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Monthly Archives: Juni 2015

„GOLD“ von Alexander Tuschinski


 ATuschinskiPortraitWeb2014Alexander Tuschinski versteht sich als Filmemacher der neuen Art. Er ist jung, unermüdlich, experimentell und gewagt. Aber dabei kennt er der Film.  Er weiss die Kraft der Bilder einzusetzen, er kann montieren und collagieren. Aber dabei bleibt die Geschichte erhalten. Ein ungeheuerer Zugewinn für die Filmcommunitiy.  Seine Filme sind humorvoll, manchmal grotesk, immer ein Erlebnis. Neben der Filmmacherei schreibt Herr Tuschinski Bücher. Sein zweites Buch ist gerade fertig geworden. Noch im Selbstverlag erhältlich, aber wir hoffen dass sich dies ändert. Herr Tuschinksi lebt und arbeitet in Stuttgart. Unlängst wurde sein Experimental Kurzfilm „GOLD“ auf der Biennale in Mykonos im Wettbewerb angekommen. Dies haben wir zum Anlass für ein Interview genommen.

Herr Tuschinski, sie sind Autorenfilmemacher. Ihre Filme werden in den USA geliebt, gewinnen Preise und es wird gesagt, sie würden eine neue filmische Sprache entwickeln. Der neue Deutsche Film heisst es da oft:

Welche Filmpreise haben sie bereits gewonnen?

Vielen Dank für die freundlichen Worte! Meine Filme haben in den vergangenen Jahren international mehr als 20 Preise gewonnen – unter anderem hat mein Film „Break-Up“ 2014 bei den American Movie Awards als den Preis als „bester fremdsprachiger Film“ gewonnen, beim Hollywood Reel Independent Film Festival zwei Preise, und bei den Maverick Movie Awards der Preis für die beste Regie.

Was genau macht den Unterschied: ihre filmische Sprache und die bekannte, erwartete Filmsprache?

Bei vielen Filme die ich zur Zeit sehe ist die Filmsprache leider verhältnismäßig „konventionell“, zwar sehr professionell und schön, aber doch nach festen Schemen abgearbeitet, und folgt fast schon lehrbuchmäßig etablierten „Regeln“. Zum Beispiel werden Zooms in Spielfilmen kaum verwendet, Schnitte oft möglichst unauffällig gesetzt, und so weiter. Das sorgt dafür, dass die Zuschauer durch die oft vorhersehbare Filmgrammatik (Totale geht zu Close-Up, etc.) nicht so stark gefordert werden, da sie in ihren erwarteten Sehgewohnheiten entsprechen und der Signifikat (die transportierte Story) den konservativ-berechenbaren Signifikanten (die Art, wie sie dargestellt wird) in der Wahrnehmung massiv überragt.

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In meinen Filmen versuche ich möglichst, „Regeln“ zu vergessen und trotzdem konventionell genug zu bleiben, damit sie noch von einem großen Publikum verstanden werden; die Idee ist dass aufmerksame Zuschauer in meinen Filmen gerade auf technischer Ebene noch viele Details entdecken können, welche über die „Story“ hinausgehen. Ich liebe kurze Close-Ups, um eine Stimmung aufzubauen, Zooms und unerwartete Schnitte, um die Zuschauer aus einer gewissen „Lethargie“ gegenüber des Signifikanten zu reißen. Das im Film dargestellte Geschehen, die Aussage – der Signifikat – soll nicht so stark im Vordergrund stehen, sondern gleichwertig mit der Art, wie es gesagt wird (dem Signifikant) bewusst aufgenommen werden. Denn das ist eine Ebene, welche mindestens ebenso interessant wie die „Story“ sein kann, mit ihr verwoben ist. Ich verwende gerne eine Analogie zur Sprache, was Filmgrammatik angeht: Für mich gibt es „Substantive“ (Einstellungen, die ein Ding an sich zeigen, z.B. Totalen), „Verben“ (Aktionen, die gezeigt werden in Close-Ups etc.), und Adjektive (beschreibende Dinge, Cut-Aways, Details). Während zahlreiche Filme nach dieser Sichtweise sprachlich und grammatikalisch „klassisch“ konventionell bleiben, versuche ich in meiner Bildsprache nach Slam-Poetry-Manier die Wörter unerwartet durcheinanderzuwerfen, neue grammatikalische Konstrukte zu bauen und trotzdem ein sinnvolles Ganzes zu ergeben.

