Katharina Tillmanns beschreibt sich als Wissenschaftlerin, Gestalterin und Vortragende in dem Bereich von Spielen, Kunst und Activisim, also eine politische, eine soziologische, eine bestimmte Position vertretend. Spiele, die sich nicht ausschliesslich in der Entertainment-, Unterhaltungsbranche einordnen lassen. Sie ist ausserdem auch Co-Präsidentin bei GAMES FOR CHANGE EUROPE und leitet das Research & Communications Department am Kölner Game Lab, das im Institute for Game Development and Research der Hochschule Köln angesiedelt ist. Sie betreibt Studien zu interaktiven dokumentarischen Formaten, sie denkt über die Rolle der Gestaltung innerhalb dieser speziellen Formate nach. Sie beschäftigt sich mit spielbasiertem Lernen, macht das sogenannte transformative Spiel Design (wobei ich nicht genau weiss, was dahinter steckt, hört sich aber sehr gut an) zum Thema, ist an der Psychologie des Spielers interessiert und vergisst die Verhaltensökonomien nicht. Verhaltensökonomien von der Spielercommunity oder den Machern, oder der Wirtschaft? Das bleibt offen, aber es nennt sich „behavioural economies“. Hört sich auch prima an.
Sie ist aktiv, wendig und spricht ein ausgezeichnetes English, Sie macht den Keynote Speaker, hält die Einführungsrede, gibt eine Initialzündung für den Themenbereich, den Track, namens GAMES FOR CHANGE EUROPE. Knapp vermittelt sie schlagwortartig die Grundlagen des Spiels. Es ist eine Motivationsrede und passt mit der Rolle als Key Note Speaker zusammen.
Sie beginnt mit einigen Beispielen aus der Hochschule Köln, aus ihrem Department, ihrer Arbeitswelt. Was bedeutet Game als soziales Experiment? Sozial weil die Themenbereiche im gesellschaftlich Sozialen einzuordnen sind. Obdachlosigkeit durch lebendiges 3 D Real time Gaming mit Occulus Rift z.B. Stecke die Menschen in die Schuhe der Obdachlosen, zeige ihnen ihren Blickwinkel, lasse ihre Welt virtuell auferstehen, schenke den nicht Obdachlosen eine Perspektive für die Obdachlosigkeit, schaffe Verständnis, Empathie. Alles in allem: eine gute Idee für ein Spiel.
Sie erklärt, dass die Passanten eher die Einstellung vertreten, dass sie absolut nichts, aber gar nichts mit diesen sozial Gestrandeten zu tun haben wollen. „Keep me out of it! I don’t want to see the lonelyness!“ Menschen sagen: lass mich in Ruhe, ich will damit nichts zutun haben. Ich will diese Einsamkeit und Isolation nicht sehen, nicht konfrontieren. Eine nur allzu weit verbreitete Einstellung, denn wer nicht im System ist, steht davor, hat absolut nichts zu tun mit allen, die drin sind. Die Lebenswelten, Selbsteinschätzung, Erwartungen, Überzeugungen differieren so gravierend voneinander, dass diese zwei Welten wohl nur schwerlich zusammen geführt werden können.
Katharina Tillmanns spricht in diesem Zusammenhang von Marshall McLuhan’s „The Medium is the Message“. Dieser eine Satz hat die Medientheorie beseelt, auch wenn er oft missverstanden wird. McLuhan stellt programmatisch fest: „eine Analyse von Programm und -Inhalt- gibt keine Hinweise auf die Magie dieser Medien oder auf ihre unterschwellige Energie“. (McLuhan 1995a/1964,18). Was genau wird damit eigentlich gemeint? McLuhan hat sich als Schüler von Harold Innis definiert. Und dieser Harold Innis hat in unendlich langwierigen Studien die Veränderungen von gesellschaftlichen und politischen Strukturen über Veränderungen innerhalb von Handelswegen und Handelsmedien nachgewiesen. Das erklärt er ausführlich in seinem Hauptwerk: Empire and Communication. Es geht um die Form einer Sache. So waren die Phönizier nur durch die Erfindung des Rads in der Lage die Kriege zu gewinnen. Das Rad als Programm nicht als Inhalt. McLuhan meint auch genau das wenn er von „The Medium is the Message“ spricht. Es sind die unterschiedlichen Wirkungen, die mit dem Konzept einer Form verbunden werden. Nicht den Inhalten. So ist Papier die Botschaft selbst, nicht der Inhalt, der auf dem Papier nieder geschrieben ist. So ist Mobilität die Botschaft von Strassen. Sicherheit und zielgerichtetes Streben gehören auch dazu. So hat Stein die Botschaft von Tradition, Langfristigkeit, Erhalten, Konservierendem. Und je nach Größe des Steins, z.b. ein Stein oder Steintafel, oder ein Monolith werden diesen Steinformationen entsprechende Botschaften, die ausschließlich in der Form auszumachen sind, zugesprochen. Viele Menschen verstehen den Satz „The Medium is the Message“ aber eben nicht so. Sie geben dem Programm -Inhalt- der Medien die endscheidende Beachtung und damit wird der Satz missverstanden. „McLuhan: Denn die -Botschaft- jedes Mediums der jeder Technik ist die Veränderung des Maßstabes, Tempos oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt.“ (McLuhan 1995a/1964,22f).
