Die Biennale Venedig 2019 steht unter dem Motto „May you live in interesting times.“ Wir leben in unsicheren Zeiten. Digitalisierung, Globalisierung zeigen gesellschaftliche Konsequenzen. Identität, Gemeinschaft, Tradition, Vergangenheit und Zukunftsvisionen werden durch diese Veränderungen mitgestaltet.
Digitalisierung liberalisiert alles Wissen. Ein Zugewinn einerseits, andrerseits werden Informationen nicht bewertet. Alles, das Kleine und Große, das Wichtige und Unwichtige, das Richtige und Gefälschte wird gleichwertig vermittelt. Die Menge der Daten vervielfacht sich, die kommunikativen Tools zeigen sequentielle Teile eines großen Ganzen. Der Mensch sucht seine Information nach Befinden und wird durch AI mit immer denselben Neuigkeiten konfrontiert. Was hat das für Konsequenzen? Globalisierung der Lebensräume und Inhalte. Wo stehen wir als Einzelwesen? Werden wir nur noch durch uns im Hier und Jetzt definiert? Gibt es Identifikation über Familie, Herkunft, Land und Menschen?
Wird der Mensch durch die Medien gesteuert, oder steuert er selbst? Diese Fragen stellen sich automatisch und das Motto „May you live in interesting times“ bezieht sich auf diese Umstände.
Im Schweizer Pavillon wird, wie in allen anderen, auf das Motto eingegangen. Pauline Boudry und Renate Lorenz bespielen den Schweizer Pavillon. Ein dunkler Raum, der den Besucher gleich zu vorsichtigen Schritten zwingt und durch den Ausgang betreten wird. Auf der Stirnseite ein Video. Die Stufen können zum Sitzen verwendet werden, aber Vorsicht! die Dunkelheit umfasst den Besucher vollkommen.
Pauline Boudry kommt aus Waadtland und Renate Lorenz aus Berlin, wo sie leben und arbeiten. Das Werk trägt den Namen „Moving Backwards“. PerformerInnen tragen orange farbige Schuhe. Sie strahlen im dunklen Videoraum. Sie werden falsch herum getragen. Jeder Schritt ist nach hinten gerichtet. Alles bewegt sich Rückwärts.
So haben schon in frühen Jahren Spurenleger Verunsicherung gestiftet. Die Fußspuren zeigen die falsche Richtung an. Und auch Frauen der kurdischen Guerilla bedienen sich des einfachen Tricks. Sie tragen die Schuhe in den Schnee bedeckten Bergen anders herum. Vorwärtsbewegung wird zur Rückwärtsbewegung.
Es ist ein experimenteller 20 minütiger Video. Immer geht es um das Rückwärtige. Manchmal ist es die Bewegung des Kopfes, manchmal steht eine PerformerInnen vor einem Mikrophon, will etwas sagen, kann aber nicht. Sie-Er sucht nach der Stimme und dann verhält sie-er sich, als sei alles vorbei und geht von dannen. Dazwischen wird der Besucher Zeuge eines unerfüllten Bemühens. Schuhe werden wie Enten vor den am Boden sich bewegenden PerformerInnen hergezogen oder nach hinten bewegt. Die Schuhe sehen zwar aus wie Schuhe, aber zum Tragen sind sie nicht geeignet. Der Absatz befindet sich an einer unmöglichen Stelle.
Dinge werden ein wenig verändert und schon ist der ursprüngliche Sinn ad acta gelegt. Nichts klappt. Es ist eine Hilflosigkeit, aber auch eine Unbeirrbarkeit mit der die PerformerInnen handeln. Keiner weiß wohin das führt. Eine klare und gut verständliche Botschaft. Das Wesen des Tanzes bringt ausreichend Spielraum.
Beitrag von Prof. Ursula Drees
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