Ich orientiere mich an Sergei Eisenstein und Dziga Vertov, sowie dem Frühwerk meiner Freunde Tinto Brass (der übrigens in den 60ern von Umberto Eco mit zwei Kurzfilmen beauftragt wurde, die damals eine neue Bildsprache einläuteten) sowie Hugo Niebeling, der als Mitbegründer der modernen Musikvideo-Bildsprache gilt. Alle genannten hielten und halten sich in ihren Arbeiten nicht an etablierte Konventionen, sondern arbeiteten eher nach sehr subjektivem Gefühl, so wie sie es ästhetisch als „richtig“ empfanden.

Sie machen Spielfilme, Kurzfilme und auch experimentelle Filme. Zum Beispiel ist der Experimentalfilm GOLD gerade auf der Filmbiennale in Mykonos angenommen worden. Erzählen sie wie sie zur Idee kamen und was gezeigt wird.

Die Idee zu Gold war sehr spontan. Als ich dieses Jahr Geisterstädte in der Wüste besuchte in denen im 19. Jahrhundert Bergbau betrieben wurde, hatte ich eine DSLR-Kamera dabei, um Fotos zu machen und kurze Clips zu drehen, als „Urlaubserinnerung“. Als ich dort allerdings ankam, merkte ich, wie interessant es aussieht, und vergaß den „Urlaub“: Meine Freunde und ich begannen Kilometer um Kilometer zurückzulegen, um immer mehr interessante Bilder zu filmen, und besuchten schließlich auch einen Wald mit Mammut-Bäumen, um einen Kontrast zu den Wüstenbildern hinzukriegen. Alle visuellen Ideen kamen uns dabei spontan, es gab kein „Location-Scouting“, aus Zeitgründen konnten wir nicht oft an die Drehorte. Wir legten an einem Tag 20 Kilometer durch bergiges Gebiet zurück, es war sehr anstrengend, aber am Ende hatte ich 6 Stunden Filmmaterial aus unzähligen Kameraperspektiven.

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Beim Schnitt kam mir die Idee, das Finale von Beethovens siebter Sinfonie als musikalische Untermalung zu nehmen – Richard Wagner nannte es die „Apotheose des Tanzes“. Ich habe den Film in nur vier Tagen Ende März 2015 geschnitten, es war eine wahnsinnig intensive Zeit, um am Ende eine Choreographie unbewegter Objekte zur Musik zu haben, die nur durch Montage sowie Kamerabewegung eine zur Musik passende Dynamik entwickeln.

Welche Aussage wollen sie treffen? Ist es eher zufällig oder haben sie etwas bestimmtes im Kopf gehabt.

Beim Filmen dachte ich schon, dass wir den Kontrast zwischen Natur und (verfallenden) menschlichen Strukturen darstellen können: Alles menschliche geht in der Natur auf. Im Schnitt habe ich die Aussage auch scharf herausgearbeitet: Kamerafahrten einen Mammutbaum hinauf werden mit gleichen Kamerafahrten bei einem rostigen Auto gegengeschnitten und gehen schließlich in einer Drehung durch Baumwipfel auf; Ein (durch die Kameraführung) rotierender Eingang zu einem verlassenen Bergwerk geht schließlich in einem (rotierenden) Berg auf, und so weiter.

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Würden sie Gold als einen Anfang für weitere Filme in dieser Art sehen?

