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Biennale Venedig 2015: Kutlug Ataman, The Portrait of Sakip Sabanci, 2014
Wir sehen unter der Decke im Arsenal eine Welle bestehend aus 9216 LCD Panels. Es ist eine Video Installation, die dem 20igsten Todstag des türkischen Unternehmers Sakip Sabanci gewidmet ist. Die Arbeit wurde von der Familie Sabanci in Auftrag gegeben. Es dauerte 3 Jahre um dieses Werk fertig zustellen.
Es sind Portraits von Menschen, die den Weg des Unternehmers kreuzten. Es sind Familien Mitglieder, Mitarbeiter, Kollegen, Freunde, Menschen, die er unterstützte und förderte. Dieser Unternehmer war ein Menschenfreund, ein Gutmensch. Er hat vielen Menschen den Weg in eine Zukunft gezeigt, vielen Menschen Hoffnung geschenkt. Die Portraits sind in Passbildgröße. Jedes Gesicht bedeutet eine Geschichte. Und jede dieser Geschichten ist mit diesem einen Menschen verbunden. Er muss ein Mensch gewesen sein, der sich durch Neugierde, Toleranz und Humanismus auszeichnete.
Der Himmel des Raums ist mit dieser Bildwelle ausgelegt. Der Raum wird durch Blau und vielen kleinen anfangs noch anonymen Bildern geprägt. Aber schon bald bewegt sich der Besucher wie in einer Kathedrale. Der Kopf im Nacken schaut er hoch und liest die Gesichter.
Der türkische Künstler aus Istanbul wurde 1961 geboren. Neben der Kunst macht er Filme. Sein Interesse gilt der Erfassung von Identität. Wie werden Gesellschaften durch Menschen geprägt, wie prägen sich Menschen innerhalb der Gesellschaft. Wie stellen sie sich dar, wie verbinden sich die Individualität mit Realität und dem Fiktiven. Was machen Menschen die im Rampenlicht stehen um einen Mythos zu begründen. Welche Geschichte schreiben sie sich selbst zu?
Seien Arbeiten wurden auf der Dokumenta, im Lentos Museum Linz, auf der Biennale in Sao Paulo, im MOMA New York City, Im Ludwig Museum Köln, im Museum für Contemporary Art in Sydney , in Belgien, Dänemark,- eigentlich überall – ausgestellt.
Biennale Venedig 2015: Chris Marker im Arsenal
Er verstarb 2012 und hat sich Zeit seines Lebens der Photographie, dem Schreiben und dem Dokumentarfilm verschrieben. Seine Filme sind im Deutschen Raum echte Underdog Tipps. Er hat einen Essay zu Akira Kurosawa gemacht, hat den Film Sans Soleit 1983 veröffentlicht. Noch andere, natürlich. Keines seiner Werke kann man als Mainstream oder hoch kommerziell bezeichnen. Ein Künstler der sich treu blieb.
Seit 1987 hat er dann auch eher Multimediale Arbeiten gemacht, er produzierte für das Centre Pompidou und man kann seine Werke im Museum of Modern Art in New York City sehen.
Die Bilder sind aus der Serie Passengers, entstanden zwischen 2008 und 2010.
Es werden Portraits gezeigt. Sie unterscheiden sich. Es sind einerseits Schwarz Weiss Bilder, ursprünglich Werbefotos, zerknittert und neu fotografiert. Heraus kommen Gesichter der Qual, des Schmerzes, der Folter, der Zerstörung. Es waren mal gestellte voll manipulierte Bilder einer Schönheitsgetriebenen Industrie. Jetzt sind es Zeitzeugen. Sind es Flüchtlinge oder in Armut gekommene Leidensgesichter? Sind es Folterbilder oder Kriegsleidende?
