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Ars Electronica 2017: POSTCITY: A LIVING PIECE OF ARCHITECTURE von Julian Jauk

Es ist ein Prototyp für eine lebende Architektur. Eine Haut, hoch elastisch und äußeren Einflüssen resistent spannt sich über Bögen, die wiederum mobil auf Schienen in der Horizontalen beweglich sind. Die Bögen scheinen sich leicht drehen zu können, um gegebenenfalls einen Höhenunterschied zu erreichen. Es gibt ca. 9 Bögen, die hintereinander angereiht sind und jeder ist unabhängig vom anderen zu bewegen. Mit verschiedensten Beleuchtungsbedingungen verändert sich die Position der Bögen und damit spannen und bewegen sie die elastische Außenhaut. Das Gebäude verändert seine Gestalt. Die Bögen gehen der Helligkeit nach, zumindest im Model.

Über Proportionen wird noch nicht viel gesagt, es können kuppelartige Hallen sein, aber auch Einzelwohnstätten sind vorstellbar.

Ein Haus dessen Wände und Dach stetig die Position ändern. Die Oberfläche ist an bestimmten Stellen perforiert und mit der Dehnung weiten sich die Perforationen und lassen Helligkeit durch oder sie ziehen sich zusammen, dann fällt entsprechend wenig Licht und Luft ein. Die heutigen Konzepte von smart homes bewegen sich in Richtung remote control von eingebauten oder installierten Devices wie Licht, Heizung, Helligkeiten, Fensteröffnungen, Garagen, Türschloss, mögliche Appliances in der Küche wie Kaffeemaschine oder Herd an- oder ausschalten.

Hier haben wir es mit einer anderen Art von Smart Architektur zu tun. Sie passt sich den ökologischen Einflüssen an, es geht ums Ganze. Einerseits kann der Gedanke in Richtung ecohouse weiter gedacht werden, andrerseits in Richtung mobile Architektur. Vielleicht gibt es Konzepte von Behausungen die gleichzeitig zu Höhenunterschieden an Wänden und Dach auch die Volumen erweitern oder verringern können. Ein Ziehharmonikahaus.

Wie lässt sich das Day to Day Life darin vorstellen? Wo werden Schränke für Geschirr, Töpfe, Besteck oder Flaschen aufgestellt? Wohin mit Kleidern, Schuhen, Schreibtisch, Stühle, Tische, Betten, Bettwäsche? Werden entsprechend mobile Raumtrenner entwickelt? Besitzen die Menschen heutzutage nicht Unmengen von Dingen? Wohin damit, wenn wir sie nicht mehr an die Wand stellen? Das Leben in Innenräumen würde revolutioniert. Es könnte die Bewegung des Wohnminimalismus anfeuern.

Was machen wir bei einem Streit mit dem Partner? Wenn wir jemanden aus dem Weg gehen müssen? Was bedeutet dann Privatsphäre, was Intimsphäre? Vielleicht würde die Architektur auch damit umzugehen wissen. Dass wir anstelle von Blumengestecken (siehe Japanische Kultur) dem Mitmenschen durch die Außenhaut mitteilen, dass es ein ziemlich schlechter Tag für zwischenmenschliche Diskussionen über Staubsaugen, Socken weg räumen, Hausaufgabenhilfe für die unselige Brut, Essen aufwärmen und Kind zum Reiten kutschieren ist? Man kommt nach Hause und die Hälfte des Hauses ist verdunkelt, die Größe um einiges reduziert, die Decken und Wände nah am Boden, kein Platz für noch jemanden. Das wäre eine ziemlich klare Botschaft. Würde es helfen oder eher eine wenig soziale Lebensform unterstützen. Für alles und jedes ein Zeichen zu finden und Auseinandersetzungen, so hart wie sie sind, scheuen, wenn möglich. Im eigenen Sumpf sumpfen…..Die Menschen müssten sich mit dieser Art der Architektur verändern.

Julian Jauk vor dem Prototyp. Danke für die Informationen auf der Ars.

Julian Jauk studierte Architektur und Philosophie an der Universität in Granz. Er arbeitet am Institut für Architektur und Media an der Granz Universität für Technologie. Auf der Ars Electronica ist er schon einige Male seit 2013 durch Werke vertreten worden.

 

Ars Electronica 2017: POSTCITY: DUOSKIN vom MIT Media Lab – Living Mobile Group und Microsoft Research Natural Interaction Group

Duoskin ist ein Klebetatoo mit Verbindung zu den Mobilen Geräten. Duoskin steuert durch One Touch Eingabe, Nahfeldkommunikation (Near Field Communication, abgekürzt NFC) und vermittelt thermochrome Anzeigen (Thermochromie bezeichnet man die Eigenschaft bestimmter Substanzen, bei Temperaturänderung die Farbe zu ändern). Diese Tatoos sind aus Blattgold, hauchdünn und werden auf die Haut appliziert. Sie sind relativ robust und haben einen hohen Trage Komfort. Federleicht und dabei mit der Erscheinung eines Schmuckstücks oder dergleichen.

