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Spazio Punch- Out of Controll in Venice” von Egill Saebjörnsen

Auf der Insel Guidecca, ziemlich weit hinten, kurz vor dem Hilton Resort findet sich in den Hinterhöfen eines ehemaligen Fabrikgeländes versteckt der Isländische Pavillon. Der Künstler Egill Saebjörnsen bespielt 2 Hallenwände mit einer 15 minütigen Animation. Zwei Isländische Trolle Ūgh und Bõögâr verspeisen Biennale Besucher und reden klug über die mannigfaltige Menschenkost. 

Zum Künstler.

Egill Saebjörnsson lebt seit einigen Jahren sowohl in Berlin als auch in Reykjavik, Island. Der 45 Jährige wurde 1997 am Isländischen College of Arts und Crafts, heute Akademie der bildenden Künste, Island graduiert. Ein Jahr studierte er an der Universität Paris, St. Denis.

Abb. 01: Der Innenraum des Isländischen Pavillons wird auf zwei gegenüberliegenden Seiten von den Trollen Ūgh und Bõögâr bespielt. Photography@Ursula Drees mit freundlicher Erlaubnis des Künstlers

Er schreibt auf [1]seiner Website, es geht in seiner Kunst um die Verbindung mentaler und physikalischer Tatsachen. Mentale Tatsachen lassen sich nicht gut erklären. Was ist das? Was denkt der Mensch? Was geschieht? Wie geht ein Künstler mit diesen Fragen um? 

Egill Saebjörnsen erzählt die Geschichte der Trolle mit vielen Medien wie z.B. mit Animationen, Photografien, Illustrationen, Skulpturen, Zeichnungen, Geschichten, in Ausstellungen, Interviews, Social Media Kampagnen, durch Merchandzingartikel und Musik. Er erschafft eine Wirklichkeit. Das Kennenlernen beschreibt er in einem frohgemut illustrierten Buch. Er entwickelt eine ganze Reihe von Produkten, so wie es in der heutigen Gesellschaft üblich ist, wenn etwas Einzigartiges vermarktet wird.Musik, Kleidung, Eau de Toilette, Kunst. Auf dem Internet wird eine Croud Funding Campagne für den Duft gestartet, Music kann als LP gekauft oder downgeloadet werden, das Buch steht zum Verkauf, eine Social Media Site deckt mit Bildern und ergänzenden Geschichten die Reise der Trolle ab, Werbung im Radio und TV, im Pavillon direkt gibt es Nagellack, Einkaufsbeutel, selbstgetöpferte Kaffeetassen mit Untertassen oder Pappbecker mit den Trollen als Bild. All diese Dinge manifestieren die Exitenz der Trolle. 

Die Trolle werden mit Dingen und Ideen in der Wirklichkeit vertreten und das gipfelt in einem Pavillion auf der Biennale in Venedig. Dort schenkt der Künstler den Trollen ein Haus. Es ist eine Fabrikhalle, die dem Besucher einen Zugang zum Kopf der Trolle gibt. Wir sind uns einig, dass niemand einen Troll je sah, geschweige denn, hörte oder länger beobachtete. Die Trolle finden als Videoprojektionen ein Gesicht. Endlich sieht der Betrachter wie sie aussiehen, Hautfarbe, Gesichtszüge, mimisches Verhalten. Und er hört die Trolle sprechen und schmatzen und kauen. Die mentale Wirklichkeit wird durch Repräsentaten des Kommerzes und der Kunst zu einer physikalischen Tatsache.  

Was bewegt den Künstler Trollen ein Leben zu schenken?

Egill Saebjörnssonwird in einem Bericht mit dem [2]Guardian von Hannah Ellis-Petersen zitiert. „Er betrachte in seinem Leben Trolle als echte Figuren“ und erzählt, dass er und sein Bruder schon vor 30 Jahren in einer Vorstellungswelt Trolle willkommen hießen. Sie würden dies immer noch machen. Es ist eine Form der Realitätsflucht, kann vermutet werden, es ist vielleicht nur ein lange andauernder Tagtraum. Aber vor allem ist es Phantasie. Egill Saebjörnsson empfindet das Leben von Zeit zu Zeit anstrengend und einschränkend genug. Jeder hat seine Rolle zu spielen, muss sich anpassen und das kann mühselig sein. Ein bisschen Realitätsflucht durch Tagträume schadet nicht. Es ist ein Ausbruch, nicht mehr als ein Spiel und manchmal finden sich für Lebensherausforderungen Lösungen. So entwickelt er über Jahre eine Biographie für die Trolle. 

