Es ist ein trauriges Ereignis. Joachim Sauter ist am 10. Juli 2021 von dieser Welt gegangen.
Er hat ART+ COM mitbegründet. War an der Hochschule der Künste, später Universität der Künste in Berlin Professor für Kunst und Gestaltung mit digitalen Medien und Adjunct Professor für Mediengestaltung und Medienkunst an der University of California, Los Angeles.
Sein erstes Werk, für das er zusammen mit Dirk Lüsebrink, die goldene Nica 1992 gewann, „Der Zerseher“ bringt auch heute noch die wesentliche Botschaft der neuen Medien in der Kunst, Wissenschaft, Gestaltung und Gesellschaft auf den Punkt. Er war ein unermüdlicher Denker, Gestalter, Künstler und Schaffender.
Die Liste seiner Werke ist lang. Seine Werke kratzen am Zahn der Zeit, sie verbinden Technik und Gestaltung, atmeten Schönheit und Botschaft. Mehr dazu bei ART+COM. Trotzdem einige Beispiele.
THE SHAPES OF THINGS TO COME•KINETISCHE SKULPTUR –, 2008 BMW Museum, München
•RESONANCE – REFLECTIVE KINEMATRONIC III, 2010_ •Kunsten Museum, Aalborg, Dänemark
Ich habe ihn als Studentin an der HdK kennen gelernt. Er war der Betreuer meiner Meisterschülerjahre, ein Vorbild, er verstand den Wert der Medien in der Kunst und in der Forschung und hat sie vermittelt. Wie oft ich ihn auf der Ars Electronica traf und reden hörte, kann ich nicht sagen. Er veröffentlichte und hinterließ Gedanken, die mich nachhaltig bewegten. Er war ein Quell der Inspiration und die Welt verliert eine grosse Persönlichkeit.
Er war verständnisvoll und kannte keine Arroganz, obwohl er viel bewegte und mit ihm eine Ära zu Ende geht. Aber so ist das mit Menschen, die in der dünnen Luft da oben leben. Sie sind nicht arrogant, sie müssen sich nicht beweisen, sie arbeiten und bewegen. Einfach so. Ich erinnere mich an eine erste Begegnung. Er wurde in jungen Jahren zum Professor berufen und ich war Studentin, nur 4 Jahre jünger. Er war souverän und wissenstechnisch allen Anwesenden überlegen, er hatte eine Vision. Er kam in den Seminarraum, es muss Anfang 1990 oder Ende 1998 gewesen sein, und sagte: „HTML, das müsst ihr euch merken. Das wird die Welt ändern.“ Wir hatten keinen blassen Schimmer, er beleuchtete die Tragweite und wir bekamen einen Einblick in die Zukunft. Das gleiche wiederholte er einige Jahre später als MOSAIK auf den Markt kam. Er war den Dingen einen Schritt voraus und das machte seine Lehrtätigkeit zu diesem besonderen Erlebnis. Ein Seminar bei Joachim Sauter bedeutete Inspiration, Wissen und Zukunftsblick. Vergessen habe ich so gut wie nichts.
Als ich meine Meisterschülerinnenprüfung bei ihm absolvierte, zeigte er seine ausserordentliche Qualität für Empathie. Dafür muss ich ausholen. Bei meiner mündlichen Diplomprüfung war ich einigermassen runter mit den Nerven. Ich hatte viel gearbeitet, war aufgeregt und etwas übermüdet. Und deshalb bekam ich vor lauter Aufregung kein Bein an die Erde und fing nach wenigen Minuten an, fürchterlich und nicht enden wollend zu schluchzen. Es war kein Weinen mehr, es war der Zustand der absoluten Auflösung. Die Prüfung wurde unterbrochen, ich bekam einige Minuten Zeit und als ich dachte, ich könnte weiter machen, brauchte ich nur in die Gesichter der Prüfer zu schauen und schon ging es von vorne los. Dies war eine überaus entwürdigende Erfahrung. Ich begriff, ich habe Prüfungsangst.
In der mündlichen Verteidigung für die Meisterschülerinnenprüfung stand Joachim Sauter vor mir, schaute mich an und fragte nur: „Ursula, wie lange wirst du durch halten?“ „Vielleicht 8 bis 10 Minuten?“. Darauf erwiderte er: „Nun gut, dann musst du in 10 Minuten das Wissen, das im Normalfall in 20 Minuten abgeprüft wird, vermitteln. Konzentrier dich und dann werden wir einen Prüfungssprint hinlegen.“
Nach ca. 9 Minuten kamen die Tränen und ich schaffte noch eine letzte Minute, da aber bereits mit gebrochener Stimme. Aber es reichte und ich bestand. So war Joachim Sauter.
Lieber Joachim, du warst zu kurz auf dieser Welt.
Nachruf von Prof. Ursula Drees
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