Auf jeden Fall. Inwiefern Gold andere Filmemacher beeinflusst, kann ich zwar noch nicht sicher sagen – aber für meine persönliche Entwicklung als Regisseur ist der Film sehr wichtig. Einer meiner Pläne ist es, die gesamte siebte Sinfonie von Beethoven in der Art zu „verfilmen“, mit „Gold“ als Finale. Außerdem planen Hugo Niebeling und ich mehrere gemeinsame Projekte in ähnlichem Stil, die allesamt sehr innovativ und neu in Bildsprache und Ausdruck sind.

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Erzählen sie von ihrer Kameraarbeit bei Spielfilmen.

Bei Spielfilmen versuche ich auch möglichst viele originelle Perspektiven zu filmen – aber nicht so extrem wie bei „Gold.“. Bei Gold entsteht die Dynamik, die Aussage durch die Kameraführung und Montage, der Signifikant erzeugt praktisch erst die Aussage des Films. In Spielfilmen muss für mich die Kameraführung zwar originell sein, aber doch auch der „Story“ Platz lassen.

Ein Beispiel wäre z.B. mein Kurzfilm „Hollow Date“, der eine etwas erweiterte Szene aus meinem Spielfilm „Break-Up“ ist. In meinen Spielfilmen verwende ich möglichst viele originelle Kameraperspektiven, aber orientiere mich in der Grammatik immer noch an den Konventionen, um sie verständlich zu halten. Um das Beispiel Slam-Poetry vs. klassische Literatur aufzugreifen, und die Analogie zur Sprache darin: Ich werfe „Wörter“, also Einstellungsarten, darin durcheinander, arbeite vielleicht mit mehr Adjektiven, Substantiven etc. als andere, aber jeder „Satz“ muss doch Subjekt, Prädikat, Objekt haben, damit der Rezipient ihn verstehen kann. Aber er sollte nicht nur lehrbuchmäßig formuliert sein, sonst wird es dabei langweilig.

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Erzählen sie über ihre Herangehensweise wenn es ums Storyboarden geht. Als Autorenfilmemacher, halten sie das für wichtig?

Das Storyboarden ist eine starke Geschmacksfrage, ich kenne Filmemacher die es nicht missen mögen, andere, die es nicht machen. Ich persönlich storyboarde sehr wenig. Beim Schreiben von Szenen habe ich öfters zwar Einstellungen im Kopf – aber vertraue auf die Inspiration am Set, und das hat bisher immer geklappt. Ein „Trick“, den ich verwende: Ich filme die gesamte Szene zunächst aus einer Totalen; dann die Nahaufnahmen, alles klassisch; und dann die interessanteren, ungewöhnlichen Perspektiven. Sollte es zeitlich nicht klappen alles zu filmen, kann man dann im Schnitt notfalls immer wieder zur Totalen ausweichen, und spart sich Nachdrehs. Aber zum Glück ist es noch nie so weit gekommen, dass es nötig gewesen wäre.

Ich empfinde es als am Wichtigsten, viele Filme zu schauen, die einem gefallen, damit man im Kopf ein spontanes Stilempfinden entwickelt. Ich z.B. mag frühe Werke von Tinto Brass sehr („L’Urlo“, der auf der Berlinale 1970 lief, „Col Cuore in Gola“ von 1965 etc.), und habe viel analysiert, was mir an der Kameraarbeit gefällt und dies in meinen Stil einfließen lassen. Wenn wir schnell eine Totale filmen, weiß ich auch spontan, dass sie nach meinem Empfinden „elegant“ ist, wenn man sie von unten und sehr weitwinklig filmt; so ein Empfinden für den Stil der einem gefällt kann einem bei hektischen Drehs viel Zeit sparen, wenn man ohne Storyboards arbeitet.

Welche Bedeutung haben Schauspieler und Schauspielführung bei ihren Filmen?