Die Geschichte der TrolleŪgh und Bõögâr, der Beginn.

Abb. 02: Buchcover von Egill Sæbjörnsson(2017): When Egill met the Trolls and took them to Venice, Argobooks.

Es ist ein konzeptgetriebenes Kunstereignis. So ist es verständlich, dass der Betrachter die zeitliche Entwicklung der Trolle nachliest und erforscht.  Es beginnt mit Egill Saebjörnsson´s Erzählung „When Egill met the Trolls and took them to Venice“. Wie ist es mit Trollen in Kontakt zu sein? Wie sind sie eigentlich, was bewegt sie? Sind sie gefährlich oder liebenswert? Wie sehen sie aus? Mit diesem Erfahrungsbericht beschreibt er seine Begegnung mit Ūgh und Bõögâr.

[3]Über Ūgh und Bõögâr, weiß die Öffentlichkeit wenig. Nicht mal ihr Alter oder Herkunft sind geklärt. Manche behaupten die Beiden wären aus Lava. Selbst der Künstler weiß nichts Genaues. Es gibt Gerüchte, sie seien vor langer Zeit ganz normale Menschen gewesen. Doch durch großes Leid, die zu Traumata wurden, zogen sie sich von allem zurück und wurden Trolle. Sie hausen in einer Höhle und benehmen sich außerordentlich schlecht. Wie ungezogene Kinder. Ihr Leben hat sich in den letzten 1000 Jahren nicht geändert. Sie rülpsen, furzen und fressen sich durch die Tage. Und eines Tages treffen sie auf Egill Saebjörnsen. Anfangs wollten sie ihn sofort fressen, aber da sie von ihrem Lebenswandel gelangweilt sind, entscheiden sie, ihn zu fragen, ob er ihr Freund werden wolle (um ihn später zu fressen). Sie hatten noch nie einen Freund. Bei den ersten Begegnungen redet Egill Saebjörnsen in ihren Ohren jede Menge dummes Zeug, aber als sie ihn in seinem Atelier besuchen, mögen sie, was er macht. Die ganze Sache mit Farbe, Kameras, etwas bauen, formen, zeichnen. Das wollen sie auch! Musik aufnehmen, Performances inszenieren, Interaktionen hervor rufen und probieren, was noch möglich ist. Ziemlich bald hat Egill Saebjörnsen keine Zeit mehr. Er geht den Trollen zur Hand, beaufsichtigt sie und hilft. Das Studio wird voller und voller: Video Installationen, Kunstwerke, Skulpturen, Malereien – was auch immer. Wohin nur mit den ganzen Arbeiten, der Platz wird knapp! 

Abb. 03 und 04: Illustrationen aus dem Buch “When Egill met the Trolls and took them to Venice” als Teil des Isländischen Biennale-Beitrages „Out of Controll in Venice“. Courtesy and copyright the artist and i8 Gallery

Mit der Zeit finden die Arbeiten von Ūgh und Bõögâr sein Gefallen. Die Beiden sind recht groß gewachsen, 36 Meter hoch, sie sprechen Trollisch, aber reden mit dem Künstler in einer Sprache, die dem Englischen sehr nahe kommt. Da stimmt weder Grammatik, noch die Rechtschreibung, die Worte und die Betonung. Aber es reicht, um sich verständlich zu machen. Ihr Temperament ist gewaltig. Immer wenn etwas fehlt oder nicht ganz in ihrem Sinne ist, werden sie ungeduldig, launig, manchmal weinen sie sogar. Sie sind außerdem eifersüchtig und folgen Egill auf Schritt und Tritt; beobachten ihn bei allen Handlungen: wenn er in die Stadt geht, schläft, spaziert, trinkt und isst. Und eines Tages finden sie heraus, dass er eine Ausstellung plant. Das wollen sie auch. Eine Ausstellung, ja! Egill erkennt unmittelbar, dass die Trolle nicht zu stoppen sind.

