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Monthly Archives: August 2015

Ars Electronica: Transfigurations von Agi Haines (UK)

Dieses Werk verunsichert den Besucher.  In den gläsernen Schaukästen liegen in weissen Tüchern eingewickelt täuschend echte Neugeborene. Sie schlafen friedlich, aber dennoch .. schon auf den ersten Blick scheint was nicht ganz so in Ordnung zu sein.  Und tatsächlich, wir sehen Babies mit Annormalitäten, die aber durch mühevolle Operationen optimiert wurden. Die Kinder sind Zivilisationsbabies, sie sind verbessert. Die Modifikationen wurden zur Vorbeugung von zukünftigen Krankheiten, Umweltsünden oder Mobilitätsbeeinträchtigungen vorgenommen.  Es grummelt im Bauch, denn es scheint nicht abwegig. Wir werden in absehbarer Zeit Modifikationen am Körper vornehmen. Und zwar welche, die nicht durch Krankheiten hervorgerufen werden. Wir reden nicht von Herzschrittmachern, Linsenkorrekturen, Venenverödung oder Implantaten. Wir reden von implantierten Informationsgeräten. Chips im Finger zum Bezahlen. Von Gesundheitsmessern unter der Haut und durchscheinenden leuchtenden LED Displays.

So scheint es nur richtig in Kindesalter, in Babyalter mit den Verbesserungen zu beginnen. Die Arbeit ist morbide.

…………Für eine aerodynamische Schädelform werden Nadeln operativ an den Nasenrücken und den Schädelknochen angebracht. Die Steckstifte werden 1 mm pro Tag angezogen und ermöglichen die entsprechende Verformung.

Durch schuppenförmige Hautlappen, speziell gezüchtet, werden im Zuge der globalen Erderwärmung zusätzliche Bereiche zur Körperabkühlung  geschaffen. In der Zukunft wird bei höheren Aussentemperaturen gearbeitet und durch die hohe Venenansammlung am Kopf eignet sich dieser Bereich am Besten zur Abkühlung.

Das mittlere Zehenglied wird bei einer hohen Asthmawahrscheinlichkeit entfernt. Die weiche fleischige Haut bietet eine gute Einschnürfläche für den Hakenwurm, ein Parasiten zur Reduktion von allergischen Reaktionen.

Eine düsenähnliche Körperöffnung kann durch eine Erweiterung der Haut und eines dünnen Muskels hinter dem Ohr erzeugt werden. Dies Öffnung kann verengt oder erweitert werden und es bildet sich eine Art Schliessmuskel. Ein Baby mit einer chronischen Krankheit, die konstanten Medikamentengebrauch verordnet, würde durch eine Extraöffnung zur Einnahme von Medikamenten eine Erleichterung erfahren. Vor allem an einer Fettarmen Körperstelle die die Absorption der Medikamente verlangsamt.

Die Erweiterung der Wangenhaut kann durch Weitungsklammern erreicht werden. Die Klammern werden in die Aussenhaut der Haut operiert und der Muskel wird über einen Zeitraum von ca. 3 Monaten gestreckt und geweitet.  Das ermöglicht eine Koffeinzugabe für  Kleinkinder und Erwachsene mit einer besonders stressbetonten Karriere oder Tätigkeit.

Diese Arbeit hat auf der Ars Electronica 2014 eine Hororary Mention im Bereich Installation erhalten.

Ars Electronica: Thanks Tails von Kazuhiko Hachiya (JP)

 

Dier Schwanz wird an das Heck montiert. Er kommentiert die Gefühlslage des Fahrers oder der Fahrerin. So wie bei einem Hund. Schwanz wedeln von links nach rechts und umgekehrt in ruhiger Art : Freude. Oder eher als Drehung: grosse Freude ggf. auch ängstliche Aufregung. Einziehen und eng an die Stossstange nach unten schmiegen: Furcht; nach oben: alles gut hier usw.

Der Schwanz wird mit einem Joystick von der Mittelkonsole bedient. Hoch halten, runter halten, hin und her in der Waagrechten geht.  Der  Thanks Tail in leuchtendem Pink oder mit LED kann ich mir auch vorstellen. Damit man ihn auch wirklich sieht.

Photo Ursula Drees

Ars Electronica: Anatta von Victor Delev und Joanna Gruberska

……..