Das bedeutet: Medien – in einem urreduzierbaren Plural – werden, als Formate und Infrastrukturen kollektiver und individueller, gesellschaftlich-kultureller und kognitiv-psychologischer Sinnproduktion verstanden. Dadurch wird der Blick weg von ihren explizit transportieren -Inhalten (Programmen, Meinungen, Vorstellungen usw-) hin auf ihre unterschwelligen, das heißt zumeist unbemerkten, aber systematischen Wirkungen gelenkt. (Oliver Lerone Schultz: “Marshall McLuhan – Medien als Infrastrukturen und Archetypen” in Lagaay, Alice; Lauer, David (Hg.): Medientheorien, eine philosophische Einführung. Campusstudium, Frankfurt am Main, 2004. p. 39).
So bin ich verwirrt dass Katharina Tillmanns „The Medium is the Message“ explizit einer inhaltlichen Sache zuweist. Sie erklärt das Spiel über Obdachlosigkeit und spricht von den Möglichkeiten der Occulus Rift. Aber ist die Occulus Rift nicht genau das Gegenteil von dem was sie uns näher bringen will, nämlich Empathie, Verständnis, Gemeinschaft und Miteinander? Die Occulus Rift, untersuchen wir sie auf ihre Form, bedeutet einen Helm aufsetzen, der den Menschen blind für die Wirklichkeit macht. Er ist abgeschottet von allen anderen. Er verlässt die echte Welt, isoliert sich, macht sich einsam. Ist es das, was Katharina Tillmanns sagen wollte?
Diese Unachtsamkeit im Vortrag lässt den Zuhörer straucheln. Sie geht nicht näher auf die Occulus Rift ein, spricht von den Inhalten des Spiels. Kann es sein, dass sie etwas nicht verstanden hat? Wird alles was folgt auch so sein? Nicht reflektiert, vielleicht nur eine Aufzählung aus Büchern? Ist es wirklich verstanden oder nichts weiter als Stichwortkaraoke zum Thema Games.
Sie hebt hervor welche heilbringendes Wirkung die Gamesindustrien auf den Menschen haben. Argumentiert dass alle alltäglichen Bedenken nicht zutreffen. Bedenken wie: Isolation, Autismus, Verlust von kommunikativen Fähigkeiten, Empathie und Verständnis, Diskussionsfreudigkeit, Ideenreichtum usw. Sie sieht die Autonomie, die Kompetenz, die Verbindungen der Spieler, den Spielspass, den Flow, das Aufgehen in einer Sache, die internistische Motivation im Spiel. Sie zeigt das Gute. Als Zuhörer ist man aber am Differenzierten interessiert. An den reflektierten Schattierungen, an den Einschränkungen, an der Umgebungseinflüssen, an dem Besonderen, nicht dem Allgemeinen.
Katharina Tillmanns verlässt die Ebene des Idealzustands nicht in ihrem Vortrag. Sie bleibt abstrakt, wird nicht konkret. Der fachfremde Zuhörer wird ordentlich beeindruckt sein. So viele Stichworte, so viele Metabeschaffenheiten, der Insider zeigt sich aber weitaus kritischer. Das Gesagte und Gezeigte verlässt das Niveau einer Bachelorthesis zu keinem Zeitpunkt. Es werden Annahmen unreflektiert aufgezählt und der Eindruck, dass die kausalen Zusammenhänge nur undeutlich, schemenhaft in ihrem Geiste auftauchen, verlässt den Hörer nicht. Eine Anfängerarbeit, ein Anfängervortrag. Schön anzuhören, auch erstmal beeindruckend, aber nichts weiter. Etwas zum Falsifizieren.
Nachsatz: Einige Folien stammen aus dem Konferenzbeitrag „Clash of Realties Computer Games“ aus dem Jahr 2014. Dieser Beitrag wurde als Essay in „Spielwelt – Weltspiel. Narration, Interaktion und Kooperation im Computerspiel: Clash of Realities 2014“ veröffentlicht. Die Herausgeber sind
Gehört auf der fmx 2015.
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