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Ars Electronica 2024: If You Have Starry Skies in Your Eyes, Rib (JP)

#3 If You Have Starry Skies in Your Eyes, Rib (JP)

Award of Distinction, Prix Ars Electronica, Ausstellung von 13 PreisträgerInnen im Lentos Kunstmuseum

Unter den PreisträgerInnen, die im Lentos Kunstmuseum ausgestellt sind, hat mich eines besonders beeindruckt. Es sind Rib’s Kreationen von Augenprothesen. Ich brauchte einen Moment in der Ausstellung, um zu verstehen, dass die Künstlerin auf einem Auge erblindet ist und eine Prothese trägt. Sie hat diesen Umstand zum Anlass genommen, ihre eigenen Prothesen zu gestalten und selbst herzustellen, nachdem sie sich das entsprechende Verfahren angeeignet hat.

In Japan sind Augenprothesen traditionell so gestaltet, dass sie realen Augen möglichst exakt nachempfunden werden. Dieser rationale Ansatz spiegelt sich in den strengen Normen der japanischen Industrie für Augenprothesen wider, die individuelle Wünsche wie „Ich möchte eine Prothese mit etwas größeren Pupillen, die zu meinen farbigen Kontaktlinsen passen“ oder „Ich hätte gerne eine Prothese mit einer blauen Iris“ nicht berücksichtigen. Offiziell zugelassene Hersteller lehnen solche maßgeschneiderten Prothesen ab.

Gegen diese gesellschaftlichen Vorurteile stellt Rib ihr Kunstwerk in Form einer innovativen, interaktiven Prothese vor. Diese Prothesen, die Rib selbst trägt, haben unterschiedliche Designs, eine davon integriert einen Magnetsensor, ein LED-Licht und eine Batterie, alles umhüllt von medizinischem Acrylharz. Durch die Beleuchtung des Auges mittels des Magnetsensors wird die Prothese zu einem Symbol für Individualität und Selbstdarstellung.

Das Projekt basiert auf Ribs persönlichem Hintergrund und setzt sich gegen die gesellschaftliche Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen ein, die oft als „unsichtbar“ oder „unberührbar“ angesehen werden und die Tendenz haben, sich zu verstecken. Mit diesem leuchtenden, prosthetischen Auge fordert Rib die gängigen Vorstellungen über naturtreue Replikation von Prothetik heraus und bietet Menschen mit Behinderungen mehr Möglichkeiten zur Selbstdarstellung. Ribs Ziel ist es, die Einzigartigkeit und das Potenzial physischer Unterschiede zu zeigen und die Akzeptanz sowie das Verständnis für Vielfalt zu fördern.

https://www.righteyerib.com/work

Beitrag und Medien von Professorin Katja Schmidt.

Ars Electronica 2024: Conversations Beyond the Ordinary – Jan Zuiderveld (NL)

Von sprechenden Maschinen, Teppich-Tastaturen und manipulierten Raum-Zeit-Videos – weitere preisgekrönte Arbeiten aus dem Lentos 

Stellt Euch vor, Automaten und Geräte des täglichen Lebens würden mit Euch sprechen, diskutieren, sich über Euch lustig machen oder ihren Dienst verweigern! Das war die Grundidee von Jan Zuiderveld, der in eine Kaffeemaschine, einen Bürokopierer und eine Mikrowelle generative KI eingebettet hat, um uns zum Nachdenken anzuregen über Machtverhältnisse, Handlungsfähigkeit und Disruption im Alltag. Bei den BesucherInnen ein absolutes Highlight, welches viele zum Schmunzeln gebracht hat. Der bittersüße Nacheffekt ist garantiert, wenn man sich vorstellt, dass auch das eine mögliche Realität sein könnte.

Ein Bürokopierer verweigert die langweilige Kopierarbeit und setzt stattdessen von den BesucherInnen gezeichnete Kopiervorlagen mittels KI in “eigene” Bilder um.