Die Technik ist so einfach, das Ergebnis zu verblüffend. Einerseits klassisch, andrerseits so aktuell. Der Ausdruck ist überwältigend. Die Zerrissenheit der Gesichter. Wie kommt man nur auf so eine einfache Idee? Wie schafft man es nur, die Kraft der Zerknitterten Bilder zu begreifen? Und nicht weg zu legen, weil man glaubt der Herstellungsprozess sei zu einfach gewesen. Es ist ein bewundernswerter Akt des Bewusstseins. Die Bilder schreien das Leiden dieser Welt heraus.
Und zeitgleich sehen wir die Bilder der Menschen auf dem Weg nach Hause. Sie sitzen in öffentlichen Transportmitteln, sind erschöpft, ganz für sich, nicht ansprechbar und allein. Die Hände gekreuzt, halten an der Tasche fest, Starren in die Endlosigkeit, schlafen oder meditieren scheinbar in einer von Bewegung getriebenen Welt. Die Transportmittel ähneln, immer ein Fenster an der die städtische Landschaft vorbei fährt, enge Sitze aus Plastik mit wild bemusterten Schmutz abweisenden Polstern belegt. Die Menschen kommen von überall. Sie sind verschieden aber in der Erschöpfung doch ähneln sie sich.
Abu Bakarr Mansaray wurde 1970 in Sierra Leone geboren. Es ist eines der ärmsten Länder dieser Welt. Bürgerkriege haben das Land von innen her ausgehöhlt. Auf eine Zukunft können die meisten nicht hoffen. Die Schulbildung beschränkt sich auf das Nötigste, dann wird Geld verdient. Abu Bakarr Mansaray durfte bis 1987 in die Schule, immerhin 17 Jahre. Das allein reichte ihm nicht. Er brachte sich Aspekte der praktischen Natur- und Ingenieurswissenschaften bei. Ein Autodidakt wie er im Buche steht.
Dann begann er sein Wissen künstlerisch einzusetzen und baute aus Technik- Müll, Kabeln oder anderen ausgedienten Technikequipment dekorative Objekte. Das ist in Sierra Leone populär. Mit der Zeit wurden aus den Kunsthandwerklichen Skulpturen immer futuristischere Formen und Maschinen. Diese Maschinen sollten für alles mögliche gut sein, für Feuer, Licht, Luft, Wasser, Kälte, Bewegung oder zur Tonerzeugung. Und das wiederum brachte ihn zu den Zeichnungen, die jetzt auf der Biennale gezeigt wurden.
Denn diese Zeichnungen sind Konstruktionszeichnungen, vorbereitende Skizzen für seine Zukunftsmaschinen. Sie sind ausgefeilte Produkte der Phantasie und so stehen sie als unabhängige Arbeiten gleichberechtigt neben den Skulpturen. Er zeichnet mit Kugelschreiber, Bleistift, allen möglichen Filzstiften oder Kreiden. Feingliedrig und detailreich eröffnen sie Vorstellungen. Die Kombination aus poetischen Einfallsreichtum, aus Technikdarstellung der Phantasie entsprungen und den Motiven lassen an Konstruktionen von Leonardo da Vinci denken.
Die Konstruktionen scheinen funktionieren zu können, wären sie vor 400 Jahren publiziert worden. Dann wäre dieser Künstler auch Ingenieur und Erfinder gewesen. Vielleicht sogar wären einige dieser Ideen zu Prototypen gebaut worden. Vielleicht wäre sogar der Versuch gemacht worden, so ein Teufelswerkzeug zum laufen zu bringen. Vielleicht wäre der Künstler verbrannt worden. Diese Gedanken leben bei der Betrachtung auf. Es ist die Naivität der Motive, die in unserer Technik versessenen Welt Einsicht und Verstehen für das Jetzt hervorrufen.
Adrian Piper, geboren am 9. September 1948 in New York City arbeitet im Bereich der Concept Art. Sie ist nicht nur Künstlerin sondern auch Philosophin. Sie studierte an der School of Visual Arts, City College of New York und in der Harvard University. 1981 promovierte sie in dem Fach Philosophie. Sie verbrachte an der Universität in Heidelberg einige Jahre und betreibt in Berlin, ihrem heutigen Wohn- und Arbeitsort das The Berlin Journal of Philosophy und das Adrian Piper Research Archive. 2015 wurde ihr der Goldene Löwe für Beste Künstlerin auf der Biennale in Venedig verliehen.
