderwertig, lässt den Menschen verkrüppeln. Sexdolls helfen all jenen, die sich nicht auszuhelfen wissen. Wo ist die Kunst? Wo ist die inhaltliche Auseinandersetzung? Wo ist das weiterführende Moment im Präsentieren von Sexdolls? Ist der Titel der Ausstellung falsch verstanden worden? Sind nur Männer am entscheiden? Hat noch nie jemand über Genderfragen nachgedacht?

Neben diesen Fragen ist diese Dokumentation eines Handwerks gelungen. Das Thema behandelt eine Nische, die wir immer schon mal gerne näher betrachten wollten. Wie geht es zu im Pornobusiness oder zumindest einer Verwandten. Wer arbeitet da woran, welche Arbeitsschritte sind notwendig? Wie sieht das Resultat aus, was macht es mit dem Menschen, wenn wir eine Sexdoll vor uns haben? Beginnen wir gleich schmutzige Gedanken zu übertragen. Denn die leichte Zufriedenstellung liegt vor uns. 

 

Ars Electronica 2017: Rock Print a Manistone von Gramazio Kohler Research, ETH Zürich + Self Assembly Lab, MIT.

Eine Machine, die ohne viel Material, ohne Mörtel und Klebstoffe, Mauern baut.

Ein Roboter wird mit leichtem Schaumglasschotter über einen Trichter gefüttert. Ein Schlauch führt die Öffnung an das Ziel, Schotter in kleinen Mengen wird abgegeben und zeitgleich mit einer locker aufliegenden Paketschnur verbunden. Bei der Weiterbewegung des Arms, wird die Schnur angezogen, nicht viel, aber ausreichend. Einige Schottersteine fallen runter, andere nicht, sie werden eher in einem kleinen Häufchen gebündelt. Nachdem eine Runde vollbracht ist, wird die Anhäufung mit einer Presse komprimiert, fest geklopft. Dann geht alles von vorne los. Mit dieser Technik entstehen Türme aus nur zwei Elementen: Schaumglasschotter und Faden. Dabei kommt eine solide Struktur aus losem Stein heraus.

Das Projekt ist im Forschungslabor Gramazio Kohler Research an der ETH Zürich und dem Self Assembly Lab des MIT’s entstanden. Fragen wie:

Kann eine bauliche Struktur, eine tragfähige Baustruktur entwickelt werden, die nicht nur von Robotern ausgeführt wird, sondern mit losen Elementen zu einer festen Struktur verwoben?

Es geht um den additiven Aufbau von architektonischen Elementen. Additive Fabrikation von Baustoffen in der Architektur kann vereinfacht als ein dreidimensionales Druckverfahren beschrieben werden. Es ermöglicht, funktionale und ästhetische Eigenschaften in ein Bauteil einzuweben und damit Architektur während des Bauprozesses bis auf die Ebene des Materials zu informieren. Die Grundmaterialien variieren, anfangs ist es der Ziegelstein, dann können andere Baumaterialien auf ihre Tragfähigkeit getestet werden.

Wer bei der Produktion zuschaut, kann ungläubig diese sehr lose Struktur und ebenso lose Fertigungstechnik bestaunen. Kann ein Türmchen mit so wenig befestigenden Materialien überhaupt den kleinsten Puffer aushalten? Es zuckt in den Händen mal ordentlich dagegen zu rempeln. Oder was macht diese Konstruktion wenn ein 8 Kilo Medizinball drauf geschmettert wird? In der Vorstellung fällt alles in sich zusammen. Die Vorstellung bleibt eine Vorstellung und der Turm als Ganzes bestehen. Interessieren würde es schon. Brennend sogar. Aber leider sind wir auf der Ars Electronica und dieses Werk ist auf der Schwelle zwischen Technik, Kunst und Wissenschaft. Mit Robotern.

Sie sind Gewinner des STARTS Prizes.