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Social Sim von Hito Steyerl

Hito Steyerl wurde 1966 in München geboren. Sie steht für den essayistischen Dokumentarfilm und verfasst Texte mit feministischem Hintergrund. Die Arbeiten stehen zwischen Film und Kunst, sie befindet sich an der Schnittstelle von Wissenschaft und Praxis. Sie lehrt zur Zeit an der Universität der Künste in Berlin. Sie wird zu den einflussreichsten Akteurinnen des internationalen Kunstbetriebs gezählt. Sie war sowohl auf der Biennale in Venedig (2015) als auch auf der documenta 12 in Kassel. Und hat eine Vielzahl von Galerien, Museen Ausstellungshäusern ausgestellt. Sie erhielt 2019 den Käthe Kollwitz Preis und lehnte 2021 das Bundesverdienstkreuz ab.

In der Kunsthalle Stuttgart wurde Social Sim, das neueste Werk von Hito Styelr gezeigt. Es besteht aus zwei Teilen. Erst wird man von einer 4 Wand Projektion begrüßt, ein immersiver Raum  mit dem Titel Dancing Mania.  Im hinteren Bereich der Installation, auf die Rückseite wird das Video Essay Social Sim präsentiert.

Beides zusammen ergibt Social Sim.

Dancing Mania ist eine auf 4 Wänden, großformatige Projektion. Auf den ersten Blick geht es hier um die Staatsmacht. Alles ist bewegt. Erst marschieren die Staatshelfer hin und her, vor und zurück, dann hopsen sie in voller Kampfmontur über die Screens. Manchmal sieht man auch Polizei in normaler Uniform. Darüber liegt ein durchgängiger, lauter Tonteppich, der immer wieder von Stimmen gebrochen wird. Was diese Stimmen sagen, ist schwer zu verstehen. Die Autorin hat nichts entschlüsseln können. Von der Tonalität scheint es entweder einen Informations- oder Anweisungscharacter zu haben. Gleichzeitig werden die Hopser, die Polizisten, so werden sie in diesem Beitrag genannt, von engen roten Linien überlagert. Einige Hopser geben die figurative Ebene auf und werden zu einem aus zackeligen bunten Strichen bestehenden Volumen. Die roten Striche legen sich über die figurative Ebene. Manchmal sind es so viele, dass die Bildfläche ausgefüllt ist. Die Hopser vermehren sich, die Tunes sind einbindend. Alles ist laut, nicht nur die Hör- sondern auch die Bildebenen. Die Besucherin steht mitten drin und nach einer Weile der Eingewöhnung kann es zu einem Mitwippen kommen. Die Hopser, egal wie martialisch sie aussehen, inspirieren Nachahmung.

Auf der linken, äusseren Projektionsfläche befinden sich im unteren Bereich Regelfelder. Erst nach einer Recherche offenbart sich das als als output einer Eingabeschnittstelle. In der Kunsthalle Stuttgart steht sie dem Publikum nicht zur Verfügung, wohl aber wurde sie auf einer andern Ausstellung zugriffsfähig gemacht. Dort scheint die Besucher*in, etwas einstellen zu können.

Es ist eine laute und grell inszenierte Animationen in einem Black Cube.

Was versteht die Besucher*in? Eine gewissen Überforderung kann nicht geleugnet werden. Erst nach ein wenig Zeit öffnet sich der Geist um die Bedeutungsebene zu überdenken.

Es ist ein wilder Tanz, ein Taumeln, ein Rausch der Staatsmacht. Nicht uniformierte Bürger gibt es nicht. Man fragt sich, ob die Staatsmacht ohne Bürger auskommt. Ob die Uniformierten sich zwar bewegen und sich in der Öffentlichkeit zeigen, aber die Feier trotzdem eine geschlossene Veranstaltung ist. Da haben Zivilisten nichts zu suchen. Es kann zweierlei gedacht werden: feiert sich ein autokratischer Polizeiapparat, eine Staatsmacht? Oder sind die Bürger bereits Teil der Staatsmacht, gibt es den zivilen Bürger nicht mehr?

Dann geht die Besucher*in durch diesen Raum und betritt im hinteren Teil Social Sim – ein Video Essay. Es ist nicht interaktiv.

Dieses Video bietet ebenso unterschiedlich Erzählmöglichkeiten.