Sie präsentiert dort The Probable Trust Registry: The Rules of the Game #1-3, 2013. Eine Installation und Participatory Group Performance. Im Arsenal eröffnet sich inmitten der vielen Exponate ein Raum der kühlen Ruhe, in Grau mit Goldsätzen versehene Wände, davor 3 ovale goldene Rezeptionen mit den Massen 1,83 m in der Breite mal 1,6 m in der Höhe, jeweils besetzt mit einer Rezeptionistin. Es wird gefragt, welcher der drei Leitsätze an den 70% grauen Wänden für sie zutreffen. Nicht nur das, an welchen dieser drei Leitsätze sie sich in Zukunft halten werden. Dort dürfen die Besucher auch die Übereinkunft, einen moralischen Vertrag unterschreiben.
Wir haben die Wahl zwischen:
I will always be too expensive to buy
I will always mean what I say
I will always do what I say I am going to do
Es sind gute Fragen, wichtige Fragen, schwierige Fragen sogar. Wer hier vorbei geht, ist müde oder hat die Arbeit im Gewimmel nicht gesehen. Sie ist ja leicht zu verwechseln. Denn der Aufbau, eine Rezeption lässt an Büroarbeit, an Infostand denken, nicht so schnell an ein Kunstwerk.
Ich entscheide mich nach einigem Abwägen für: I will always mean what I say. Wohlweislich, dass ich sofort diese Regel brechen werde. Denn ich lüge mindestens 10 Mal am Tag. Es sind keine schwerwiegenden Lügen, kleine Versicherungen, Halbwahrheiten eher. Wenn ich meiner Schwester bei der Präsentation eines neuen Kleides ein Lob ausspreche und eigentlich denke, dass es ein bisschen altmodisch ist. Wenn ich Frisuren lobe, Schuhe, Kochkünste, Einrichtungen, Verpackungen oder andere Hunde und es nicht meine. Wenn ich behaupte, Dinge seien mir nicht wichtig, aber eigentlich sind sie es, dann sage ich garantiert nicht was ich meine. Wenn mich meine andere Schwester fragt, ob ich noch ein Stück Rinderbraten will, das Letzte und ich genau sehe, dass sie es gerne hätte, dann trete ich zurück und behaupte ich würde es nicht wollen. Wenn ich eingeladen werde und absolut keine Lust habe, dann lasse ich mir eine Ausrede einfallen. Wenn ich mich schlecht fühle und behaupte es ginge mir gut. Wenn ich Migräne habe und kein Bein an die Erde bekomme und voll mit Triptanen bin und sage, alles sei OK. Wenn ich eher entfernten Bekannten nicht zuhöre und so tue als wäre ich bei der Sache und am Ende Sachen sage wie: Das ist ja interessant. Wenn Studierende ein Feed Back zu ihrer Arbeit haben wollen und bis dahin noch alles ziemlich kindlich, naiv und miserabel ist, dann sage ich Sachen wie: Das sieht ja schon sehr gut aus, Ein Kleinigkeit müssten sie dennoch überdenken…..“ Es gibt unzählige Gelegenheiten in meinem Leben, wo ich nicht sage, was ich denke. Deshalb habe ich mich für diesen Satz entschieden.
Mit dieser heimlichen Erkenntnis unterschreibe ich den Vertrag. Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht. Eher danke ich der Künstlerin, dass ich eine Selbsterkenntnis habe.
Und weiß dass Interaktivität mit einfachen Mitteln erzeugt werden kann. ES muss nicht immer eine Kinect sein, Arduino, Microcontroller, LED Wändr oder Böden, Vernetzung und Server, Schnittstellen und Kabel. Hier denke ich, unterschreibe und warte auch die Ergebnisse, die im Adrian Piper Research Archive gelagert werden. Vielleicht werde ich eines Tages mal dort hin gehen und sehen, welcher Spruch die meisten Zuschläge bekommen hat.