Im Ars Electronica Center gibt es den Deep Space Präsentations Raum. Auf 16 x 9 m wird der Boden und die Stirnwand nahtlos mit 8 Galaxy NH 12 Projektoren von Barco bespielt. Es ist ein visuelles Erlebnis, der Raum verändert sich, wird zu einer Leinwand ohne Ecken und Kanten. Ein Meer an Möglichkeiten.

In diesem Raum wurde die Tanzperformance Anatta gezeigt. Die Geschichte handelt von dem Menschen, der aus seiner Lebenswelt heraustritt, hinein in die unbegrenzten Formen und Bewegungen, manche folgen, manche grenzen ab und endet wieder in seiner Welt.

Anfangs wird eine strenge schwarz weiss, grafische Umgebung geschaffen. Die Tänzerin mit federleichten Bewegungen und lautlosen Schritten und Sprüngen tritt aus. Grautöne, Schattierungen und grosse Formvielfalt erfüllt den Raum. Schön anzusehen.

Wenn nur die Beamer etwas lautloser wären und besser auf den Raum ausgerichtet, ohne Überlagerungen, dann wäre Deep Space als Aufführungsort nicht zu schlagen.

Alexander Tuschinski’s experimenteller Kurzfilm GOLD!

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Vor einigen Wochen berichtete ich bereits von der Teilnahme des experimentellen Kurzfilms GOLD bei der Biennale in Mykonos. Dieser Kurzfilm ist eine Collage aus Bildern und Filmen verlassener Goldgräberstädte Amerikas mit den Regenwaldgiganten.  Die Musik von Beethoven gibt den Takt und das Schnittmuster vor.  Und deshalb verdichtet sich das Bildwerk rhythmisch. Schneller und wilder werden die Impressionen, es ist ein Sog und ein Dahintaumeln. Wer diesen Kurzfilm sieht, erkennt die Verbindung, die inhaltliche und symbolische Aufladung der Bilder mit der Musik, ein dramatisches Werk.

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Lydia Venieri mit Alexander Tuschinski und dem Goldenen Pelikan, der ja eigentlich weiss ist.

Herr Alexander Tuschinski hat meiner Neugierde die Spitze genommen und in einem Interview Fragen beantwortet. Vielen Dank Herr Tuschinski, dass sie sich die Zeit genommen haben. Und das obwohl sie gerade an einem Kurzfilm mit dem grossen Hugo Niebeling arbeiten und den Film TIMELESS weiter vorantreiben. Wie ich erfuhr, konnten sie Helmut Berger (bekannt aus Visconti-Filmen) und Zachi Noy (aus „Eis am Stiel“) ans Set bekommen. Meinen Glückwunsch. Ich warte schon gespannt auf die Fertigstellung von Timeless und hoffe, sie erneut zu diesem Film interviewen zu dürfen. Aber jetzt will ich über GOLD sprechen.

Timeless_Alexander_Tuschinski_Directing_Lea_Kirn_Helmut_Berger

Gold hat Gold gewonnen. Herr Tuschinski: mit welcher Begründung wurde der Beitrag geehrt?

Danke. Die Biennale-Präsidentin Lydia Venieri schrieb zum Film: „Alexander Tuschinski in Gold narrates the constant story of the exploits just with images and music like a story in a song with a very original personal way who make me think of the diaries of historians . His original and personal style make us honor Gold with The Golden Pelican.“

Gab es viele und unterschiedliche Kategorien?

Es gab bei der Mykonos-Biennale verschiedene Kategorien Filme: Kurzfilme, die abends in einem Amphitheater gezeigt wurden wie bei einem „klassischen“ Filmfestival; und „Video-Graffiti“. Das sind Kurzfilme, die an verschiedenen Stellen der Altstadt an Häuser projiziert wurden und dann von den Passanten wie ‚bewegtes Graffiti’ gesehen wurden. Der Goldene Pelikan wurde allerdings nicht nach Kategorien vergeben, sondern nach Jury-Entscheidung für die besten Filme des Festivals.

Welche Kriterien wurden ausgelobt? Oder war es eine juryinterne Entscheidung ohne vorherigen Kriterienkatalog?

Erst direkt nach der Vorführung des Films erfuhr ich davon, dass er den Preis gewinnt. Das war sehr überraschend – eine juryinterne Entscheidung. Allerdings war mir schon vorher aufgefallen, dass fast alle Festival-Mitarbeiter, die ich traf den Film kannten… Die Kriterien waren – soweit ich es mitbekommen habe – Originalität und Kreativität. Aber es war eine juryinterne Entscheidung.