Bildergalerie:

Sie halten einen Tag, dann werden sie abgewaschen und beim Duschen und späteren Abtrocknen entfernt. Es gibt auch welche, die schon fast zwei Wochen auf der Haut sind. Mit einfachen Touchgesten lassen sich Funktionen beim Mobile Phone durchführen: Musik wechseln, lauter, leiser, überspringen. Oder bei Präsentationen braucht es keinen Infrarot Pointer, ein Streichen in einer bestimmten Richtung reicht und die nächste Folie wird angeklickt. Wer smarte Gegenstände im Haus und Hof hat, der steuert diese an: Lampen, Schlüssel, Jalousien, Garagentore, Fenster oder ähnliches.

Diese Version ist bereits im Test, zwar wird noch an Speicher, an Akkuleistung und Microcomputer gearbeitet aber das ist eine absehbare technologische Entwicklung. Wir werden in den nächsten Jahren diese Steuerelement auf der Haut direkt tragen und sollten sie zudem eine hohe ästhetische Wirkung haben dann werden sich diese Art von Minicomputer, on skin electronics durchsetzen.

Der Designer des Interfaces und des Looks für die Tatoos von der Microsoft Research Natural Interaction Group zumindest kann von ersten Einsätzen erzählen und zeigt sich entsprechend überzeugt.

Ars Electronica 2017: Artificial Intimicy: OMGYES VON DR. Debbie Herbenick

Screenshot von der OMGYES Website

Wie ist die Sexualität der Frau. Was liebt sie, was nicht? Es handelt sich um eine Website, die im Zuge einer Studie zu den Besonderheiten der weiblichen Lust entstand. Frauen im Alter zwischen 18 und 95 Jahren (immerhin mehr als 1000) wurden befragt. Die Ergebnisse wurde zusammengefasst und in der Website zusammen gefasst. Sie dokumentiert die verschiedenen Spielarten der weiblichen Lust und Sexualität. angemeldete Personen dürfen mit interaktiven Videos üben und spielen, so wird Variationsreichtum erlernt und damit das Liebesleben verschönert. Es waren Wissenschaftler/innen von der Hochschule für Gesundheitswesen an der Universität von Indiana und vom Kinsey-Institut beteiligt.

Die Website zeigt in der ersten Staffel 12 Episoden. Alle voller Erkenntnisse und zum Ausprobieren.

Es werden 50 Videos gezeigt, davon sind 11 Videos rein praktischer Übungsnatur. Im Ausstellungsraum auf der Ars Electronica wurde ein Device bereitgestellt, da konnte schon geübt werden. Die Videos sind realistisch, und mit den bekannten Interaktionsgesten (Multi-TouchGestures) für mobile Devices lässt sich die Handhabung ausprobieren.

Kostenlos ist es nicht. Jetzt vor dem Release der zweiten Staffel gibt es einen Sonderpreis für 39 €, vorher waren es 59 €. Ein Schnäppchen.

Und so verführerisch ist es, dass eine Überlegung statt findet. Natürlich geht es auch um die Ästhetik der Bildwelten. Da ist die Hoffnung hoch, denn wenn es darum geht, Schamlippen zu umkreisen, dann ist es sicher gut, wenn die Bildwelten ansehnlich sind. Wie oft jedoch schauen Frauen aus nächster Nähe ihre primären Geschlechtsorgane an? Und wie empfinden sie die Realisation des Menschlichen? Des Organischen, des biologischen? Die Website spricht von Frauen, die erklären und zeigen, wie sie eine bestimmte Technik anwenden, wie sie sie entdeckt haben und warum sie sich so gut anfühlt. Kein Drehbuch, keine Schauspielerinnen. Hier ist die Natur im Spiel. Keine Animation, kein Zeichentrick, keine Abstraktion. Die Videos lassen also ausprobieren, es gibt Feedback für richtig und falsch. Was hilft es, die Website muss ausprobiert werden! Und Glücklicherweise gibt es eine Art Schnupperdemo.

Dort sprechen 3 Frauen von ihren speziellen Techniken und demonstrieren, was sie herausgefunden haben. Die Videos sind ca. 2 min. lang und informativ. Keine Witze, keine Anspielungen, keine Scham. Das schafft Vertrauen. Die Ausprobierdemo ist aus hunderten von Bildern einer Frau und ihrer Vagina entstanden. Realismus geht vor. Wer mit Interaktionsgesten Bewegungen ausführt, sieht die Veränderung und bekommt von einer weiblichen Stimme Kommentare zum Handeln. Eine Lernumgebung.

Virtuelle Intimität? Die Auseinandersetzung mit dem weiblichen Orgasmus ist als Thema intim. Nach wenigen Minuten jedoch stellt sich eher der Wille zum Lernen ein. Und dann ist die Intimität im Hintergrund und aufmerksame Beobachtung mit Erkenntnisgewinn im Vordergrund. Orgasmus als Thema für Forschung stellt eine Forschungslücke dar. Wir begrüßen alle Aktivitäten die Aufklärung hervorrufen.

