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Category Archives: Allgemein

Biennale Venedig 2015: „Crossing the Tide“ von Vincent J.F. Huang, Tuvalu

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Tuvalu stellt im Arsenale aus. Es ist ein kleines Land, tatsächlich das kleinste auf der Biennale Venedig 2015 mit einem eigenen Beitrag. Und deshalb okkupiert dieses Land nur einen Raum  des Arsenale. Arsenale bedeutet Arbeitsstätte.

Der Wortstamm findet sich im Arabischen. Es beschreibt die Schiffswerft, das Zeughaus, die Flottenbasis der ehemaligen Republik Venedig und wurde 1104 begonnen; über die Jahrhunderte erweitert und vergrößert. Es wird in Dantes Göttlicher Komödie als Ort der emsigen Geschäftigkeit beschrieben, hier manifestierte die Republik Venedig ihre einstige Seemacht. Innerhalb weniger Wochen konnte eine Handelsgaleere in ein Kriegsschiff umgebaut werden. Wer heute abseits der Biennale zum Arsenale geht findet eine ruhige große Fläche mit der Führungsakademie der italienischen Marine und ein Marinemuseum vor. Für die Biennale wird alles für die Kunst freigegeben.

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Im Arsenale werden Länder ohne eigenen Pavillon präsentiert. Und Einzelarbeiten von Künstlern gezeigt. Einen Tag braucht jeder Besucher mindestens für dieses Gelände. Und in dem Fall würde der Kunsttag um 10 Uhr beginnen und um 18 Uhr enden. Und in der Zwischenzeit gäbe es Verschnaufpausen und Momente der Unaufmerksamkeit, denn es ist viel was es hier zu sehen gibt. Das kann wohl keiner an einem Tag vollständig erfassen.

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Zurück zum Beitrag von Tuvalu. Dieser Staat ist etwas größer als der Vatikanstaat und hat etwas mehr als 10.000 Einwohner. Es liegt nördlich von Neuseeland und östlich von Papua-Neuguinea. Eine kleine Insel die vom Untergang bedroht ist. An den höchsten Punkten liegt die Insel, eigentlich mehrere Inseln, nur 5 Meter über dem Meeresspiegel. In absehbarer Zeit wird dieser Staat nicht mehr da sein, die Inseln werden überflutet. Die Folgen des Klimawandels machen sich hier dramatisch bemerkbar. Die Menschen von Tuvalu müssen Asyl in den benachbarten Staaten beantragen, oder aber die Regierung kauft Land in Australien und siedelt dorthin um.

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Und genau damit beschäftigt sich in die Installation. In einer der ehemaligen Fertigungshallen des Arsenal sind mehrere flache Wasserbecken eingelassen. Mehr nicht. In dem Raum ist es schwül, hohe Luftfeuchtigkeit und lichter Nebel bewegt sich dicht über der Oberfläche. Über mehrere schmale Stege geht es durch den Raum. Links Wasserbecken, rechts Wasserbecken. Im Raum vor diesem war es angenehm kühl. Hier schlägt das tropische Klima direkt auf die Haut und Atmung. Mehr braucht es auch nicht, denn die Botschaft ist klar formuliert.

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Der Künstler Huan arbeitet und lebt in London. Seine Arbeiten beschäftigen sich mit Umweltproblemen. Er sieht sich in einer Reihe mit Joseph Beuys und dem Thema der Sozialen Skulptur. Er will Anliegen und Notstände in die Kunst bringen, das macht er durch teils mobile und interaktive Installationen, alle benötigen die Mithilfe des Besuchers. Hier im Arsenal ist es nur wenig was zu tun ist. Denn wir müssen nur den Titel lesen, das Land und durch die dampfende Wärme gehen. Dann wissen wir sofort dass hier der Klimawandel besprochen wird. Auf eine sehr einfache und klare Weise, sehr eindringlich dazu, es geht kein Weg an der Erkenntnis vorbei.