   
Abb. 05 und 06: Illustrationen aus dem Buch “When Egill met the Trolls and took them to Venice” als Teil des Isländischen Biennale-Beitrages „Out of Controll in Venice“. Courtesy and copyright the artist and i8 Gallery

Er zermartert sich den Kopf abends im Bett, nachts, morgens und eigentlich zu jeder Tageszeit wie er mit dem Wunsch der Trolle umgehen kann. Und nach einer Woche kommt ihm die Idee, dass Ūgh und Bõögâr an seiner Statt ausstellen mögen. Was nur würden sie zeigen? Egill sieht seine beiden Trollfreunde so aufgeregt wie nie zuvor. Es ist ihre erste Ausstellung. Man stelle sich das vor! Die Beiden arbeiten Tag und Nacht. Sie unterbrechen nur, um in den Lavabergen Touristen zu fressen. In diesem besagten Sommer kommen besonders viele nach Island, so zumindest berichtet das Touristenbüro. Und gleichzeitig steigt die Anzahl der „Lost and Dead People“. 

   
Abb. 07 und 08: Illustrationen aus dem Buch “When Egill met the Trolls and took them to Venice” als Teil des Isländischen Biennale-Beitrages „Out of Controll in Venice“. Courtesy and copyright the artist and i8 Gallery

Trolle sind alt und können sich in alles verwandeln: Lava Spalten, Vulkane, wuchtige Meereswellen, gefährliche Stürme, undurchdringliche Nebel…. Die Liste ist lang. Touristen verschwinden und kommen nicht wieder. Trolle können sich sogar in einen Hammer oder eine Milchkanne verwandeln. Sie sind TRANSFORMER, FORMWECHSLER. 


Abb. 09: Egill, Ūgh and Bõögâr. Photo: Achilleas Gatsopoulos . Courtesy and copyright the artist and i8 Gallery

Sie lernen in Kaffeehäusern zu sitzen, Espressos oder Mineralwasser zu trinken. Genau wie richtige Künstler. Das Mineralwasser läßt sie laut rülpsen und der Espresso löst Lachkrämpfe aus. Sie wollen MEHR und MEHR! Die meiste Zeit verbringen sie in Berlin und Island. Für Trolle ist Reisen eine einfache Angelegenheit, sie überqueren den Ozean mit nur zwei Schritten. 

Mit der Zeit nimmt die Ausstellung Form an und kurz vor der Eröffnung erfährt Egill, dass er Island auf der Biennale in Venedig 2017 vertreten dürfe. In den Trollen keimt Eifersucht auf und das bringt Egill in große Schwierigkeiten. Die Beiden wollten plötzlich zur Biennale. Es wird täglich schlimmer, sie weinen so viel, dass Egill nur noch mit Regenschirm in sein Studio gehen kann. Ihre Tränenbäche überschwemmen das Atelier. Sie sind außer Kontrolle. OUT OF CONTROLL. Ūgh’s riesige Warzennase wird kleiner und kleiner. Ūgh hat Angst, dass sie eines Tages abfällt. Das jedoch kann nur verhindert werden, wenn er in Venedig ausstellt. Zu guter Letzt überlässt Egill den Trollen die Biennale. Und wie aufgeregt sie sind!  Zu diesem Zeitpunkt bekommen die Isländischen Medien und Zeitungen Wind davon. Egill wird zu Sitcoms, Talkshows und in die Nachrichten eingeladen. Alle wollen wissen, was seine Trolle machen würden. Seine Antworten sind ausweichend, auch er hat keine Ahnung. Würden es Skulpturen, soziale Interaktion, Video, Malereien? Was nur lassen sich Ūgh und Bõögâr einfallen?

Trolle in Venedig.

Abb. 10: Der Isländische Pavillon empfängt Besucher im Cafe Photo@Instagramm-ristorantetheatro

Die Trolle reisen nach Venedig und mit ihnen Egill. Das Isländische Kunstzentrum berichtet, der SWR bringt einen Radiobeitrag, und auch das SWR Fernsehen läd ein. [4]art_das Kunstmagazin veröffentlicht ein Exklusivinterview mit den Trollen. Das kommt einer Sensation gleich! Die Kuratorin [5]Stefanie Böttcher, Direktorin der Kunsthalle Mainz kennt den Künstler seit einigen Jahren und auch die Trolle. Sie berichtet, dass Trolle zur Isländischen Kultur gehören. Sie existieren am Rande der Gesellschaft, finden keinen Platz, keinen Raum in der heutigen Zeit. Es gibt jedoch erstaunlich viele Trolle und es werden mehr. Allein jene, die im Internet ihr Unwesen treiben. Wieviele sind es? 