OMGYES.com

Screenshot von der OMGYES Website

 

Ars Electronica 2017: Postcity: NYLOID von André und Michel Décosterd

Drei sechs Meter lange Nylonbeine, miteinander verbunden durch runde Endstücke, sehr robuste in denen Lautsprecher eingebaut sind, bewegen sich nach Tönen, Geräuschen. Die Bewegung ist schwerfällig, archaisch. Es sieht aus wie im postindustriellen Zeitalter. Langsam strecken sich die Beine, erheben sich mit letzter Kraft, wie es scheint, dann fallen sie schmetternd zusammen. Wo genau weiß niemand, das Areal ist abgesperrt. Die Bewegung ist nicht kontrolliert. Es ist kein Tanz oder Ablauf. Es ist ein schwerfälliges mechanisches Aufbäumen und Zusammenfallen. Hypnotisch fast. Die Künstler führen Experimente zu plastischen und klanglichen Prinzipien der Selbstorganisation durch. Die Nylonbeine werden durch klangliche und mechanische Einwirkungen und Geräten bewegt. Die Sounds sind atonal, mal leise mal laut, sie entsprechen den Verrenkungen der Skulptur. Es sieht aus wie eine Kreatur im Überlebenskampf, dramatisch und roh.

Bildergalerie:

Ars Electronica 2017: Artificial Intimicy: END OF LIFE CARE MACHINE von Dan Chen


Es ist eine interaktive Installation. Das Umfeld ist ein Sterbehospiz, Krankenaus auf der Intensivstation. Überall Schilder, Erkennungsarmbänder aus Plastik, Broschüren, und der Last Moment Robot. Der kommt erst zu Einsatz, wenn die lebenserhaltenden Maschinen ein nahendes Davonscheiden feststellen. Dann auch verlässt das Krankenhauspersonal, seien es Schwestern oder Ärzte das Zimmer. Der Roboter sengt sich auf den Arm herab und bewegt sich leicht über den Unterarm der Sterbenden. Roboterintimität bei den letzten Atemzügen. Sie sollen den Menschen beruhigen und ihm sinnlich angenehme Impulse vermitteln. Der Mensch ist im Moment der größten Not und Verletzlichkeit nicht allein. Eine Maschine steht ihm bei.

Das ist in einem kurzen Loop dokumentiert. Anfangs scheint diese Art der Kunst eine emphatisch initiierte zu sein. Aber nach einigen Überlegungen und nach einem Zurückgreifen auf Erinnerungen und Erfahrungen ist diese Vorstellung der Ausdruck einer empathielosen Gesellschaft. Sollen in den letzten Atemzügen befindende Menschen von einem Roboter gestreichelt werden müssen? Werden die Verwandten nicht mal in diesen schweren Stunden Zeit haben? Manchmal klappt das nicht, das stimmt, denn der Weg ins Jenseits dauert oft länger, eine Woche, vielleicht zwei. Und da sitzen die Kinder am Sterbebett, Tage- und Nächtelang und just in dem Moment, wo sie austreten oder Luft schnappen, wird der letzte Atemzug getan. Das erscheint tragisch, aber die Zeit vorher ist gut genutzt. Am Bett sitzend kann man die Hand halten, sanft streicheln, die wichtigsten Dinge besprechen. Sind die Tomaten gegossen, ist das Wohnzimmer gestaubsaugt, der Wagen in der Garage, das Taufgeschenk da. Dinge, die für eine Person hohe Wichtigkeit haben. Meistens dreht es sich nicht um Geld, Beruf, Karriere, Politik oder die schönen Künste. Es ist das Kleine und Alltägliche, das kennen nur, die dem Sterbenden Nahestehende.

Menschen im Todeskampf haben durchscheinende Haut, sie ist empfindlich. Die leichteste Berührung kann zu einem schreckhaften Zucken, zu Verwirrung führen oder manchmal Schmerz hervor rufen. Die Maschine ist kühl, die Hand der Tochter, des Sohnes, des Mannes, des Enkels, Bruders, der Schwerster warm, vertraut und menschlich. Diese Hände wissen, wie berührt wird. Ohne Stress, ohne Zeit, einfach halten und sanfte kleine Bewegungen, wenn überhaupt. Wichtig ist die Nähe von vertrauten Personen. Nur diese Menschen kennen beruhigende Worte, dass alles gut ist, dass alle voller Liebe dem Sterbenden zugewandt sind, dass jetzt gegangen werden darf. Allein die Zeit zusammen zu verbringen ist ein hohes menschliches Gut. Es ist ein Geschenk und nicht wie angenommen, eine Qual. 

In dem Szenario der END OF LIFE CARE MACHINE von Dan Chen verlassen die Menschen, bis auf den Sterbenden den Raum. Alles Lebende geht. Nur die Maschine bleibt. Die Trostlosigkeit kann gar nicht übertroffen werden.