Biennale Venedig 2015: „Sustainable Identities“, Szilárd Cseke, Ungarn

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Im Ungarischen Pavillon werden 3 Kunstwerke von Szilárd Cseke gezeigt: Multiple Identities, Sustainable Development, und die Sound Installation More and more!

Das Augenmerk wird auf Multiple Identities gerichtet. Es sind unter der Decke des Beton – Innenraums angebrachte, schwach milchige Plastikrohre, in denen durch Ventilatoren bewegt, weiße Kugeln rollen. Eine nach der Anderen. Kommt die Eine an, wird an einer anderen Röhre eine Neue abgeschickt.

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Solche Arbeiten atmen innere Geschlossenheit. Diese Geschlossenheit ist manchmal eine Verschlossenheit, wenn nicht sogar Verschlüsselung. Denn die Sprache der contemporativen Installationskunst ist fremd und schwer lesbar. Der Betrachterblick will gerne subjektiv bewerten, wird immer durch Umgebungseinflüsse wie Kultur, Trends, Stile, Überzeugungen, Erfahrungen und Politik geprägt. Dadurch wird die Interpretation unsicher, es wird subjektiv, gerne zu Verfehlungen verführend. Denn wer behauptet, das Kunstwerk entstünde im Auge des Betrachters und damit meint, dass jeder Hinz und Kunz, egal woher und wie gebildet, eine valide Aussage zu einem Kunstwerk treffen kann, ist falsch. Was Marcel Duchamp meinte ist, dass es sich im Auge des Betrachters entfaltet. Aber diese Entfaltung sollte nicht bedeuten, dass das reine Aufschlagen der Augen auch Erkenntnis und Einsicht mit sich bringt. Diese Qualitäten werden durch aktive Teilhabe, durch Wahrnehmen entwickelt. Das wiederum ist nicht nur durch den optischen Reiz im Auge machbar. Es geht jedoch, wenn man weiß, wer der Künstler ist, was er macht, was er wünscht auszudrücken und mit welchen hintergründigen Gestaltungsprinzipien der Blick in welcher Art auf was geleitet wird. Dann erst findet die Verarbeitung statt, ein Verbinden der kausalen Zusammenhänge, was letztendlich zur Kunst im Auge des Betrachters führt. Zu einem inneren Bewegtsein außerhalb der spontanen Gefühle.

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Kunst will genauso verstanden werden wie mathematische Formeln, wie Physik, wie Naturwissenschaft. Nur in diesem Bereich leuchtet uns die persönliche Einschränkung und Unzulänglichkeit schneller ein. In der Kunst dauert es.

So geht es auch mit dieser Installation. Wie mit allen Werken, die auf der Biennale gezeigt werden im Übrigen. Sie sollen, ja müssen einen Entschlüsselungsvorgang wachrufen, der nicht impulsiv vollzogen wird.

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Im Werk von Cseke Szilárd werden globale Einflüsse auf die Identität behandelt. Es werden Fragen nach Migration, nach persönlichen Meinungsbildern und Entscheidungsprozessen angestoßen. Diese Themen sind abstrakt und eine Formsprache zu entwickeln ist in der Tat ein künstlerischer Akt. Mit diesen Kenntnissen erschließt sich die Installation. Denn wir sehen einen scheinbar leichtfüßigen, luftigen Akt der Bewegung in einem vorgegebenen Weg. Einem Ankommen und dann einen ähnlichen Akt. Aber dieser ist nicht als Kettenreaktion zu verstehen, er findet nicht in unmittelbarer Nähe und in Verbindung zueinander statt. Dieser neue Akt ist in einer anderen Röhre, vielleicht näher, vielleicht entfernter. Es sind nicht offensichtlich aufeinander folgende Reaktionen. Auch wenn sie gleiche Züge aufweisen: Geschwindigkeit, Größe, Strecken und Ankunft.