Eine wäre, die Geschichte von einem Polizei Avatar, der ein verschwundenes Kunstwerk sucht. Der Avatar begibt sich in eine Vielzahl von Räumen und am Ende finden Betrachter*innen heraus, dass es sich vielleicht um das Werk „Savator Mundi“ von Leonardo da Vinci handelt. Dabei handelt es sich um ein Gemälde, mit lückenhafter Provinienz. Es zeigt Christus den Heiland, und wird auf ca. 1500 datiert.

Hier einige Hintergrundinformationen zu diesem Gemälde. Es hat eine bewegte Vergangenheit. Für den Zeitraum von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis 1763 gibt es einzelne Eintragungen zum Gemälde. Nach 1900 finden sich sichere Nachweise. Zu diesem Zeitpunkt wird das Gemälde einem Schüler Leonardos zugeschrieben. Der Kunsthändler Robert Simon kauft das Gemälde 2005, lässt es restaurieren und veranlasst erneute Untersuchungen. Erst dann kommen die Experten zum Schluss, dass es sich um ein eigenhändiges Leonardo Da Vinci Gemälde handeln muss. Aber die Einschätzungen variieren. Andere vermuten, dass es eine Werkstattarbeit ist, also Leonardo eine Miturheberschaft daran hat, aber eben nicht mehr.

Es wurde versteigert und gilt mit 405 Millionen US Dollar als das teuerste versteigerte Gemälde. Es ist im Besitz des Saudischen Königshauses. Das zu dem Werk. Zurück zu Hito Styerls Essay Social Sim.

Foto direkt vom Video von Ursula Drees

Der suchende Polizist findet nicht nur das Gemälde von Leonardo da Vinci, sondern auch eine auch Nofretete. Beide Kunstwerke sind animiert, die Formate sind verschoben, verkleinert, vergrößert. Der jeweilige Stil ist getroffen, aber bei den virtuellen Nachbildungen taucht die Frage auf, ob bereits eine Weiterentwicklung der Kunst stattgefunden hat. Vielleicht sind es in sich lebende Kunstwerke?

Es ist nicht einfach diesen Erzählstrang aus der Bilderflut herauszukristallisieren. Hier agiert der Polizist als Detektiv, als Kulturgut Sucher, als ein Verfechter vom Gesetz.

Eine andere Möglichkeit des Verstehens handelt von einem Polizisten oder von vielen identischen Polizisten oder von einem aber unendlich vervielfältigten Polizisten. Die Geschichte beginnt mit einer weiblichen Person. Sie betritt ein Kunstmuseum. Sie sieht fast so aus wie die Polizisten, gehört aber doch nicht dazu. Eine Kunsträuberin, eine Bilderstürmerin, eine Verrückte? Auch sie trägt eine Uniform, aber hier fehlt der Erkennungsschriftzug auf dem Rücken. Die Polizei oder der Polizist trägt ihn auf dem Rücken der Jacke, People. Ist die Polizei der Hüter des Gesellschaft, der People. Ist es genau das Gegenteil? Hat die Polizei die zivile Gesellschaft abgelöst, sogar vereinnahmt? Gibt es die zivile Gesellschaft überhaupt noch, gab es sie jemals? Welche Rolle spielen diese, als Polizei getarnten Avatare? Oder ist es nur ein, unendlich multiplizierter Avatar? Wobei Avatare als digitale Abbildung eines Körpers keinen Anspruch auf Original und Kopie haben.

Das ist kaum zu unterscheiden. Soll die Betrachter*in denken, dass das Gesetz und die BürgerInnen zu einer Einheit wurden? Es bleibt unbeantwortet und mäandert als Subtext mit. Die Frau bewegt sich durch das Museum, trifft auf eine in Holz eingefasste Verglasung und zerstört sie mit einem Hammer. Was diese Verglasung schützt, kann nicht genau identifiziert werden. Aber scheinbar wird hier ein wichtiges Kulturgut transportiert, geschützt oder verwaltet. Die Geschichte nimmt ihren Lauf.

Die virtuelle Kamera kommt in das virtuelle, weiße, transparente Museum. Ein Fischschwarm verirrt sich auch hinein und verschwindet in runden Blasen, nein eher Kugeln. Sie scheinen Ereignisse zu beinhalten, auch wenn nicht näher darauf eingegangen wird. Aber es ist in jedem Fall etwas in ihnen. Der Polizist betritt die Szene, hält sich auf, bewegt sich, schaut, sucht  und wandert. Wie in einem Spiel.

Die filmische Narration ist sprunghaft, assoziativ. Zeiten, Themen, Einstellungen und Szenen sind innerlich auf einer Zeitschiene einzuordnen. Klare Anhaltspunkte zur einer Chronologie werden nicht gemacht.