Wieviele Einreichungen gab es?

Die Biennale erhielt natürlich viel mehr Einreichungen als Filme gezeigt wurden. Im Wettbewerb liefen etwa 80 Kurzfilme, das genaue Programm gibt es auf http://mykonosbiennale.com/filmfestival/program/dramatic-nights/ Ich war begeistert wie divers das Programm war – von abstrakten audiovisuellen Experimenten bis zum „klassisch“ narrativen Kurzfilmen waren nahezu alle Arten von Filmen vertreten, und viele internationale Filmemacher waren dafür angereist.

Welche Pläne wird dieser Gewinne nach sich ziehen? Wird ein weiteres Projekt angeschlossen?

Auf Mykonos selbst habe ich viel gefilmt und plane, meinen Film „Gold.“ damit zu erweitern. Ich plane daraus ein audiovisuelles Kaleidoskop verschiedener Gegenden und Zeiten zu machen – von den antiken Ruinen auf Delos über verlassene Goldminen in Kalifornien bis hin zu den Mammutbäumen der amerikanischen Westküste. Der Preis motiviert ungemein. Außerdem habe ich auf dem Festival einige internationale Kontakte geknüpft, die für zukünftige Projekte sehr interessant sein können.

Werden sie neben Ihren Spielfilmen stärker die Experimentalfilme in den Fokus des Schaffens setzen?

Das ist eine gute Frage. Zur Zeit arbeite ich hauptsächlich an meinem Film „Timeless“, für den Anfang August Helmut Berger (bekannt aus Visconti-Filmen) und Zachi Noy (aus „Eis am Stiel“) vor der Kamera standen.

TimelessAlexanderTuschinski_MakingOf_Helmut_Berger_Zachi_Noy

Mein Hauptaugenmerk wird auch in Zukunft auf den Spielfilmen liegen, und dazwischen immer mal wieder ein kurzer Experimentalfilm. Wobei Spielfilm und Experimentalfilm sich ja nicht ausschließen. Wie ich schon im vorherigen Interview ausgeführt habe, ist auch bei meinen Spielfilmen, die eine Story transportieren, die Bildsprache sehr experimentell. Jetzt im August habe ich mich z.B. richtig in Helmut Bergers Augen „verliebt“ und viele Nahaufnahmen seiner intensiven Blicke gedreht, durch die seine Szene eine ganz ungewohnte visuelle Dynamik entwickelt. Ein Stilmittel, das z.B. in Sergio Leones Western öfters in kurzen Momenten verwendet wird (extreme Nahen von Blicken während Dialogen), dehne ich hier auf eine längere Szene aus. Bergers Augen nehmen teils seine Antworten / Reaktionen vorweg; um in meiner Analogie aus dem letzten Interview zu bleiben: Seine Blicke sind schon die „Verben“ in der Bildsprache, sie sagen alles aus, das Gesprochene dient nur noch als Bekräftigung. Außerdem verwende ich Bergers Blicke als „roten Faden“ durch den Film – durch sehr experimentelle Schnitte. Was das genau heißt, können die Zuschauer im fertigen Film sehen – diese eher experimentellen Schnitte lassen die Botschaft des Films noch intensiver werden. Einen längeren englischen Artikel zur Zusammenarbeit mit Berger habe ich vor ein paar Tagen veröffentlicht. http://www.alexander-tuschinski.de/resources/Helmut_Berger_Article_2015_Timeless_Alexander_Tuschinski.pdf

TimelessAlexanderTuschinski_Set_Mit_Helmut_Berger_Zachi_Noy

Welche experimentellen Vorgänge planen sie? Wird sich das Experiment auf Narration, auf Kameraarbeit, auf Lichtsetzung, auf Schnitttechnik, auf Postproduktion beziehen?

Bei der Narration arbeite ich gerne unkonventionell und abseits von allen Genrekonventionen. Ich mag es nicht, wenn man – durch das „Genre“ – schon relativ schnell sagen kann in welche Richtung sich ein Film entwickeln wird. Timeless ist deshalb unberechenbar – er ist Satire, Komödie, wird Drama, wird Kriegsfilm, wird Slapstick, wird plötzlich ernst – wie das reale Leben. Für mich ist Timeless bisher mein bedeutendstes Werk, sowohl von der besonderen Filmgrammatik als auch von der starken Aussage zu Gesellschaft und Leben.