OUT OF CONTROLL(überall schmuggeln sich TROLLE ein). Die Trolle ganz real.

Eine Sensation: zwei Trolle auf der Biennale. Der Besucher betritt das ehemalige Fabrikgebäude auf der Insel Guidecca und steht er an einer Kaffeehaustheke in angenehmer Dunkelheit und rotem Licht. Für nur 60 Cent wird Kaffee aus Pappbechern mit dem gezeichneten Konterfei von Ūgh oder Bõögâr oder in Trolltassen, aus Ton getöpferten Pötten, jede anders und alle unperfekt, ausgeschenkt. Außerdem gibt es Trollnagellack, [6]Trollparfüm von dem Berliner Parfümier Geza Schön, Trollbadges, ein Trollbuch, Trollmusik, Troll T-Shirts, Trolljutetaschen und noch einiges mehr zukaufen. 

Abb. 11: Die Trolle kommen nach Venedig. Die Photographie wurde mit Handykamera im Isländischen Pavillon gemacht und ist Teil der Animation. Photo@Ursula Drees mit freundlicher Erlaubnis des Künstlers.

Auf hölzernen Stiegen geht es hinter dem Café hoch: Stockwerk eins, zwei und drei. Manchmal steht ein Plattenspieler in einer Ecke, Sitzmöglichkeiten aus Spanholz laden zum Sitzen ein und immer sind an den Wänden Aussparungen für den Kopf eingelassen. Einige sind unten für Kinder, andere höher für Erwachsene plaziert. Wer hindurch schaut, blickt in eine große Halle. Licht kommt von Projektionen. Meistens ist es ein Trollkopf mit langer, in den Raum greifender, warziger Nase. Dort wo der Besucherkopf ist, kann, wer auf die andere Seite geht, den anderen Troll in Augenschein nehmen, natürlich mit einer ebenso langen, krummen und wulstigen Nase. Sie unterhalten sich über ihre Interessen: schmatzen, rülpsen und fressen immer mal wieder Touristen. So bewegt sich der Besucher auf 3 Stockwerken durch den Kopf des Trolls.

Abb. 12: Die Trolle kommen nach Venedig. Die Photographie wurde mit Handykamera im Isländischen Pavillon gemacht und ist Teil der Animation. Photo@Ursula Drees mit freundlicher Erlaubnis des Künstlers.

[7]Es geht derb zu. Amerikaner haben einen hohen Zuckergehalt und das wiederum verursacht Blähungen. Ob diese gern gegessen werden oder nicht, geht in der Nuschelei unter. Übrigens hat der Künstler einen Soundtrack namens „Scram“ mit den Trollen aufgenommen. Unter https://soundcloud.com/user-52295592/12-scream-digital-masterkann ein Stück gehört werden, die Langspielplatte gibt es im Kaffee zu kaufen. Es ist ein wahrhaft beängstigendes Geschrei und trollwürdig. Auch sprechen sie über Sauerkraut, Tinder ist definitiv besser als Twitter. Sie verwandeln sich mit Face Warp in die Mona Lisa, Margret Thatcher oder Donald Trump. Mitgefühl zeigen Trolle nicht. Die Dunkelheit ist angenehm, nicht nur für die Trolle, auch für Besucher. Mit einem 15 minütigen Video / Projection Mapping werden die Gedanken der Trolle erzählt. 


Abb.13: Im Isländischen Pavillon verwandelt sich ein Troll Donald Trump. Photographie: David Levene für den Guardian

Die Kucklöcher erscheinen als Brandlöcher oder Warzen, sie sind außen geschwärzt und unregelmäßig auf der Wand verteilt. Große Nasen aus Pappmaschee ragen unförmig in die Halle hinein. Eine dieser Nasenaufbauten wird durch eine Säge geteilt. Ein eigentümliches Accessoire, vergleichbar mit einem Nasenpiercing, nur größer und archaisch, eben trollig. Die Nase des anderen Trolls kommt ohne Requisit aus. Auf den Hallenwänden sind vereinzelt Spiralen oder runde Formen als Halbrelief angebracht. Die flankierenden Seiten, Decke und Boden ohne Projektion weisen keine Bearbeitung auf. Animationen stellen eine Kombination aus photographischen und gezeichneten Stand- und Bewegbildern dar. Es wird die Geschichte der Trolle erzählt: Ankunft, Handeln, Gedanken, tollischer Zeitvertreib.