Eine sehr große. Die Schauspieler füllen die Szene erst mit Leben. Auf meinen Sets probe ich viel, und lasse die Schauspieler auch improvisieren und eigene Ideen einbringen. Da ich alle meine Spielfilme bisher auch selbst geschrieben habe, hat es den Vorteil, dass ich das Drehbuch ohne schlechtes Gewissen auch am Set noch abändern kann. Zum Beispiel lasse ich Darsteller den Text in einem gewissen Rahmen abändern, damit er zu ihrer Interpretation der Rolle auch besser passt und „natürlicher“ wirkt. Ich arbeite oft mit neuen Schauspielern, für die meine Filme teils die erste Filmrolle überhaupt sind, und durch lange Proben sind sie – sobald die Kameras laufen – sicher und routiniert.

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Für „Timeless“ arbeite ich erstmals auch mit Hollywood-Schauspielern zusammen, und es war sehr interessant: Rick Shapiro – ein bekannter und sehr talentierter Stand-Up Comedian – improvisierte, nachdem wir das abgesprochen hatten, viele seiner Monologe und benutzte mein Drehbuch quasi als „Sprungbrett“, um den Inhalt mit eigenen Worten zu transportieren.

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Wir alle am Set liebten es; und im Schnitt setzte ich dann die Szenen mit ihm aus zahlreichen verschiedenen Takes zusammen, führte praktisch im Schneideraum weiter Regie. Harry Lennix, ein bekannter Shakespeare-Darsteller, hatte einen anderen Ansatz: Er und ich arbeiteten vor dem Dreh an seinem Part, und während des Filmens spielte er mit perfekter Wiederholgenauigkeit sehr präzise seine Rolle.

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Bei den verschiedenen Ansätzen ist aber gemeinsam, dass die Darsteller für ihre Rolle bei mir immer mitreden dürfen. Und für Schauspielerführung sowie auch allgemein finde ich wichtig, dass auf dem Set eine gute Stimmung herrscht, man eventuelle Missgeschicke mit Humor sieht, etc. Die entspannte Atmosphäre tut nicht nur allen Beteiligten gut – man sieht es auch in den Performances der Darsteller; wer entspannt und mit Spaß bei der Sache ist, kann leichter schauspielern.

Herr Tuschinski, wir dürfen uns für dieses Interview bedanken und hoffen in der Zukunft viel von Ihnen zu hören. Danke dass sie sich die Zeit genommen haben. Abschliessend wollen wir darauf verweisen, dass alle Fotografien © von Herrn Alexander Tuschinski sind.

Biennale Venedig 2015: The Ways of Folding Space & Flying, Moon Kyungwon & Jeon Joonho, Korea

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Korea hat in den letzten Jahren auf der Biennale stets einen Höhepunkt dargestellt. So sind wir gespannt was dieses Mal kommt. The Ways of Folding Space & Flying von Moon Kyungwon & Jeon Joonho hört sich nach Zukunft an. Die beiden Künstler leben in Seol.

Schon von außen kündigt sich der Tenor des Pavillons an. An den runden Fenstern, sehr futuristisch übrigens, werden erstklassige Projektionen gezeigt. Erstklassig weil es schwer ist auf halbrunde Glasscheiben zu projizieren. Das gelingt hier.  Eine Cyborg Frau schaut uns an. Sie ist weiss geschminkt, hat weiße Haare und scheint aus dem Film „The 5th Element“ entsprungen zu sein. Sie bedient modernes Computer -Augmented Reality  Interface, wir denken an „Minority Report“.

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Wir treten ein und sind schon im Hauptraum. Eine Multi Channel Film Installation erwartet uns. An der Stirnseite, wo ein Panoramafester den Blick auf die Gärten frei gibt, ist ein Format füllender HD Video zu sehen, an der anliegenden, rechten Wand ebenso. Die der Stirnseite gegenüberliegende Wand wird nur im unteren Teil mit Bildern bespielt. Gezeigt wird alles was sich in Fußhöhe befindet. Der Pavillon ist nicht rechteckig geschnitten. Er öffnet sich an einer Seite und führt in eine Nische. Dort ist ein Counter mit Informationsmaterial. In dieser Nische befindet sich ebenfalls eine schmale Wand. Sie wird von einem gläsernen Bullauge gebrochen. Das Glas selbst weist kleine Bläschen auf und macht die gezeigte Szenerie realistisch. Von dort geht es in einen weiteren fensterlosen Raum. Es wird ein Mannshoher Film gezeigt.