Und jetzt wird die formale metaphorische Ebene begriffen. Wir erkennen die Dynamik, wir erkennen die Individuen und deren Bewegungen, verschiedene Richtungen zwar, immer ein Ankommen, immer das Lösen einer neuen Bewegung. Ein nicht endendes Schauspiel. Wo es endet wissen wir nicht.

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Biennale Venedig 2015: Heimo Zobernig, Österreich

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Der  1934 nach den Plänen von Josef Hoffmann und Robert Kramreiter realisierte Bau des Österreichi­schen Pavillons hat der Kunstprofessor an der Akademie der bildenden Künste Wien Heimo Zobernig gestaltet. Er hat veränderte den Innenraum und stellt dabei die Frage nach der Kunst.

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Wir gehen hinein und schreiten durch die Räume. Es ist ein Atrium, das links und rechts durch jeweils 2 weitere gleich große Räume flankiert wird. Dann geht der Besucher an den jeweiligen Seiten der Flanken in den hinteren Bereich, eine offener überdachte Terrasse. Sie öffnet sich zu einem bepflanzenden Garten. Die Bereiche sind sachlich, kühl und zurückhaltend. Die Architektur spricht Ruhe und Gelassenheit.

Und ist vollständig leer. Wir fragen uns, wo denn die Kunst ist und fühlen uns wie Loriot. Gehen hin und her, schauen und setzen uns auf die zwei weißen Bänke. Schauen und dann lassen wir die Kunst Kunst sein, entspannen, genießen die dunkle und kühle Atmosphäre. „Ist schön hier nach den vielen andern Pavillons.“

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Wir nehmen die Kamera hervor und machen einige Photos vom einfallenden Licht. Von den Reflektionen, von den Grauschattierungen. Jetzt endlich! Es fällt der Groschen. Natürlich, wir sitzen inmitten der Kunst. Denn ist die Decke nicht erstaunlich tief? Der Pavillon ist doch eigentlich architektonisch anders. Tatsächlich, die Decken sind abgehängt, ein doppelter Boden eingelegt. Es gibt keine Schwellen, es ist ein vereinheitlichter Ausstellungsraum. Keine Dachfenster,, keine Rundbögen. Die Wände sind weiss geblieben.

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Dieser Pavillon lässt mich die Kunst durch meine eigenen Aufnahmen erkennen. Die geometrischen und formalen Linien, Flächen, Hell- und Dunkelschattierungen. Jedes Foto strahlt Einheit, Ruhe, Gestaltung und Komposition. Ich bin der Künstler. Heimo Zobernig stellt den Raum. Zur Eröffnung des Pavillons sagt er: „Jetzt haben wir Punkt Null erreicht, ich trete zurück und Sie können es selber erleben.“ Wir haben die Besonderheit dieses Werks entschlüsselt und gehen beflügelt hinaus. Erfrischt, erstaunt und erbaut.

Biennale Venedig 2015: „Darwins Room“ von Adrian Ghenie, Rumänien

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Darwins Room: Malerei von Adrian Ghenie(*1977 in Baia Mare) ist im rumänischen Pavillon in den Giardini zu sehen. Malerei, wir wiederholen das Wort. Denn das gibt es nicht mehr so oft in den Länderpavillons.

Es sind klassische Werke: Öl auf Leinwand, nicht überdimensioniert, gut überschaubar, manchmal sogar eher Kleinformatig. Auch Zeichnungen mit Bleistift finden wir. Alt ist er nicht dieser Adrian Ghenie, gerade mal 37 Jahre. Seine Malerei derweil ist modern und klassisch. Klassisch die Portraits, die Motive, modern durch den Stil. Er arbeitet nicht mit Pinsel und Palette, nur mit Spachtel und Schablonen. Natürlich sind diese Utensilien auch nicht neu, aber das was er mit ihnen auf der Leinwand mit Ölfarbe vollbringt ist eindrucksvoll. Es ist ein gestisches Malen. Er selbst sagt: „You cannot paint this with a brush. It’s simply the result of an accident. Everything is an accident. Very few things are actually painted.“