Alles läuft zusammen und verschmilzt. Selbst beim zweiten Durchblick bleibt die Erzählung verschlüsselt. Es häufen sich Fragen. Die Autorin liest nach. Denn dass sich der Polizei-Avatar auf der Suche nach einem Kunstraub befindet wird nicht deutlich. Da wird nachgeholfen.

Die Erzählfolge ist schnell und ständig im Wandel, kausale Zusammenhänge in Form einer linearen Erzählung verschließen sich. Die Bilderflut ist überwältigend. Wilde Farben und Formen, Bewegungen, Schnitte und Perspektiven wechseln einander ab. Ein irres Schauspiel. Ein Taumel.

Der Titel des Videos erinnert an SimCity oder Computergames. Aber da geht es um den Aufbau einer virtuellen Welt.

Ist es eine Medienkritik oder ist es eine soziale Kritik? Immerhin entstand das Werk in der Coronazeit. War die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt nicht hin- und hergerissen zwischen Folgsamkeit und logischer Erkenntnis. Hat die Pandemie, diese höhere Macht nicht das Handeln, der bis dahin sorgenfreien Gesellschaft einschränkt? Musste die Politik nicht mit Ausgangssperren, Reiseverbot, Schließungen aller öffentlichen Gebäude, von Schulen bis Kino, Clubs und Geschäften auf die Seuchenausbreitung reagieren? Durften private Haushalte keine Freunde oder Familienmitglieder mehr empfangen? Wurde das Tragen einer Nasen- und Mundmaske verlangt, sollten sich die BürgerInnen impfen lassen, auch wenn sie nicht wollten? Auch wenn sie nicht genau wussten, wie der schnell entwickelte Impfstoff auf den Körper und auf individuelle körperliche Befindlichkeiten auswirkt? Wurden die Impfgegner verteufelt, sprossen nicht sogar Bewegungen zur Abschaffung eines Staatsapparates aus dem Boden? Wurden die rechtsradikalen Stimmen nicht viellauter als sonst. Erkennten sie nicht gleich die Chance zur Demokratiezersetzung? Entstanden nicht Theorien zur Verbreitung und zum Ursprung des Virus? Sollte die Pandemie eine von grundlegend diktatorischen Regierungen, als libertäre Staatsformen getarnte,  erfundene Lösung zur Einschränkung von demokratischen Rechten und Freiheiten sein? Oder standen kapitalistische Eigeninteressen von Großkonzernen wie der Bill Gates Corporation, also Microsoft dahinter? Die Gesellschaft fand sich schneller als gedacht in zwei Lagern wieder. Es war ein Glaubenskonflikt. Die einen liessen sich impfen, befolgten die Anweisungen der Bundesregierungen und die andere Gruppe lehnte die Impfungen ab und stellte sich gegen die staatlichen Anweisungen.  Eine Zeit der Dualität, und der klaren Trennungen durch gesellschaftliche Glaubensansätze.

Dieses Videoessay lässt Deutungen offen. BetrachterInnen sind auf ihre Wahrnehmung und den Wunsch der vorbehaltlosen Deutung angewiesen.

Ist es eine Kritik an der durch Datenflut leblosen, süchtigen Gesellschaft? Von Menschen, die ihre Eigenständigkeit willentlich in ein großes Überwachungssystem einspeist und sie aufgibt. Einer Gesellschaft, die individualisiert denkt, Gemeinschaft ablehnt, lieber eine Innenschau betreibt und das Subjektive zum Gesetz erklärt? Handelt es sich um eine Gesellschaft, die ein eskapistisches Versinken in Unterhaltungsformaten der Wirklichkeit vorzieht. Eine Gesellschaft, die in Ruhe gelassen werden möchte und den Kopf in den Sand steckt? Geht es nicht mehr um eine allgemein-gültige Wahrheit? Geht es um Interessen und Überzeugungen?

Ein komplexes Werk. Es wirft Fragen auf, die durch biografische und werkästhetische Studien entwirrt werden können. Für Museumbesucher*innen ohne tieferes Wissen ein wahrhaft erschütterndes Bild -und Toninferno. Eine göttliche Komödie.

Dieser Filmessay wurde mit KI gesteuerter Software hergestellt. Die ursprünglichen Daten beruhen auf Daten polizeilicher Gewalt in Deutschland und Frankreich.

Dancing Mania

The Video Installation „SocialSim“ Hyto Steyerl’s neuestes Werk.

Beitrag von Ursula Drees

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