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Der Inhalt von The Ways of Folding Space & Flying behandelt die Frage nach menschlichen Zukunftsvisionen. Die Narration erscheint retrospektiv. Es werden Filme wie „Solaris“ zitiert. Sowohl die Version von Andrei Tarkowsky, als auch das Remake aus dem Jahr 2002 von Steven Sonderbergh. Oder aber “Gravity” von Alfonso Cuarón aus dem Jahr 2013. Die Filmsprache bedient sich einer klaren und sauberen Hollywood Ästhetik und erzählt auf zwei filmischen Ebenen. Die Zukunft und die Vergangenheit. Eine Frau, sie scheint allein zu sein, wacht auf, wahrscheinlich aus einem Langzeit Tiefschlaf. Ihr Erwachen können die Besucher durch das Bullauge verfolgen.

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Sie begibt sich in ihr Environment. Dort bedient sie Interfaces, kommuniziert mit Computern, sie läuft in einem hamsterartigen, futuristischen Laufrad, schaut dabei in Natur, wie wir sie kennen. Diese Projektion wird auf der Stirnseite mit dem Panoramafester angelegt. So vermischen sich Filmbilder mit der Wirklichkeit. Sie fließen ineinander und ergeben einen betörenden
Effekt. Was macht diese Frau noch?

IMG_3685Sie legt sich hin, ruht, diese Bilder finden sich in den fußhohen Projektionen. Alles was in aufrechter Position erlebt wird, zeigt sich auf den großformatigen Wänden, alles was liegend ist, auf der schmalen Seite. Die Entfernung im Bullauge und in dem fensterlosen leicht abgetrennten Raum schlagen Verbindungen zu der Vergangenheit. Diese ist nicht in unsere Zeit verlegt, sondern in eine historische Vergangenheit. Es werden Samurais gezeigt. Stolze Krieger, die in beeindruckender Kriegsrüstung mit Schwert und Messer umgehen. Sie sind ruhig und konzentriert bIMG_3695ei der Arbeit, befinden sich, wie die Zukunftsfrau,  in einem meditativen Zustand. Alle erscheinen in Trance.

Es geht um den Wunsch die physikalische Welt zu durchbrechen. Es geht um ein Beseitigen von Barrieren, von Mauern, von Behinderungen, alles was uns bindet. Trotz der Absurdität glauben wir den Visionen, den Geschichten. Wir werden der menschlichen Unsicherheit gewahr. Und dadurch erklärt sich die Glätte der Bilder. Denn Anfangs stösst uns die Vollkommenheit der Bilder ab, sie sind zu sehr wie Hollywood Produktionen. Wir denken und vergleichen wo wir Ähnlichkeiten schon gesehen haben.  “ Kennen wir schon!“ Aber nein, die Filmsprache ist so weil wir die Illusion, das Absurde begreifen sollen. Wir sollen an andere Filme denken, sollen genau das sagen. Aber eben nicht Halt machen. Wir sollen begreifen, das die Zukunft unsicher ist. Und so wie oft erträumt, keine Bereicherung darstellt. Das Eckige und Scharfkantige, das Besondere und Beschädigte fehlt. Die Eigenarten sind nicht mehr da, alles weg. Wie schrecklich ist dann eine Zukunft? Wie langweilig, wie isoliert, wie gleichförmig. Haben denn Menschen noch ein Ziel? Können sie sich verbessern und über sich hinaus wachsen. In diesen Filmen sieht es nicht so aus.

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Biennale Venedig 2015: „The Key in the Hand“, Chiharu Shiota, Japan

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Dieser Pavillon liegt etwas versetzt zwischen dem Russischen und dem Deutschen Bauten. Er wurde von Chiharu Shiota gestaltet und nennt sich „The Key in the Hand“. Sie wurde 1972 in Osaka geboren und lebt und arbeitet in Berlin.