 
Abb. 14 und 15: Die Trolle kommen nach Venedig. Die Photographie wurde mit Handykamera im Isländischen Pavillon gemacht und ist Teil der Animation. Photo@Ursula Drees mit freundlicher Erlaubnis des Künstlers.

Wenn die Trolle in Venedig ankommen, so der Video, verdunkelt sich der Himmel, es regnet in langen schwarzen Schlieren, dann wird die Szenerie in ein kräftiges Rot getaucht. In diesem Bildern ragen die Anbauten, die sich später als Trollnasen entpuppen, noch unmotiviert aus der Wand heraus. Sie durchkreuzen die Animationen und so recht weiss der Betrachter noch nichts mit ihnen anzufangen. Gehören sie zu den schwarzen Schlieren? Oder sind es von oben abgehängte Riesen-Spagetti oder Trollsabber? Der Markusplatz, der Canale Grande mit venezianischen Prachtbauten am Ufer ziehen als zwei dimensionale Zeichnungen vorbei, wobei ab und an eine unförmige Hand, begleitet von der bekannten Trollnase und Trollkopf in Schwarz als Silhouette einen oder mehrere Touristen aus dem Leben ziehen und frühstücken. Es ist eine Fingermalästethik, eher unförmig, grob, auf das Wesentliche beschränkt. So malen Trolle. Auf dem Markusplatz werden die Touristen aus Kaffeehausstühlen direkt in den Schlund befördert. Dort lodert ein wildes animiertes Feuer. Die Trolle sind OUT OF CONTROLL.

   
Abb. 16 und 17: Die Trolle kommen nach Venedig. Die Photographie wurde mit Handykamera im Isländischen Pavillon gemacht und ist Teil der Animation. Photo@Ursula Drees mit freundlicher Erlaubnis des Künstlers.

Die Trolle zeigen sich höchstpersönlich. Einer ist Blau, der andere Grün. Trollaugen liegen unter dicken buschigen, bösartig nach oben gezogenen Augenbrauen, eine monströse Nase schließt sich an. Sie ist so riesig, sie ragt in den Raum hinein. Der menschliche Mund befindet sich schräg versetzt im Gesicht, nah an der Hallentür. Dort kommen vereinzelt Besucher hinein und heraus. Immer eine gute Gelegenheit sie zu schnappen und zu verspeisen. Videos werden in das Standbild montiert. Die Lippen sind schwarz und der geöffnete Mund legt Vampir ähnliche Eckzähne in einer schwarzen Mundhöhle frei. Und dann geht es direkt in das Innere eines Trollmagens. Rote Hackfleischblasen, Shrips, glänzende Leber vereinen sich zu einer Innereien-Masse und ergeben ein wunderbar abstoßendes, rotes Geblubber. Der Magen ist riesig, denn die Projektion wird auf die Bodenfläche erweitert. Beide Trollmägen vereinen sich zu einer großen, roten, glitschigen Masse.

Erneut ändert sich die Animation. Erst auf einem weißen, dann gelben und schlussendlich auf einem ultramarinblauen Hintergrund tanzen grafische Zeichen wie beispielsweise Miniaturtrolle, Hashtags, Buchstaben, kleine Sägen und abgeschnittenen Warzennasen in Stufenform über die Wandfläche. Ob das ein Verdauungsvorgang ist? Möglich ist es, denn die Bildserie endet in einem schwarzen Tunnel. Was das zu bedeuten hat, kann der Besucher auch ohne schriftliche Erklärung erraten. 

 
Abb. 18 und 19: Die Trolle kommen nach Venedig. Die Photographie wurde mit Handykamera im Isländischen Pavillon gemacht und ist Teil der Animation. Photo@Ursula Drees mit freundlicher Erlaubnis des Künstlers.