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Man kann die Bilder nicht mit einem Pinsel malen, sie sind eher ein Resultat eines Zufalls, oder vielmehr eines Missgeschicks, eines Unfalls. Alles ist ein Störfall, Unfall. Es gibt nur weniges was tatsächlich gemalt wurde“. Von der Ferne erscheinen seine Bilder deutlich, je näher man kommt, desto stärker verflüchtigt sich der Eindruck. Die Farben verschwimmen. Das Auge sucht nach Grenzen, nach dem vorher so klar erkannten Figurativen. Als sei die Oberfläche zerstört, es ist ein brutaler Akt der Entstellung. Die Haut ist weggerissen und man sieht auf die innersten Tiefen. Dann tritt man wieder zurück und findet die Form erneut. Seine Kompositionen atmen den Geist des Verfalls. Die Bilder sind figurativ und abstrakt in einem.

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Er malt Portraits von Persönlichkeiten des 20sten Jahrhunderts und präsentiert sie im Pavillon. Menschen, die mit Völkermord und Misshandlung von Nationen assoziiert werden: Lenin, Ceausescu oder ein Dr. Joseph Mengele. Viele der Bilder heißen: Pie Fight Study 1 , 2, 3, 4, usw. Und so stehen wir von den Gemälden und versuchen die Gesichter zu erkennen. Wer verbirgt sich dahinter?

Er malt Gesichter und denkt an die ideologische Verkrüppelung der Darwinschen Theorien durch Nationalsozialisten.

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Er hat auch andere Motive: so Bilder von Lenins Grab, den Fensterspringer,  Laurel und Hardy oder Duchamp’s Grablegung. Seine Bilder sind in der Regel keine Cocktailparties, eher dunkle Kompositionen zu düsteren Themen. Meisterwerke.

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„GOLD“ von Alexander Tuschinski


 ATuschinskiPortraitWeb2014Alexander Tuschinski versteht sich als Filmemacher der neuen Art. Er ist jung, unermüdlich, experimentell und gewagt. Aber dabei kennt er der Film.  Er weiss die Kraft der Bilder einzusetzen, er kann montieren und collagieren. Aber dabei bleibt die Geschichte erhalten. Ein ungeheuerer Zugewinn für die Filmcommunitiy.  Seine Filme sind humorvoll, manchmal grotesk, immer ein Erlebnis. Neben der Filmmacherei schreibt Herr Tuschinski Bücher. Sein zweites Buch ist gerade fertig geworden. Noch im Selbstverlag erhältlich, aber wir hoffen dass sich dies ändert. Herr Tuschinksi lebt und arbeitet in Stuttgart. Unlängst wurde sein Experimental Kurzfilm „GOLD“ auf der Biennale in Mykonos im Wettbewerb angekommen. Dies haben wir zum Anlass für ein Interview genommen.

Herr Tuschinski, sie sind Autorenfilmemacher. Ihre Filme werden in den USA geliebt, gewinnen Preise und es wird gesagt, sie würden eine neue filmische Sprache entwickeln. Der neue Deutsche Film heisst es da oft:

Welche Filmpreise haben sie bereits gewonnen?

Vielen Dank für die freundlichen Worte! Meine Filme haben in den vergangenen Jahren international mehr als 20 Preise gewonnen – unter anderem hat mein Film „Break-Up“ 2014 bei den American Movie Awards als den Preis als „bester fremdsprachiger Film“ gewonnen, beim Hollywood Reel Independent Film Festival zwei Preise, und bei den Maverick Movie Awards der Preis für die beste Regie.

Was genau macht den Unterschied: ihre filmische Sprache und die bekannte, erwartete Filmsprache?