Der Pavillon ist in zwei Ebenen geteilt. Die untere ist ebenerdig mit dem Hauptweg der Giardinis, der obere wird durch einige Treppen erreicht. Der untere Bereich, eine Art überdachte Terrasse, ist durch eine Mauer sichtgeschützt. Für alle Passanten gut sichtbar eine Fotografie von Kinderhänden mit rotem Fäden und Schlüsseln an der Aussenwand des Schutzes aufgehängt. Das Motiv des Pavillons.

Wir umkreisen die Mauer und finden eine weiße Sitzbank und davor in der Wand eingelassen 4 Monitore vor. Es ist schattig genug für eine kontrastreiche Wiedergabe. Die Bildschirme sind nicht übergroß eher wie ein normaler Heimferneseher. Auf den Vieren hören und sehen wir Interviews mit Kindern im Hort. Sie werden nach ihren Geburtserinnerungen gefragt. Eine humorvolle Frage und die Kinder lassen sich nicht lumpen. Erzählen fröhlich los. Eine Mischung aus elterlichen Erzählungen und Phantasie. „Als ich bei meiner Mama war habe ich in ihr geschwommen. Aber ohne meine Arme und Beine zu bewegen. Und ich konnte auch im Wasser atmen wie ein Fisch. Als ich dann da war konnte ich das dann nicht mehr. Aber jetzt kann ich wieder schwimmen.“ Es geht hin und her. Das eine Kind wirft eine neue Anekdote ein, das befragte reagiert mit einer undenkbar lustigen Antwort. Wir sitzen und hören zu. Was Kindern so alles im Kopf rum schwirrt!

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Dann gehen wir die Stufen in den Hauptraum nach oben. Treten ein und sehen einen Raum mit zwei Fischerbooten, die mit rotem Faden und Schlüsseln verflochten sind. Das Rot ist umwerfend rot, so stark der Farbeindruck, dass die Kamera nicht mehr fokussieren kann. Das enge Fädengeflecht ergießt von der Decke über den Raum. An den Enden hängen unzählige Schlüssel, viele davon  liegen in den Booten, einige direkt daneben. Wir halten inne und lassen uns betören. Schreiten umher, schauen in das Netzwerk hinein, betrachten aus der Nähe all diese Schlüssel, umkreisen die Boote. Ein tief sinnliches Erlebnis.

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Schlüssel als Symbol für alles was uns wichtig ist. Sie schließen Häuser, Tagebücher, Tresore, sie stehen für Sicherheit, für Heimstatt, wir tragen sie mit uns, wärmen sie in den Händen und speichern unendlich viele Erinnerungen. Wir reichen sie weiter, vertrauen sie anderen Menschen an, sie sollen in unserer Abwesenheit unser Hab und Gut, alles was uns durch Dinglichkeiten auszeichnet, bewahren, darauf aufpassen. Schlüssel sind wichtig für uns. Jeder Schlüssel: viele Leben, viele Geschichten, viele Wege und Andenken. Niemand wirft einen Schlüssel einfach weg.

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Sie hängen von dem Deckengeflecht herab. Sie werden von den Booten gefangen und gerettet. Diese sind in einer stillen Bewegung festgehalten, sie retten die Erinnerungen.

In Europa stellen sich Verbindungen zu den Bootsflüchtlingen her. In Japan die Erdbeben, wo in jeder Familie Menschen verloren wurden, wo Hab und Gut ausgelöscht wurde, belebt.

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Die Künstlerin geht behutsam mit der Bedeutung der Dinge um. Sie denkt über historische, aktuelle soziale Zusammenhänge und Bedeutungen ihrer Elemente und verwebt sie in ein ästhetisches Gesamtkunstwerk. Sie weiß mit der semiotischen Aufladung in Bildern umzugehen. Es spricht zu uns. Ein Meisterwerk.