Die Handschrift der Animationen ist denen von Trollen würdig. So zumindest stellt sich Egill Saebjörnsson die künstlerischen Fertigkeiten seiner Freunde in den Bereichen Zeichnung, Illustration, Animation, Montage, Schnitt und Audio vor. Es ist ein wenig von allem, die Stile wechseln ohne Rücksicht auf Anmutung, die Farben sind saturiert, Farb an sich Kontraste, Hell und Dunkel Kontraste: alles ist miteinander vermengt. Feingliedrigkeit kann von Trollen nicht erwartet werden, sie sind ursprünglich, arbeiten wie Kinder. Trolle gehen nicht auf Kunstakademien. Trolle haben tiefe Stimmen, nuscheln und sind schwer verständlich. 

 
Abb. 20 und 21: Die Trolle kommen nach Venedig. Die Photographie wurde mit Handykamera im Isländischen Pavillon gemacht und ist Teil der Animation. Photo@Ursula Drees mit freundlicher Erlaubnis des Künstlers.

Die Bild- und Audiowelten sind phantasievoll, kindlich und vielleicht naiv zu nennen, die Farb- und Formvielfalt wirkt erheiternd und leichtfüßig. 

  
Abb. 22 und 23: Die Trolle kommen nach Venedig. Die Photographie wurde mit Handykamera im Isländischen Pavillon gemacht und ist Teil der Animation. Photo@Ursula Drees mit freundlicher Erlaubnis des Künstlers.

Die Botschaft.

Egill Saebjörnsen projiziert Gedankengut auf Objekte der Realität und lässt sie zur Einheit werden. Menschen werfen in einem steten Gedankenfluß Ideen auf die Welt, ebenso wie die Welt durch Sinne erfahren wird. Mit Humor und Phantasie erzählt Egill Saebjörnsson über mentale Tatsachen und entwickelt Geschichten. Er zeichnet, malt, projiziert, installiert, arrangiert, inszeniert, performed und benutzt die bekannten verfügbaren medialen Kanäle als Leinwand. 

[8]“Art is an independent species evolving together with humans”, so Egil. Kunst ist etwas Eigenständiges. Sie besitzt die Kraft den Künstler, den Menschen zu formen und umgekehrt. Es ist ein wechselseitiger Vorgang, Ursache ist gleichzeitig Wirkung und umgekehrt. In seinen Worten ist Kunst vergleichbar mit einem Wolfshund, der sich aus seinem Rudel löst, um über das Leben hinaus zu wachsen, wenn er sich den Menschen anschließt. [9]Der Künstler erkennt Strömungen und Neuheiten der Gesellschaft, des Denkens, Handelns, des Daseins und bildet sie zu einem Grad ab, dass sie einerseits das gesellschaftliche Augenmerk erringen und gleichzeitig in einer Weise verschlüsseln, dass die Botschaft nur in Teilen gelesen wird und sich so eine Faszination des Unerklärlichen erhält. Die Kunst ist jener Hund, der sein Wolfsrudel verlässt. Er bleibt Tier, aber eines, das dem Menschen bei Jagd und Leben beisteht. 

Das Bild des Hundes steht für seine Geschichten. Anfangs sind es Hirngespinste aus der Vorstellungswelt, sie werden jedoch über Jahre mit einer Entschlossenheit verfolgt und ausgearbeitet, dass sie durch die Menge der entstandenen Artefakte an Glaubwürdigkeit gewinnen. Es ist eine mentale Glaubwürdigkeit. 

Sie ist in der isländischen Natur verwurzelt. Island hoch im Norden, eine Insel knapp südlich des nördlichen Polarkreises. Es ist eine Vulkaninsel und ungefähr genauso weit von Grönland wie von Schottland oder Norwegen entfernt. Portugal, Jordanien oder Irland im Verbund mit Nordirland sind ähnlich groß. Es leben gut 340.000 Einwohner in Island und davon fast Zweidrittel im Großraum der Hauptstadt Reykjavik. In dieser Abgeschiedenheit und Isolation bedingt durch die geografische Verortung, können Mythen und Legenden gepflegt und erhalten werden. Elfen, Trolle, Zwerge und andere geheimnisvolle Wesen leben nicht nur in Stadt- und Straßennamen weiter, sie befinden sich in einer friedlichen Koexistenz mit Göttergeschichten und Religion. Zwar glauben die meisten Isländer nicht an die Wesen der verborgenen Welt, aber es ist Teil der Kultur. So verwundert es nicht, dass die zwei Isländischen Trolle Ūgh und Bõögâr einen Weg zur Kunst gefunden haben. 