Bei vielen Filme die ich zur Zeit sehe ist die Filmsprache leider verhältnismäßig „konventionell“, zwar sehr professionell und schön, aber doch nach festen Schemen abgearbeitet, und folgt fast schon lehrbuchmäßig etablierten „Regeln“. Zum Beispiel werden Zooms in Spielfilmen kaum verwendet, Schnitte oft möglichst unauffällig gesetzt, und so weiter. Das sorgt dafür, dass die Zuschauer durch die oft vorhersehbare Filmgrammatik (Totale geht zu Close-Up, etc.) nicht so stark gefordert werden, da sie in ihren erwarteten Sehgewohnheiten entsprechen und der Signifikat (die transportierte Story) den konservativ-berechenbaren Signifikanten (die Art, wie sie dargestellt wird) in der Wahrnehmung massiv überragt.

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In meinen Filmen versuche ich möglichst, „Regeln“ zu vergessen und trotzdem konventionell genug zu bleiben, damit sie noch von einem großen Publikum verstanden werden; die Idee ist dass aufmerksame Zuschauer in meinen Filmen gerade auf technischer Ebene noch viele Details entdecken können, welche über die „Story“ hinausgehen. Ich liebe kurze Close-Ups, um eine Stimmung aufzubauen, Zooms und unerwartete Schnitte, um die Zuschauer aus einer gewissen „Lethargie“ gegenüber des Signifikanten zu reißen. Das im Film dargestellte Geschehen, die Aussage – der Signifikat – soll nicht so stark im Vordergrund stehen, sondern gleichwertig mit der Art, wie es gesagt wird (dem Signifikant) bewusst aufgenommen werden. Denn das ist eine Ebene, welche mindestens ebenso interessant wie die „Story“ sein kann, mit ihr verwoben ist. Ich verwende gerne eine Analogie zur Sprache, was Filmgrammatik angeht: Für mich gibt es „Substantive“ (Einstellungen, die ein Ding an sich zeigen, z.B. Totalen), „Verben“ (Aktionen, die gezeigt werden in Close-Ups etc.), und Adjektive (beschreibende Dinge, Cut-Aways, Details). Während zahlreiche Filme nach dieser Sichtweise sprachlich und grammatikalisch „klassisch“ konventionell bleiben, versuche ich in meiner Bildsprache nach Slam-Poetry-Manier die Wörter unerwartet durcheinanderzuwerfen, neue grammatikalische Konstrukte zu bauen und trotzdem ein sinnvolles Ganzes zu ergeben.

Ich orientiere mich an Sergei Eisenstein und Dziga Vertov, sowie dem Frühwerk meiner Freunde Tinto Brass (der übrigens in den 60ern von Umberto Eco mit zwei Kurzfilmen beauftragt wurde, die damals eine neue Bildsprache einläuteten) sowie Hugo Niebeling, der als Mitbegründer der modernen Musikvideo-Bildsprache gilt. Alle genannten hielten und halten sich in ihren Arbeiten nicht an etablierte Konventionen, sondern arbeiteten eher nach sehr subjektivem Gefühl, so wie sie es ästhetisch als „richtig“ empfanden.

Sie machen Spielfilme, Kurzfilme und auch experimentelle Filme. Zum Beispiel ist der Experimentalfilm GOLD gerade auf der Filmbiennale in Mykonos angenommen worden. Erzählen sie wie sie zur Idee kamen und was gezeigt wird.

Die Idee zu Gold war sehr spontan. Als ich dieses Jahr Geisterstädte in der Wüste besuchte in denen im 19. Jahrhundert Bergbau betrieben wurde, hatte ich eine DSLR-Kamera dabei, um Fotos zu machen und kurze Clips zu drehen, als „Urlaubserinnerung“. Als ich dort allerdings ankam, merkte ich, wie interessant es aussieht, und vergaß den „Urlaub“: Meine Freunde und ich begannen Kilometer um Kilometer zurückzulegen, um immer mehr interessante Bilder zu filmen, und besuchten schließlich auch einen Wald mit Mammut-Bäumen, um einen Kontrast zu den Wüstenbildern hinzukriegen. Alle visuellen Ideen kamen uns dabei spontan, es gab kein „Location-Scouting“, aus Zeitgründen konnten wir nicht oft an die Drehorte. Wir legten an einem Tag 20 Kilometer durch bergiges Gebiet zurück, es war sehr anstrengend, aber am Ende hatte ich 6 Stunden Filmmaterial aus unzähligen Kameraperspektiven.