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Biennale Venedig 2015: „I SCREAM DADDIO“, Sarah Lucas, Great Britain


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Dieser Pavillon geht uns an. Es geht um Gender, um Kunst, Sex und Tod und um die Anzüglichkeit der täglichen Gegenstände. Sarah Lucas sagt dass Humor nichts anderes ist als die Verhandlung von Gegensätzen innerhalb von Konventionen. Humor und Ernsthaftigkeit seien austauschbar. Sonst wäre es ja nicht lustig. Oder verheerend.

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Die Innenräume sind in einem Gelb gestrichen, dass wie Senf daher kommt, nicht wie ein Sonnengelb, auch nicht wie Blumenblüten, nicht wie Maisgelb, nicht wie Eigelb, nicht Zitronengelb, Frühlingsgelb, nicht Okkagelb, einfach nur Senfgelb. Ganz genau dieser Farbton überall an den Wänden.

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Und darin in der Haupthalle eine Skulptur, die wie aufgeblasene Kondome oder Luftballons aussieht. So wie es die Straßenkünstler machen wenn sie Hunde, Herzchen oder Blumen aus bunten Ballons herstellen. Nur hier sind es übergroße, mächtige erigierte Penisse auf Spinnenbeinen. Oder aber Spinnenbeine mit hängenden Zitzen. Wir verstehen es geht tatsächlich um Geschlecht, um Sex. Das mit dem Tod und der Kunst wissen wir noch nicht. Wir verkraften als Frau die Ansage. Im Folgeraum kommen dann halbierte Frauenkörper an Haushaltsgegenständen zur Schau. Sie liegen, knien, sitzen, hängen, oder grätschen auf Haushaltsgegenständen. Und in den möglichen Öffnungen stecken Zigaretten.

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Die Künstlerin ist detailliert in der Darstellung der Genitalien. Keine Frage es geht um Sex, um Frauenbilder, um Porno, um Missbrauch, um Missachtung. Oder ist das alles ein Witz, schwarzer Humor mit fahlem Beigeschmack?

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Manche Unterkörper liegen auf Waschmaschinen oder Kühltruhen. Eine Maschine ist von Miele. Als wir den Pavillon verlassen, spreche ich mit dem britischen Aufsichtspersonal. Frage ob die meisten Frauen heraus gehen und ihrem Unmut Raum machen? Oder ob viele danach fragen, ob die Mielewaschmaschine und die Kühltruhe denn nochfunktionstüchtig sind. Fragen die eher einer Übersprungshandlung zugesprochen werden müssen, weil die Kunst die Sprache verschlägt. Ja in der Tat meine Annahme wird bestätigt es wird nach den Objekten gefragt.

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Es ist eine Ohrfeige für Frauen. Auf Facebook stelle ich die Frage was das soll? Eher als rhetorische Frage formuliert. Die männlichen Antworten sind alle lässig und humorvoll. Die Frauen verärgert und angegriffen. Konnte die Künstlerin nicht auch einen männlichen Unterkörper mit einer Zigarette stopfen? Warum denn wie immer nur Frauen? Dann wären die Bemerkungen der Männer garantiert nicht so flapsig und leger ausgefallen.

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Dieser Pavillon ist ein Affront, grob und plump. Ich kann einfach nicht lachen.

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Biennale Venedig 2015: „revolutions“ von Celeste Boursier-Mougenot, Frankreich

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Der Französische Pavillon wird 1912 als fünfter Pavillon eingeweiht. Er steht gegenüber der deutschen Nationalvertretung die 1909 eröffnet wurde. Er wurde von dem Chefingenieur der Architekturabteilung Venedig Fausto Finzi verantwortet. Der Französische Pavillon ist der einzige der noch im Besitz Venedigs ist. Hier stellt der Südfranzose Celeste Boursier-Mougenot sein Werk „revolutions“ vor. Drei Kiefern mit ihren Wurzelballen, zwei vor dem Pavillon, eine Kiefer im Innenraum bewegen sich langsam hin und her.