Wer beobachtet wen, wer frisst wen? Wird der Besucher gefressen, fressen die Besucher die Kunst und damit auch die Trolle? Die Trolle leben nicht nur im Pavillon, ihre Schritte und Handlungen werden mit einer Social Media Kampagne begleitet. [10]Sie sind überall in Venedig. Am Markusplatz hinter dem Campanile ragt die Riesennase auf  Höhe des Turms in ein Foto, sie tauchen aus dem Kanalwasser auf, sie sind an allen möglichen Orten. Diese Trolle sind Anarchisten, sie bewegen etwas, bringen zum Lachen, auch wenn zu guter Letzt die Menschen zu Futter werden. 

Sollten sich Menschen nicht ein Beispiel nehmen? Ein Troll hat nichts zu sagen, verdient kein Geld, zahlt keine Steuern, macht keinen Sozialdienst, meldet sich nicht beim Arbeitsamt oder Einwohnermeldeamt, tut nichts für ein Bruttosozialprodukt und hat keine Lebensberechtigung. So was sollte untergehen oder zumindest aus dem öffentlichen Leben entfernt werden. Konsumgesellschaften messen Leistungen mit dem Maßstab des wirtschaftlichen Wachstums. Dort werden unablässig Wünsche und Sehnsüchte geweckt. 

Trolle scheinen ganz wild auf Bedürfnisbefriedigung zu sein, sie passen in die heutige konsumgetriebene Zeit. Diese anarchischen Wesen sind im Internet als gefährliche Trolle bekannt. Wirbeln auf und machen festgefahrene Strukturen unsicher. Was der Troll kann, können Arbeitslose, Obdachlose, Schwache, Alte, Kranke, Kinder und Desillusionierte. Was Trolle können, können die Ausgeschlossenen, die am Rande der Gesellschaft stehenden. Warum nicht etwas aus dem Gleichgewicht bringen, umwerfen, neu denken: „OUT OF CONTROLL“ zu sein. Die Trolle haben das begriffen und den Ort gefunden, wo sie das machen können. In der Kunst. 

Im Namen von Egill Saebjörnsson sind Trolle aus Island nach Berlin und dann nach Venedig gekommen. Trolle sind überall. Sie verstecken sich nicht, sie wandeln beliebig ihre Form, sie können unsichtbar sein, sie überziehen Venedig und das Internet mit ihren Hinterlassenschaften, bleiben sich bei all dem treu, trollig eben. 

Ps. Die Autorin hat im Zuge der Bildrechteklärung den Künstler Egill Saebjörnsson geschrieben und die Trolle grüssen lassen. Die Antwort ist bezeichnend: „Thank you Ursula, I read the text for Ugh & Boogar but they left after 5 mins. They have absolutly NO attention span. It’s really a problem and I have been fighting it for years. They have not really improved. It’s like trying to teach a dog to speak and say “Hello, my name is Rover”. 

Abbildungsverzeichnis: 

Abb. 01: Der Innenraum des Isländischen Pavillons wird auf zwei gegenüber liegenden Seiten von den Trollen Ūgh und Bõögâr .bespielt. Photography@Ursula Drees

Abb. 02: Buchcover von Egill Sæbjörnsson(2017): When Egill met the Trolls and took them to Venice, Argobooks.

Abb. 03 bis Abb.: 08: von Egill Sæbjörnsson(2017): When Egill met the Trolls and took them to Venice, Argobooks. Illustrationen aus dem Buch “When Egill met the Trolls and took them to Venice” als Teil des isländischen Biennale-Beitrages „Out of Controll in Venice“. 

Abb. 09: Egill, Ūgh and Bõögâr. Photo: Achilleas Gatsopoulos . Courtesy and copyright the artist and i8 Gallery; https://icelandicartcenter.is/projects/venice-biennale/egill-saebjornsson/(13.12.2017)

Abb. 10: Der Isländische Pavillon empfängt Besucher im Cafe Photo@Instagramm-ristorantetheatro

Abb. 11 – Abb.: 13: Die Trolle kommen nach Venedig. Die Photographie wurde mit Handykamera im Isländischen Pavillon gemacht und ist Teil der Animation. Photo@Ursula Drees mit freundlicher Erlaubnis des Künstlers.