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Beim Schnitt kam mir die Idee, das Finale von Beethovens siebter Sinfonie als musikalische Untermalung zu nehmen – Richard Wagner nannte es die „Apotheose des Tanzes“. Ich habe den Film in nur vier Tagen Ende März 2015 geschnitten, es war eine wahnsinnig intensive Zeit, um am Ende eine Choreographie unbewegter Objekte zur Musik zu haben, die nur durch Montage sowie Kamerabewegung eine zur Musik passende Dynamik entwickeln.

Welche Aussage wollen sie treffen? Ist es eher zufällig oder haben sie etwas bestimmtes im Kopf gehabt.

Beim Filmen dachte ich schon, dass wir den Kontrast zwischen Natur und (verfallenden) menschlichen Strukturen darstellen können: Alles menschliche geht in der Natur auf. Im Schnitt habe ich die Aussage auch scharf herausgearbeitet: Kamerafahrten einen Mammutbaum hinauf werden mit gleichen Kamerafahrten bei einem rostigen Auto gegengeschnitten und gehen schließlich in einer Drehung durch Baumwipfel auf; Ein (durch die Kameraführung) rotierender Eingang zu einem verlassenen Bergwerk geht schließlich in einem (rotierenden) Berg auf, und so weiter.

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Würden sie Gold als einen Anfang für weitere Filme in dieser Art sehen?

Auf jeden Fall. Inwiefern Gold andere Filmemacher beeinflusst, kann ich zwar noch nicht sicher sagen – aber für meine persönliche Entwicklung als Regisseur ist der Film sehr wichtig. Einer meiner Pläne ist es, die gesamte siebte Sinfonie von Beethoven in der Art zu „verfilmen“, mit „Gold“ als Finale. Außerdem planen Hugo Niebeling und ich mehrere gemeinsame Projekte in ähnlichem Stil, die allesamt sehr innovativ und neu in Bildsprache und Ausdruck sind.

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Erzählen sie von ihrer Kameraarbeit bei Spielfilmen.

Bei Spielfilmen versuche ich auch möglichst viele originelle Perspektiven zu filmen – aber nicht so extrem wie bei „Gold.“. Bei Gold entsteht die Dynamik, die Aussage durch die Kameraführung und Montage, der Signifikant erzeugt praktisch erst die Aussage des Films. In Spielfilmen muss für mich die Kameraführung zwar originell sein, aber doch auch der „Story“ Platz lassen.

Ein Beispiel wäre z.B. mein Kurzfilm „Hollow Date“, der eine etwas erweiterte Szene aus meinem Spielfilm „Break-Up“ ist. In meinen Spielfilmen verwende ich möglichst viele originelle Kameraperspektiven, aber orientiere mich in der Grammatik immer noch an den Konventionen, um sie verständlich zu halten. Um das Beispiel Slam-Poetry vs. klassische Literatur aufzugreifen, und die Analogie zur Sprache darin: Ich werfe „Wörter“, also Einstellungsarten, darin durcheinander, arbeite vielleicht mit mehr Adjektiven, Substantiven etc. als andere, aber jeder „Satz“ muss doch Subjekt, Prädikat, Objekt haben, damit der Rezipient ihn verstehen kann. Aber er sollte nicht nur lehrbuchmäßig formuliert sein, sonst wird es dabei langweilig.

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Erzählen sie über ihre Herangehensweise wenn es ums Storyboarden geht. Als Autorenfilmemacher, halten sie das für wichtig?