Tuvalu stellt im Arsenale aus. Es ist ein kleines Land, tatsächlich das kleinste auf der Biennale Venedig 2015 mit einem eigenen Beitrag. Und deshalb okkupiert dieses Land nur einen Raum des Arsenale. Arsenale bedeutet Arbeitsstätte.
Der Wortstamm findet sich im Arabischen. Es beschreibt die Schiffswerft, das Zeughaus, die Flottenbasis der ehemaligen Republik Venedig und wurde 1104 begonnen; über die Jahrhunderte erweitert und vergrößert. Es wird in Dantes Göttlicher Komödie als Ort der emsigen Geschäftigkeit beschrieben, hier manifestierte die Republik Venedig ihre einstige Seemacht. Innerhalb weniger Wochen konnte eine Handelsgaleere in ein Kriegsschiff umgebaut werden. Wer heute abseits der Biennale zum Arsenale geht findet eine ruhige große Fläche mit der Führungsakademie der italienischen Marine und ein Marinemuseum vor. Für die Biennale wird alles für die Kunst freigegeben.
Im Arsenale werden Länder ohne eigenen Pavillon präsentiert. Und Einzelarbeiten von Künstlern gezeigt. Einen Tag braucht jeder Besucher mindestens für dieses Gelände. Und in dem Fall würde der Kunsttag um 10 Uhr beginnen und um 18 Uhr enden. Und in der Zwischenzeit gäbe es Verschnaufpausen und Momente der Unaufmerksamkeit, denn es ist viel was es hier zu sehen gibt. Das kann wohl keiner an einem Tag vollständig erfassen.
Zurück zum Beitrag von Tuvalu. Dieser Staat ist etwas größer als der Vatikanstaat und hat etwas mehr als 10.000 Einwohner. Es liegt nördlich von Neuseeland und östlich von Papua-Neuguinea. Eine kleine Insel die vom Untergang bedroht ist. An den höchsten Punkten liegt die Insel, eigentlich mehrere Inseln, nur 5 Meter über dem Meeresspiegel. In absehbarer Zeit wird dieser Staat nicht mehr da sein, die Inseln werden überflutet. Die Folgen des Klimawandels machen sich hier dramatisch bemerkbar. Die Menschen von Tuvalu müssen Asyl in den benachbarten Staaten beantragen, oder aber die Regierung kauft Land in Australien und siedelt dorthin um.
Und genau damit beschäftigt sich in die Installation. In einer der ehemaligen Fertigungshallen des Arsenal sind mehrere flache Wasserbecken eingelassen. Mehr nicht. In dem Raum ist es schwül, hohe Luftfeuchtigkeit und lichter Nebel bewegt sich dicht über der Oberfläche. Über mehrere schmale Stege geht es durch den Raum. Links Wasserbecken, rechts Wasserbecken. Im Raum vor diesem war es angenehm kühl. Hier schlägt das tropische Klima direkt auf die Haut und Atmung. Mehr braucht es auch nicht, denn die Botschaft ist klar formuliert.
Der Künstler Huan arbeitet und lebt in London. Seine Arbeiten beschäftigen sich mit Umweltproblemen. Er sieht sich in einer Reihe mit Joseph Beuys und dem Thema der Sozialen Skulptur. Er will Anliegen und Notstände in die Kunst bringen, das macht er durch teils mobile und interaktive Installationen, alle benötigen die Mithilfe des Besuchers. Hier im Arsenal ist es nur wenig was zu tun ist. Denn wir müssen nur den Titel lesen, das Land und durch die dampfende Wärme gehen. Dann wissen wir sofort dass hier der Klimawandel besprochen wird. Auf eine sehr einfache und klare Weise, sehr eindringlich dazu, es geht kein Weg an der Erkenntnis vorbei.