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Auf dem Erdreich befinden sich 2 Bewegungsmelder. Sie verfolgen die Menge der Besucher im unmittelbaren Umfeld der Bäume. Wenn viel passiert, bewegen sie sich schneller, wenn wenig geschieht dann ist es eine gemäßigte Fortbewegung. Lebende Bäume, die die menschle Nähe suchen. Sie rufen bei ihren langsamen Fahrten einen dunkeln Ton hervor. Einige Wurzeln berühren den Boden und scheinen zu zittern. Vor Aufregung, vor Erwartung, vor Furcht, wissen wir nicht. Es sind Bäume wie aus dem „Herrn der Ringe“. Lebewesen ja das schon immer, aber bewegte Wesen? Das ist hyperreal, das ist Zukunft.

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Die Erdballen sind groß und sehr trocken. Bei näherer Betrachtung fragt man sich, ob sie wohl regelmäßig bewässert werden? Natürlich alles andere wäre unvorstellbar. Denn mit der Bewegung wachst die Empathie. Und wie bewegen sie sich denn? Werden sie angetrieben, haben sie Rollen? Wo befinden sie sich? Der Erdballen hält die Wurzeln, da müssen Räder und Motor noch in den Ballen eingearbeitet sein. Wir legen uns auf den Boden und versuchen einen Blick unter den Rock. Aber es ist schwer erkennbar. Ja es sind Rollen aber wie groß sind sie? Also muss das Handy her. Wir bewegen uns in der Hoffnung, dass der Baum zu uns kommt. Er kommt und fährt über das filmende Telefon.

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Jetzt nur noch den Baum in eine andere Richtung lenken, das Filmgerät aufheben und das Resultat betrachten. Wir werden tief enttäuscht. Der Baum hat gar nicht so viel Wurzelballen wie es erscheint. Er ist ausgehöhlt, nur Raum für einen großes Rad und den Rechner, zur Verarbeitung der Signale. Der Baum wird täglich kämpfen, er wird schwerlich ein freudiges Biennale Dasein haben.

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Screen Shot 2015-06-05 at 15.21.12Der Künstler will die Grenzen zwischen Natur und Technologie ausweiten. Das soll er wohl auch tun aber nicht auf Kosten der Natur. Und wir betrachten seine Bäume genau wie er es von uns will. Sehen sie mehr als Lebewesen, ja als Freunde an. Geben uns Mühe ihnen nicht zu nah zu treten, wollen sie nicht verletzen, wollen dass sie einen Lebensraum haben, hoffen dass sie gegossen werden, dass sie geliebt werden. Aber das werden sie scheinbar nicht. Die Kunst ist dem Macher wichtiger. Das ist enttäuschend. Auch wenn das Artefakt, ja so muss es beschrieben werden, nämlich als totes Ding, eine messerscharfe Vermittungsqualität inne hat.

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Der 54 jährige Boursier-Mougenot wird als Künstler beschrieben der Medien vermischt und die Grenzen der klassischen Kunst durchbricht. Er ist ein Technologie affiner Mann, arbeitet mit Pflanzen, mit Tieren, Instrumenten und Computern. So hat er einen Raum gestaltet in dem kleine Zwergfinken auf liegenden Gitarren herum hüpfen und sie bespielen. Ein eigenartiges Tonsammelsurium entsteht. Diese Installation überzeugt durch Witz und auch genügend Respekt vor den Tieren.

Er studierte Musik, Saxophon und Violine, erkannte aber, dass es für die große Karriere nicht reicht und sattelte um. Leicht geschrieben schwer umgesetzt. Seine Installationen werden oft von Tönen beherrscht, von Macharten, Geräusche zu erzeugen und Musik zu schreiben. Er bleibt seinem Studium treu, aber bei den Bäumen hätte er ruhig ein bisschen mehr auf deren Bedürfnisse achten dürfen. Das nehmen wir ihm übel.