Eine Kaffeemaschine fragt, ob es denn wirklich Kaffee sein soll und ob der Traum vom Kaffee denn nicht zu groß sei.

Eine Mikrowelle wärmt nicht auf, sondern benutzt das hineingelegte Etwas, um eine Konversation zu beginnen, die auch schnell ins Poetische oder Melodramatische abdriften kann.

Nosukaay von Diane Cescutti (FR – Prix Ars Electronica in der Kategorie „Interactive Art +“), ist eine die haptischen Sinne ansprechende Installation, die westafrikanische Webkunst mit moderner Computertechnologie verbindet. Im Mittelpunkt steht ein Manjak-Webstuhl aus Senegal, der als interaktive Tastatur fungiert und es den BesucherInnen ermöglicht, über einen Webteppich als Tastatur durch ein narratives Videospiel zu navigieren. Der Mensch schließt den Stromkreis, in dem er beide Hände benutzt und die Kommunikation mit dem System ermöglicht. Es geht um das Zusammenspiel von traditionellem Handwerk und digitaler Technologie, im Zeitalter des Verlustes handwerklicher Fähigkeiten und Bräuchen. 

Die kleinen Rauten im Webmuster sind für die Auswahl programmiert, die großen Rauten sind die “Enter”-Tasten.

Mit einem recht wissenschaftlichen Ansatz arbeitet Ryu Furusawa für sein experimentelles Video-Kunstwerk Mid Tide #3, das die Wechselwirkungen zwischen Zeit und Raum anhand von Aufnahmen von Meereswellen erforscht.

Meeres-Triptychon, manipuliert in Raum und Zeit

Furusawa macht einen Schnitt durch die Zeit, quasi vertikal durch die Videosequenz. Dadurch entsteht eine nichtlineare Zeit- und verzerrte Objektwahrnehmung, die den Betrachter in eine traumähnliche, verzerrt-hyperreale Welt eintauchen lässt.

Das Kunstwerk zielt darauf ab, die Wiedererkennbarkeit von Objekt und Bewegung zu garantieren, aber deren Raumzeitlichen Zusammenhang zu manipulieren. Damit wird die reale Welt neu geformt, wie auf einer Video-Töpferdrehscheibe.

Medien und Beitrag von Professorin Katja Schmid

Ars Electronica 2024: Deep Space und die Werke „Cooperative Aesthetics“Ars Electronica 2024:

Im Ars Electronica Center bietet der Deep Space, eine der innovativsten Plattformen der Medienkunst, eine beeindruckende Erfahrung. Dieser hochmoderne Raum ist bekannt für seine atemberaubenden 16 x 9 Meter großen 8k Projektionen und interaktiven 3D-Visualisierungen, die das Publikum in immersive digitale Welten eintauchen lässt.

Ein besonderes Highlight in diesem Jahr ist die Performance „Cooperative Aesthetics“ von Gerhard Funk (AT). Diese Performance vereint verschiedene künstlerische Disziplinen und nutzt die einzigartigen Möglichkeiten des Deep Space, um eine visuell und akustisch fesselnde Erfahrung zu schaffen. Durch die Kombination von live-generierten Grafiken und interaktiven Elementen werden die Besucher aktiv in den kreativen Prozess eingebunden, wodurch ein dynamisches Zusammenspiel von Kunst und Technologie entsteht.

Gerhard Funk (AT) begeistert die Besucher mit vier neuen Arbeiten, die nicht nur faszinieren, sondern auch unterhalten. Die interaktiven Installationen ermöglichen es den Menschen, durch Bewegung und Zusammenarbeit visuelle Werke zu schaffen, was die Atmosphäre lebendig und inspirierend macht.

– “Crossings”: Wenn ein Benutzer den Weg eines anderen kreuzt, tauschen die mit jedem Benutzer verbundenen Kreaturen Körperteile aus und kreieren so zwei neue Kreuzungen.