Das Storyboarden ist eine starke Geschmacksfrage, ich kenne Filmemacher die es nicht missen mögen, andere, die es nicht machen. Ich persönlich storyboarde sehr wenig. Beim Schreiben von Szenen habe ich öfters zwar Einstellungen im Kopf – aber vertraue auf die Inspiration am Set, und das hat bisher immer geklappt. Ein „Trick“, den ich verwende: Ich filme die gesamte Szene zunächst aus einer Totalen; dann die Nahaufnahmen, alles klassisch; und dann die interessanteren, ungewöhnlichen Perspektiven. Sollte es zeitlich nicht klappen alles zu filmen, kann man dann im Schnitt notfalls immer wieder zur Totalen ausweichen, und spart sich Nachdrehs. Aber zum Glück ist es noch nie so weit gekommen, dass es nötig gewesen wäre.

Ich empfinde es als am Wichtigsten, viele Filme zu schauen, die einem gefallen, damit man im Kopf ein spontanes Stilempfinden entwickelt. Ich z.B. mag frühe Werke von Tinto Brass sehr („L’Urlo“, der auf der Berlinale 1970 lief, „Col Cuore in Gola“ von 1965 etc.), und habe viel analysiert, was mir an der Kameraarbeit gefällt und dies in meinen Stil einfließen lassen. Wenn wir schnell eine Totale filmen, weiß ich auch spontan, dass sie nach meinem Empfinden „elegant“ ist, wenn man sie von unten und sehr weitwinklig filmt; so ein Empfinden für den Stil der einem gefällt kann einem bei hektischen Drehs viel Zeit sparen, wenn man ohne Storyboards arbeitet.

Welche Bedeutung haben Schauspieler und Schauspielführung bei ihren Filmen?

Eine sehr große. Die Schauspieler füllen die Szene erst mit Leben. Auf meinen Sets probe ich viel, und lasse die Schauspieler auch improvisieren und eigene Ideen einbringen. Da ich alle meine Spielfilme bisher auch selbst geschrieben habe, hat es den Vorteil, dass ich das Drehbuch ohne schlechtes Gewissen auch am Set noch abändern kann. Zum Beispiel lasse ich Darsteller den Text in einem gewissen Rahmen abändern, damit er zu ihrer Interpretation der Rolle auch besser passt und „natürlicher“ wirkt. Ich arbeite oft mit neuen Schauspielern, für die meine Filme teils die erste Filmrolle überhaupt sind, und durch lange Proben sind sie – sobald die Kameras laufen – sicher und routiniert.

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Für „Timeless“ arbeite ich erstmals auch mit Hollywood-Schauspielern zusammen, und es war sehr interessant: Rick Shapiro – ein bekannter und sehr talentierter Stand-Up Comedian – improvisierte, nachdem wir das abgesprochen hatten, viele seiner Monologe und benutzte mein Drehbuch quasi als „Sprungbrett“, um den Inhalt mit eigenen Worten zu transportieren.

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Wir alle am Set liebten es; und im Schnitt setzte ich dann die Szenen mit ihm aus zahlreichen verschiedenen Takes zusammen, führte praktisch im Schneideraum weiter Regie. Harry Lennix, ein bekannter Shakespeare-Darsteller, hatte einen anderen Ansatz: Er und ich arbeiteten vor dem Dreh an seinem Part, und während des Filmens spielte er mit perfekter Wiederholgenauigkeit sehr präzise seine Rolle.

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Bei den verschiedenen Ansätzen ist aber gemeinsam, dass die Darsteller für ihre Rolle bei mir immer mitreden dürfen. Und für Schauspielerführung sowie auch allgemein finde ich wichtig, dass auf dem Set eine gute Stimmung herrscht, man eventuelle Missgeschicke mit Humor sieht, etc. Die entspannte Atmosphäre tut nicht nur allen Beteiligten gut – man sieht es auch in den Performances der Darsteller; wer entspannt und mit Spaß bei der Sache ist, kann leichter schauspielern.

Herr Tuschinski, wir dürfen uns für dieses Interview bedanken und hoffen in der Zukunft viel von Ihnen zu hören. Danke dass sie sich die Zeit genommen haben. Abschliessend wollen wir darauf verweisen, dass alle Fotografien © von Herrn Alexander Tuschinski sind.