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Low-tech Virtuality experience for one performer and one participant. Virtual Feelings, Episode 1: The Kiss von Inbal Yomtovian und Marc Fragstein.

Die Besucherin wird einzeln aufgerufen. Es geht einige Stufen nach unten, Türen gehen auf, werden geschlossen, hinein in den ersten Flur, dann in den zweiten. Dort steht der kleine runde Tisch, ein Stuhl. „Bitte legen sie ihre Brille ab, ziehen sie die Schuhe und Strümpfe aus, legen sie die Kette, Uhr und das Halstuch ab.“  Alles wird befolgt, dann werden die Augen verbunden und  Kopfhörer aufgesetzt. Glücklicherweise wird die Besucherin zum tatsächlichen Performance Ort geleitet. Bis dahin ist alles Wirklichkeit. Alles.  Natürlich interessiert die Low-tech Virtuality experience for one performer and one participant. Keine Frage, die Rezipientin wundert sich, wo denn die Medien, die Technik und der Datenhandschuh, oder das Head Mountet Set ist. Das gibt es alles nicht.  Es ist eine Low Key Virtual Reality Performance

Illustration der gedachten Ereignisse © Ursula Drees

Nun sitzt die Besucherin auf dem Sofa und Musik und Kneipengeräusche sind aus der Ferne zu hören. Die Tür geht auf, Rauchgeruch schwappt in die Nase. Schritte und schon wird eine sehr gut gekühlte Flasche in die Hand gedrückt. Da sitzt sie nun, mit Augenbinde und hält die Flasche in der Hand.  Trinken nun oder nicht? Was mag in der Flasche sein? Bier, Schnaps, Wasser, Wasserfarbe, Wein, Sprudel? Die Tür geht wieder auf, wieder Rauchgeruch, Schritte. Jemand berührt die Schulter.  Wird gerempelt? Plötzlich wird eine Flüssigkeit über die Füsse gegosssen.

Das Kopfkino beginnt, denn eigentlich lässt es sich gut entspannen. Das Vertrauen wächst. Innerlich geht die Stimme los und beschwert sich über das grobe Verhalten. Dann geht die Tür wieder auf und jemand nimmt nebenan auf der Couch Platz. Sehr nah und aufdringlich. Der Atmen riecht nach Bier, Hände berühren die Schulter und sogar das Gesicht. Es riecht. Jetzt heisst es reagieren. Die Besucherinn mag nicht ausserhalb der Situation sein. Sie dreht den Kopf weg, hält die Hand an ihr Gesicht und unterbricht die unerwünschte Annäherung. Sie will sich nicht weiterhin in einem künstlerischen Raum befinden, denn alles was geschieht ist Wirklichkeit. Das Aufdringliche verschwindet, die Tür geht auf und zu.

Illustration der gedachten Ereignisse © Ursula Drees

Eine Pferd läuft hinter der Rezipientin vorbei. Dann kommt ein Hund. Es ist sicherlich ein grosser Hund. Seine riesige Zunge schleckt die Flüssigkeit vom Fuss. Dann wird auch ein bisschen das Hosenbein beschleckt. Sehr hündisch alles. Auch er verschwindet. Dann geht alles sehr schnell. Ein Difilibrator wird auf die Brust gesetzt, es ist eine schreckliche Notsituation. Was geht hier vor? Ist so der Herzinfarkt, ist es einer der zur Besucherin gehört? Oh ja, die Hand erhebt sich und greift zum  medizinischen Gerät. „Lass ab von mir“. Aber es ist zu spät, wenige Augenblicke später liegt ein pulsierendes Herz in der Hand. Warm, lebt es in der Hand. Wer hat da wessen Herz gestolen? Ist es vielleicht das Eigene? 

Illustration der gedachten Ereignisse © Ursula Drees

Dann ist es vorbei. Hoffentlich ist hier das Leben nicht gegangen. Scheinbar. Aufstehen, zurück geleitet werden, nach draussen und die Verdunklungsmaske und die Kopfhörer dürfen abgelegt werden. Der Ort des low key virtual reality performance wird verlassen, die eine Wirklichkeit wird mit einer anderen ausgetauscht. Das Erlebnis ist eindringlich, es ist wahrhaftig. Die innere Geschichte ist erlebt, auch wenn sie nach 6 Minuten ein Ende findet.

Später werden die Techniken erklärt. So befinden sich tatsächlich auf einem Tisch alte Bierflaschen und volle Aschenbecher. Die muffeln überzeugend nach Kneipe. Der Raum selbst ist eher eine Kammer, winzig. So klein kommt sie in der Vorstellung nicht daher. Die Hundezunge ist ein nasser Lappen und der Defilibrator ein Staubsauger auf der Brust. Gerade der Staubsauger ist verblüffend. Hätte die Besucherin gewettet, es wird tatsächliches Gerät angelegt. Das pulsierende Herz ist Slime, etwas erwärmt. Das wiederum erstaunt nicht, ähnliches wurde vermutet. Ein tolles Erlebnis, eine tolle Performance auf dem 33. Stuttgarter Filmwinter erlebt.

Beitrag von Prof. Ursula Drees

Zum Filmwinter: „Seit über 30 Jahren widmet sich das Festival den Grenzübergängen von Kino und Medienkunst mit einem experimentierfreudigen internationalen Programm aus Filmen, Workshops, der Expanded Media Ausstellung und Performances. Kern des Festivals sind die internationalen Wettbewerbe für Kurzfilm, Medien im Raum und Network Culture flankiert von einem generationsübergreifenden umfangreichen Programm. Jedes Jahr steht der Stuttgarter Filmwinter unter einem bestimmten Motto. Dieses findet sich in der Gestaltung, Rahmenprogramm und der gesamten Aura des Festivals wieder. Bei der Festivaledition im Januar 2020 erforscht der Stuttgarter Filmwinter das Thema Abwesenheit.“

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