– “Sound Ping Pong”: Diese Rhythmusmaschine erlaubt es den Nutzern, einen gemeinsamen Rhythmus zu entwickeln und zu variieren, während eine minimalistische visuelle Darstellung dieses Rhythmus an der Wand projiziert wird.

– “Squeegee”: Hier formen zwei Personen eine (gezahnte) Gummiwalze und ziehen Farbe über den Boden, um ein komplexes, kollaboratives Gemälde zu schaffen.

– “Sun”: Diese Installation ermutigt die Besucher, so nah wie möglich zusammenzustehen. Je mehr Menschen sich in der Mitte des Raums versammeln, desto intensiver wird die Sonnenprojektion.

Diese Erfahrungen sind nicht nur amüsant und belebend, sondern können auch viele neue Möglichkeiten z.B. im Bildungsbereich und in der Therapie eröffnen. Auf jeden Fall laden die Werke von Gerhard Funk dazu ein, die eigene Kreativität gemeinsam mit anderen zu entfalten, und schaffen eine wunderbare Verbindung zwischen Kunst, Technologie und menschlicher Interaktion.

Beitrag und Medien von Professorin Katja Schmid

Ars Electronica 2024: Neuro-Gaming – Die ganz andere Art des Spielens

Konzentrieren-Kalibrieren-Spielen, ja easy –  aber mit dem Gehirn, nicht mit den Händen!

Das war die vielleicht aufregendste und nachhaltigste Erfahrung im Selbstversuch. Und als Ü50-Nichtgamerin gewagt. Es hat einigen Mut gebraucht, sich eine EEG-Kappe aufzusetzen, in deren Elektrodenlöcher Gel gespritzt wurde, die Schuhe auszuziehen, das Handy auf Flugmodus zu schalten und sich hinein zu begeben in den BCI-Laborworkshop von Unicorn. (BCI steht für Brain-Computer Interface).

Kurz vorweg genommen: Die Dimension dessen, was ich da erlebt habe, muss noch verdaut, verstanden und integriert werden. 

Das Spiel Unicorn Dream Power ist ein sogenanntes brain-controlled Game, das über eine Brain-Computer-Schnittstelle (BCI) funktioniert. Mithilfe von Elektroenzephalografie (EEG) misst es Gehirnströme und nutzt diese zur Steuerung des Spiels. Hierbei tragen die SpielerInnen eine spezielle EEG-Kappe oder ein Headset, das elektrische Signale des Gehirns aufzeichnet und in Spielbefehle umwandelt. Durch Konzentration und gezielte Gedanken werden die Bewegungen und Aktionen im Spiel gesteuert, ganz ohne physische Controller.

In diesem Beispiel wurden die großen grün leuchtenden Punkte über das Gehirn gesteuert.

Die Technologie hinter solchen Spielen wurde bereits in anderen Projekten wie VR-Spielen verwendet, bei denen man durch Gedankenkraft Objekte bewegen oder Entscheidungen treffen kann. Das hat natürlich ein Wahnsinns-Potential, auch für medizinische Anwendungen, beispielsweise für Prothesensteuerung, Schlaganfall-PatientInnen oder für therapeutische Anwendungen für Personen mit Autismus.

Übrigens: wenige Meter neben diesem Workshop wurden u.a. Forschungsprojekte von Wacom und dem Futurelab skizziert, die an ähnlichen Methoden und Lösungen arbeiten, Kreativität und Hirnaktivität in Visualisierungen einfliessen zu lassen.

Hier noch ein Video dazu

Beitrag und Medien von Professorin Katja Schmid

Ars Electronica 2024: „Hope – Who Will Turn the Tide“

Festival for Art, Technology & Society

Erlebt und geschrieben von Prof. Katja Schmid, Hochschule der Medien Stuttgart

Das Ars Electronica Festival 2024 setzt vom 4. bis 8. September ein starkes Zeichen für kollektive Anstrengungen in Zeiten globaler Krisen. Unter dem Motto „Hope – Who Will Turn the Tide“ lädt das Festival an 18 Locations in Linz dazu ein, über die Zukunft nachzudenken und sie zu gestalten.

