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Yunchul Kim: Gyre, Korea Biennale Venedig 22

Gyre dominiert den Pavillion von Korea. Es ist eine grosse bewegliche Skulptur. 50 Meter lang und einige Meter breit. Sie erscheint wie aus der Matrix entsprungen zu sein. Erinnerungen an jene Szene, wo Neo’s echter Körper im Brutkasten in einer riesigen Zuchtanlage für Menschen liegt. Er wird aus dem Brutkasten gespült und anschließend gerettet. Diese Brutkastenzellen ähneln den Modulen von dieser Skulptur.

Wie kommt es zu dieser Assoziation? Die Module scheinen fluoreszierende Flüssigkeiten (Photonic-Kristalle) in sich zu tragen. Sie bewegen sich manchmal, schaukeln mechanisch hoch und runter und die Farben innerhalb des Moduls ändern sich. Es ist ein liquides Bild. Die Form der Zellen ähneln Skibrillen (mit Verlaub). Die Menge an Modulen, in Schleifen ineinander verwoben, ergeben ein lebendig erscheinendes, mechanisch klingendes Objekt. Die Installation hängt an Stahlstreben, von oben herab und befindet sich auf der Höhe der Menschen. Es kann umrundet werden.

Aufgenommen auf de Biennale 22 von Ursula Drees

Die schiere Grösse, die Verstrickungen, die Bewegung, die Farbvielfalt ziehen den Blick auf sich. Ganz abgesehen von der prominenten Position im Raum selbst natürlich. Die Gedanken gehen in viele Richtungen. Ist es eine mechanische DNA Kette? Ist es ein Überbleibsel aus der digitalisierten Zeit, eine Art Skelett eines noch zu entstehenden Dinosaurier-haften Wesens? Oder ist es vielleicht nur ein technologisches Experiment ohne weitere Bedeutung? Die letzte Möglichkeit wäre enttäuschend.

Detail von Gyre Photographie Ursula Drees

Schöne Kunst ist die Fähigkeit, eine Essenz, das Wesentliche einer Sache, einer Zeit, einer Phase zu begreifen und festzuhalten. Künstler sehen sich in der Lage, mit wissenschaftlicher Neutralität auf das Leben zu blicken. Sie geben sich wertfrei einer Betrachtung hin. Das wird zum Beispiel in der Malerei, Zeichnung, Bildhauerei durch den Wunsch der Erfassung von Form, Farbe und Umraum begründet.  Zeit, Muße, Können, Fähigkeit, Abstraktionspotential und ein durch Gestaltungswille vollzogenes Aufladen mit Bedeutung stehen dem vor. Es entspringt einer Lust und Fähigkeit der Freiheit zum Erschaffen, was wiederum einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt.

Dem Künstler dieses Werkes wollen wir eine ähnliche Geisteshaltung unterstellen. Natürlich ist das Handwerkszeug in vielen Fällen ausreichend, um eine Besonderheit, Überzeugung, Glauben einer Gesellschaft, einer Epoche allein durch die Wahl des Mediums und dessen Bedeutungsraum auszudrücken. Hier ist es die Menge an technischen Elementen, an einer scheinbar eigenständigen Beweglichkeit, an der Überzeugung, dass Mechanisches, Digitales eine Art Versprechen auf eine schöne Zukunft in sich trägt. Es gibt einen strengen Gauben, dass Technik und Digitalität ein besseres, optimiertes (Arbeits-)Leben schafft, was wiederum uns, dem Menschen ein Leben ohne Arbeit verspricht. Maschinen, Roboter, KI’s erledigen unsere Geschäfte. Sie sind kalt, unemotional und berechnet und damit gerecht. Das wird in der Skulptur, ohne es explizit zu sagen, dargestellt. Aber ob der nächste Schritt, nämlich eine Kritik vollzogen wurde, bleibt offen.

Raumansicht von Gyre Photographie Ursula Drees

Raumansicht von Gyre Photographie Ursula Drees

Eine gerechte Maschine gibt es nicht, es ist ein Trugschluß. Denn auch sie werden von menschlichen Gehirnen entwickelt. Die Algorithmen werden von Menschen geschrieben und deren geistiger Stand und deren Wissen spiegeln sich in den Formeln wider. Ohne zu wollen werden Gruppen benachteiligt und diffamiert. Warum? Programmierer sind weder Philosophen, Soziologen, noch Erkenntniswissenschaftler. Leider konsultieren sie diese Denkgruppen nicht, wenn sie ihre Codes schreiben.

Detaillierte Zeichnungen als Vorläufer für das Werk. Detail von Skizzen zu Gyre. Photographie Ursula Drees

Deshalb ist das Heilsversprechen ein marodes. Ob diese Skulptur auch diese Bedeutung durch den Künstler eingepflanzt bekommen sollte, lässt sich nicht sagen.

Beitrag von Ursula Drees