Im Hirshhorn Museum, Washington DC, USA.
Laurie Anderson ist eine der führenden Multimedia-Künstlerinnen unserer Zeit. Ihr innovatives Werk in den Bereichen Performance, Musik, Technologie und visuelle Kunst beeinflusst die Populärkultur seit mehr als vierzig Jahren. Im Jahr 2021 lud das Hirshhorn Museum Laurie Anderson ein, im Rahmen von The Weather – ihrer bisher größten US-Ausstellung – ein neues Werk vor Ort zu schaffen. Mehr als zwei Wochen arbeitete sie unzählige Stunden pro Tag im Museum. Sie malte direkt auf die Wände und Boden der großen Galerie. Fast jeder Zentimeter wird mit Geschichten, Songtexten, Zitaten, Witzen und Kommentaren zu aktuellen Ereignissen bedeckt. Sie malt ohne Skizzen, Vorzeichnung oder Entwurf. Es ist malen ihres Bewusstseinsstroms. Die Installation ist persönlich, sie spiegelt Laurie Anderson während dieser zwei Wochen wieder.
Der Titel der Installation, Four Talks, bezieht sich auf die vier Skulpturen – ein Rabe, ein Papagei, ein Kanu und ein Regal, eigentlich das wankende Regal (Shaking Shelf). Sie sind im Raum verteilt und werden von einer prägnanten Geschichte oder Textpassage begleitet. Die Installation is monumental und konzeptionell, ein Meilenstein in ihrem künstlerischen Schaffen.
Die Skulpturen stammen aus den Jahren 2010 bis 2020. Es ist der Papagei, der Rabe, das Kanu und das Regal eigentlich das wankende Selbst.
Es ist ein großer Raum. Schwarz weiße Bemalung mit Kommentaren, Gedanken, mit Poesie versehen. Eigentlich steht die Besucherin nicht nur in einer Art räumlicher Illustration, sondern im Gedankengut von Laurie Anderson.
Wer sich den Skulpturen nähert, wird sie reden hören. Sie erzählen Geschichten, reflektieren, mäandern und kommentieren.
Schon auf der Empore ertönt eine Hintergrundmusik. Ein Gong schlägt an, gefolgt von unhörbaren Gesängen. Es gibt Geräusche von Donner und Regen. Die Stimme von Anderson wiederholt: „Vogel, Vogel, Vogel“. Eine andere Stimme hallt im Hintergrund. Die Musik wechselt zu fließendem Wasser und Vogelgezwitscher, gefolgt von einem leisen, elektronischen Summen. Der melancholische Klang einer Geige setzt ein, gefolgt von Klavier. Vogelgesang kehrt zurück, vermischt mit elektronischen Klängen und dem Schlag eines Gongs. Klirrendes Metall deutet auf einen vorbeifahrenden Zug. Es erklingen Grillengezirpe, das Jaulen eines kleinen Tieres, vorbeifahrende Autos auf einer Straße und mechanisches Klopfen. Nach einer kurzen Pause setzt das Klavier wieder ein. Die Musik wechselt zu elektronischen Klängen, Zimbeln und Glocken. Anderson spricht und singt Phrasen, von denen nur einige hörbar sind, wie z. B. „der gemeine Rabe“. Es erklingt ein Cello, gefolgt von ätherischen Umgebungsgeräuschen, Regen und Donner. My Day Beats Your Year (The Parrot), 2010/2021 Schaumstoff, Metallständer, Elektronik und Klang
Der Papagei spricht mit einer tiefen, computergenerierten Stimme, mit periodischen Pausen. „Ihre Stimme . . . Ihre Stimme war wie eine alte rostige Pumpe, die die Worte sehr, sehr, sehr langsam durch ein langes Rohr nach oben schickte, und wenn sie dann in ihrem offenen Mund ankamen, kamen die Worte heraus wie rostiger Draht, der lange Zeit im kalten Ton gelegen hatte. Ich habe wieder Drachen gesehen. Ja, das ist wahr. Ich gebe einer nackten Frau nicht gern einen Dollar. Das ist einfach meine Politik. Also erschieß mich. Genau so sehe ich das auch. Ach ja … soll ich das wiederholen? Schönheit in all ihren Formen. Komisch, dass Hass auch etwas Schönes sein kann. Wenn er so scharf wie ein Messer ist. Wenn er so hart ist wie ein Diamant. Perfekt. Und wenn wir sterben, werden unsere Körper zu Diamanten, zu Teetassen, nicht nur zu Kreide und Kohlenstoff. Zu viele Leute nehmen Prozac. Das denke ich auch. Diese falsche Fröhlichkeit, die jetzt überall herrscht, macht mich wirklich fertig. Ich meine, können wir nicht einfach herumlaufen und wir selbst sein? Es ist schon komisch, wie männliche Menschen von Pornografie so erregt werden können. Wenn sie ein Bild sehen – es kann sogar schwarz-weiß sein – können sie erregt werden. Ist das einfach ein Fall von schlechter Sehkraft? Liegt es an Schwachsinn? Oder ist es ihre erstaunliche Vorstellungskraft? . . . Es heißt, wer glaubt, dass die Technik seine Probleme lösen kann, versteht die Technik nicht und versteht seine Probleme nicht. Twiddledee dee. Twiddledee dum. Twiddledee dee. Twiddledee dum. Twiddledee dee. Twiddledee dum.