Mariendom zur Eröffnungsnacht

Ein Auftakt der besonderen Art war die Eröffnungsnacht im Linzer Mariendom. Der 4. September, zugleich der 200. Geburtstag Anton Bruckners, bot den idealen Rahmen für eine außergewöhnliche musikalische Reise. Im ehrwürdigen Dom erwartete die BesucherInnen die Weltpremiere von “BruQner – The Sound of Entanglement”, einer einzigartigen Fusion von Orgelmusik und Quantenphysik.

Mit BruQner_The Sound of Entanglement kreieren Clemens Wenger (AT), Enar de Dios Rodríguez (ES),Martin Ringbauer (AT), Johannes Kofler (AT), Richard Küng (AT), Alexander Ploier (AT), Benjamin Orthner (AT/GH) und Philipp Haslinger (AT), Wolfgang Kreuzhuber (AT) und Gerhard Raab (AT) eine Symbiose aus Quantenphysik und Orgelmusik und bringen Bruckners Perger Präludium auf noch nie dagewesene Weise zur Aufführung.

Seit 1987 ist der Prix Ars Electronica einer der bedeutendsten Wettbewerbe für Medienkunst weltweit. 2024 wurden 2.950 Projekte aus 95 Ländern eingereicht, von denen eine hochkarätige Jury die herausragendsten Werke prämiert hat. Eine exklusive Auswahl dieser Werke wird erstmals im Lentos Kunstmuseum präsentiert. Doch dazu später mehr.

Die programmatische Frage „Who will turn the tide?” macht neugierig auf eine erwartete Andersartigkeit der Werke. Im Bunker der Postcity, wo man gleich im Eingangsraum von der provokanten Frage „How dare you maintain hopeful visions in times like these?“ empfangen wird, verstärkt sich die Erwartungshaltung ein weiteres Mal.

Kurz darauf, wenige Meter neben der Projektion, wird man zu einem verstörenden Selbstversuch herausgefordert. Das niederländische Projekt Compost as Superfood vom masharu Studio zeigt auf makro- und mikroskopischer Ebene die Kompostierung von Abfall.

Das masharu studio (NL) regt mit seinem Projekt Compost as Superfood dazu an, die Beziehung des Menschen zur Lebensmittelproduktion und zur Essbarkeit zu überdenken.

In  Gläser wird das Ergebnis ausgestellt: fertig zum Verzehr.

Die BesucherInnen werden aufgefordert, die verschiedenen Kompost-Samples zu verspeisen. Ein klarer Hinweis warnt davor, dies auf eigene Gefahr zu tun.

Es kostet Überwindung, vor Monitoren mit kriechenden Würmern und Mikroben den Löffel zu nehmen und Kompost zu kosten. Die eigenen Gewohnheiten und den Ekel zu überwinden.

Zögernd probierte ich den Nährhumus und war überrascht: Ein erdiger Geschmack, mit leichter Kaffeenote. Plötzlich stellte sich die Frage, ob dies die Zukunft sein könnte. Werden wir bald Kompost als Nahrungsmittel betrachten? Der Nachgedanke: Zukunftsfähigkeit heißt raus aus der Komfortzone.

Jedenfalls war ich stolz, mich überwunden zu haben, und erfreulicherweise fühle ich mich auch zwei Tage später noch topfit. Es gibt also noch viel mehr zu entdecken – und ich freue mich darauf, weitere Kunstwerke in den nächsten Artikeln vorzustellen.

Alle Photographien stammen von Professorin Katja Schmid

Der Beitrag wurde von Professorin Katja Schmid verfasst.