Abb. 14: Donald Trump als Troll im Isländischen Pavillon. Photograph: David Levene für den Guardian

Abb. 15 bis Abb. 23: Die Trolle kommen nach Venedig. Die Photographie wurde mit Handykamera im Isländischen Pavillon gemacht und ist Teil der Animation. Photo@Ursula Drees mit freundlicher Erlaubnis des Künstlers.

Quellen: 

Theodor W. Adorno, Noten zur Literatur, Gesammelte Schriften in 20 Bänden, Band 11, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main: 1984

Universie in Universe, Welten der Kunst von Pat Binder & Dr. Gerhard Haupt GbR, https://universes.art/de/about/

https://www.swrfernsehen.de/die-kunst-ist-los/-/id=100902/did=18826566/nid=100902/19am9t9/index.html(13.10.2017)
https://www.swr.de/swr2/kultur-info/kunst-biennale-venedig-islaendischer-pavillon-stefanie-boettcher/-/id=9597116/did=19527684/nid=9597116/5mpb8h/index.html(13.12.2017)

[1]http://egills.de(21.12.2017)

[2]Dieser Beitrag wurde zur Biennale in Venedig am 12. Mai https://www.theguardian.com/artanddesign/2017/may/12/biennale-trump-trolls-discuss-eating-their-venice-audience-egill-sbjornsson(23.12.2017)

[3]Ein Auszug aus der Geschichte „Wehen Egill met the Trolls and took them to Venice“ online unter http://icelandicartcenter.is/wp-content/uploads/2017/01/UghandBoogar1.pdf

[4]Das Interview mit den Trollen , mit Stefanie Böttcher, der Kuratorin und dem Autor Gunnar Lützow von art_kunstmagazin in voller Länge nachzulesen unter:  http://www.art-magazin.de/kunst/19833-rtkl-exklusiv-interview-mit-island-trollen-primitiv-nicht-immer-gut(20171215)

[5]Stefanie Böttcher kuratiert die Länderpavillons von Deutschland, Aserbeidschan und Island auf der Biennale in Venedig 2017. Sie ist Leiterin der Kunsthalle Mainz. 

[6]Es wurde eine Crowd Funding Aktion gestartet, sie ist erfolgreich beendet und erbrachte 10.727 €. Geza Schön der Berliner Parfümier hat mit den Trollen gemeinsam den Duft entwickelt. Vorsicht es stinkt nicht wie Trolle es sich wünschen, aber es beinhaltet jede Menge Magnetismus. Auf der 57igsten Biennale in Venedig wurde es verkauft. In einem auf vimeo veröffentlichen Video werden die Bestandteile des Parfums namens Noise enthüllt. Hinein kommen: Menschengruppen, Krokodile, die Mona Lisa von Leonardo da Vinci, ein Cello mit Tasche und rotem Kreuz, ein Bild von Jackson Pollock und Schrauben.  https://vimeo.com/209925161(13.12.2017)

[7]SWR2 Reporterin Susanne Kaufmann berichtet in einem Radiobeitrag am 11.05.2017 über den Isländischen Pavillon. https://www.swr.de/swr2/kultur-info/kunst-biennale-venedig-islaendischer-pavillon-stefanie-boettcher/-/id=9597116/did=19527684/nid=9597116/5mpb8h/index.html(13.12.2017)

[8]“Art is like the dog that evolved from wolves when wolves started to walk with humans.” Egill Saebjörnsson in einem Beitrag des Icelandic Art Centers vom April 2017. https://icelandicartcenter.is/projects/venice-biennale/egill-saebjornsson/

[9]„Die Kunst ist der Statthalter der Utopie“ Theodor W. Adorno. Auch Walter Benjamin und Max Frisch. Adorno verwendet das Bild des Künstlers als Statthalters in einem Vortrag über Paul Valéry mit dem Titel: „Der Artist als Statthalter“. Theodor w. Adorno, Noten zur Literatur I, S. 175 (Erdruck 1953), GS 11, S. 114

[10]Stefanie Böttcher in einem 4:53 langen Film, ausgestrahlt um 18:45 Uhr im SWT Fernsehen RP, Stand: 14.1.2017, 19.17 Uhr Quelle: https://www.swrfernsehen.de/die-kunst-ist-los/-/id=100902/did=18826566/nid=100902/19am9t9/index.html(13.10.2017)

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