Meine Rückschau ist einfach nicht mehr das, was sie mal war. Die Augen in meinem Hinterkopf. Null der Zähler. Den Zähler auf Null stellen, den Zähler, den Zähler, bitte. Nimm den Zähler zurück. Den Zähler auf Null stellen. Nulle den Zähler. Ich erzähle meine Probleme ständig Leuten, die ich nicht einmal kenne. Was soll das alles? Ich bin ein Fremder in deiner Stadt. Wie ein Fleischklops in einem Weinglas. Wie ein Strauß in Stollenschuhen. Ein Hund mit Honig in der Nase frisst alles, was er sieht. Das sind ein paar Dinge, die mich wirklich krank machen. Nur damit du es weißt. Unterbrich mich, wenn du das schon mal gehört hast. Hey-hey-OK, OK, OK. Hey-hey- OK, OK, OK. Hey-hey-OK, OK, OK. Da hast du mich erwischt, Kumpel! Ein mitternächtliches Bad in einer Petrischale. Tanzen im Mondlicht mit ihrem Wigwam-Haar. O oooooooooo ah ha ha ha oooooooo ja. Oh, ja! Was soll ich sagen? Erinnerst du dich? Ja, ich erinnere mich. Ich erinnere mich. Ihre Augen leuchteten wie zwei sehr alte Glücksdollars. Die Stadt lag in Trümmern. Die Jahre 1959 und 1960. Ich erinnere mich gut an sie. Sie waren wie zwei kleine Mädchen, die Zwillingskleider trugen. Man konnte sie kaum auseinanderhalten. Und ich – und ich – mein Herz – mein Herz war gebrochen. Und es war … es war … einfach gebrochen. Einfach völlig gebrochen. Gebrochen, gebrochen. Wie ein gebrochenes Herz. Andere gebrochene Dinge… gebrochene Häuser, gebrochene Codes, gebrochene Träume, gebrochene Schallplatten… gebrochenes Englisch, gebrochene Regeln, gebrochene Beine, gebrochener Geist, gebrochene Pferde, gebrochene Versprechen… gebrochen, gebrochen, alles gebrochen… alles gebrochen… . . Setz dich hin und schreibe dir selbst einen Brief einen Brief einen Brief versuche, dich selbst zu erkennen und dich besser zu fühlen. Koche und esse deinen eigenen Kopf. Das ist, was ich sage. Tod, dieser Trottel, dieser Gauner, was für ein Widerling. Er tauchte in den neuen Maschinen auf. Holt die neuen Maschinen.
So geht es weiter. Eine endlos scheinende Tonschleife. Sie treibt die Hörerin durch die Assoziationen der dadaistisch anmutenden Sätze.
Jede einzelne Skulptur hat eigene Gedanken oder Eindrücke. Manche sind kürzer, andere unendlich lang. Die Besucherin wandert durch den Raum, steht an den Skulpturen, hört hinein, wendet sich ab und liest die Texte auf den Wänden und Böden.
Alles kann nur durch stundenlanges Verbleiben entschlüsselt werden. Jede sucht nach eignen Texten, jede findet eine Ansprache, jede denkt nach und vergleicht mit eigenen Gedanken. Manche Texte sind witzig, manche ernst und tragisch. Ein großer Strom von Innerlichkeit in diesem Raum. So wie Laurie Anderson.
Beitrag und Fotografie von Prof. Katja Schmid
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