Hauptsächlich ist das Experimentelle bei mir aber immer die Kameraführung und der Schnitt. Beides in Kombination kann sehr interessante Effekte erzielen, wenn man sich auf spontane Intuition dabei verlässt und sich nicht nach vorgefertigten Schemata richtet. Als ich neulich in Paris war hatte ich dazu ein sehr interessantes Gespräch mit einem Besucher der Cinémathèque française: Er meinte, dass alle filmischen Experimente schon gemacht seien; wenn man sich das experimentelle Schaffen von z.B. Dziga Vertov und anderen Filmpionieren schon aus den 20ern ansieht, kann man versucht sein dem zuzustimmen – es ist nicht leicht etwas komplett Neues zu schaffen was noch nie so gemacht wurde. Aber meiner Meinung nach ist es möglich, wie bei der Analogie zur Sprache. Die einzelnen Wörter sind alle schon zig-millionenfach verwendet worden in Werken. Vielleicht auch einzelne Formulierungen. Aber es ist immer noch möglich sie zu etwas ganz Neuem zu kombinieren. Um es auf Film anzuwenden: Es ist schwer, eine Einstellung zu drehen an die wirklich noch niemand gedacht hat. Aber in der Montage sind die Möglichkeiten noch längst nicht ausgeschöpft. Man muss nur versuchen, unvoreingenommen zu denken wenn man dreht und schneidet.

Das Interview wurde in der Zeit zwischen dem 6. Juli und 10. August online geführt. Immer wieder tauschten wir uns aus bis heute. Ein schöner Dialog, der auch eher experimentell geführt wurde als geplant. Vielen Dank Herr Tuschinski für ihre Zeit und Ihre aufschlussreichen Antworten. Ich freue mich auf das nächste Interview mit Ihnen.

Die Bilder und Fotografien stammen von Alexander Tuschinski und unterliegen seinem Copyright.

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Biennale Venedig 2015: Zeichnungen von Abu Bakarr Mansaray, Arsenal


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Arsenal Abu Bakarr Mansaray

Abu Bakarr Mansaray wurde 1970 in Sierra Leone geboren. Es ist eines der ärmsten Länder dieser Welt. Bürgerkriege haben das Land von innen her ausgehöhlt. Auf eine Zukunft können die meisten nicht hoffen. Die Schulbildung beschränkt sich auf das Nötigste, dann wird Geld verdient. Abu Bakarr Mansaray durfte bis 1987 in die Schule, immerhin 17 Jahre. Das allein reichte ihm nicht. Er brachte sich Aspekte der praktischen Natur- und Ingenieurswissenschaften bei. Ein Autodidakt wie er im Buche steht.

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Dann begann er sein Wissen künstlerisch einzusetzen und baute aus Technik- Müll, Kabeln oder anderen ausgedienten Technikequipment dekorative Objekte. Das ist in Sierra Leone populär. Mit der Zeit wurden aus den Kunsthandwerklichen Skulpturen immer futuristischere Formen und Maschinen. Diese Maschinen sollten für alles mögliche gut sein, für Feuer, Licht, Luft, Wasser, Kälte, Bewegung oder zur Tonerzeugung. Und das wiederum brachte ihn zu den Zeichnungen, die jetzt auf der Biennale gezeigt wurden.

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Denn diese Zeichnungen sind Konstruktionszeichnungen, vorbereitende Skizzen für seine Zukunftsmaschinen. Sie sind ausgefeilte Produkte der Phantasie und so stehen sie als unabhängige Arbeiten gleichberechtigt neben den Skulpturen. Er zeichnet mit Kugelschreiber, Bleistift, allen möglichen Filzstiften oder Kreiden. Feingliedrig und detailreich eröffnen sie Vorstellungen. Die Kombination aus poetischen Einfallsreichtum, aus Technikdarstellung der Phantasie entsprungen und den Motiven lassen an Konstruktionen von Leonardo da Vinci denken.

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Die Konstruktionen scheinen funktionieren zu können, wären sie vor 400 Jahren publiziert worden. Dann wäre dieser Künstler auch Ingenieur und Erfinder gewesen. Vielleicht sogar wären einige dieser Ideen zu Prototypen gebaut worden. Vielleicht wäre sogar der Versuch gemacht worden, so ein Teufelswerkzeug zum laufen zu bringen. Vielleicht wäre der Künstler verbrannt worden. Diese Gedanken leben bei der Betrachtung auf. Es ist die Naivität der Motive, die in unserer Technik versessenen Welt Einsicht und Verstehen für das Jetzt hervorrufen.

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