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Venedig Biennale 2017: Pavillon Süd Korea: Cody Choi und Lee Wan

photo by the artist. courtesy of the artist.

Zwei Künstler teilen sich die Ausstellungsfläche des Pavillons auf der Biennale. Das Gebäude wird zu einer Galerie. Manchmal werden Innenräume zu Erlebnisräumen, immer dann wenn auch der Umraum mitgestaltet wird. In diesem Jahr werden unabhängige Werke auf die Fläche verteilt gezeigt. Jedes steht für sich, sie finden thematisch eine Gemeinsamkeit, gestalterisch sind sie unterschiedlich.

„Venetian Rhapsody“ des Konzept-Künstlers Cody Choi: Las Vegas

The exterior of the Korea Pavilion in the Giardini, with CODY CHOI’s neon signage piece Venetian Rhapsody (2017) on the roof. All photos by HG Masters for ArtAsiaPacific.

Der Eingang zum Süd Koreanische Pavillon wird zum Neon Billboard. Es ist eine Kombination aus Amerikanischen Lichtschriftzeichen wie „Holiday Hotel, Motel“, Terminanschläge und auch Zeichen der Koreanischen Kultur wie Tiger, Drachen, Pfau. Sie vermengen sich zu einem hell leuchtenden Entré. Etwas zu viel von allem: Farben, Formen, Auslegung, Schriften, Zeichensprache überschneiden, unterscheiden, überdecken einander. Es sind Signifikanten die noch in den USA Midwest in dieser Form zu sehen sind, sie sind selbst älter und zitieren die 70iger, 80iger Jahre des letzten Jahrhunderts. Das Werk kreischt. Es geht dem Künstler Cody Choi mit “Venetian Rhapsody” um die Zur Schau Stellung des Identitätsverlusts seiner koreanischen Kultur und Werte im Zuge der Globalisierung. Und scheinbar bricht die Popkultur der Amerikaner am stärksten ein. So wie in vielen Ländern. Aus europäischen Augen betrachtet ist diese Kulturkritik berechtigt. Softdrinks, Fast Food, Hollywood, CNN, Mobilität sind die Stichworte. Die Gesellschaft wird dicker, verblödet durch ziemlich dämliche Feature Filme, wo es nur um Special Effects geht und am Ende alles in die Luft gesprengt wird, wo sich Sprache auf Schimpfworte und Kraftausdrücke reduzieren lässt, wo mit Überzeugungen und nicht Wissen geredet und gedacht wird, wo Berichterstattung zum Spektakel zelebriert wird und die Menschen überall sind nur nicht bei sich oder zu Hause.

Eine andere Installation von Cody Choi zitiert den Denker von Auguste Rodin. Der muskulöse Ringer und Preisboxer Jean Baud, viel und gerne im Rotlichtmilieu unterwegs, stand Rodin zwischen 1880 und 1882 Pate. Darstellen soll es Dante Alighieri, den Verfasser der göttlichen Komödie. Es ist eine Jahrhundertskulptur, tausendfach nachgeahmt und kopiert, vergrößert und mit anderem Material, kaum Menschen, die es nicht kennen. Cody Choi macht sie mit Toilettenpapier und Pepto-Bismol, einem pink farbigen Medikament gegen Magenverstimmungen und Durchfall nach.

Photo Ursula Drees

Es ist ein grobes Werk aber der Denker mit der unvergleichlich wieder erkennbaren Pose ist unmittelbar erkennbar. Diese Skulptur steht auf einem geweißten Holzkasten, wie sie für Schiffsversendungen eingesetzt werden. Er ist an einer Seite ausgefräst. Die Form lässt ein Hineinquetschen des unteren Rückens zu, es ist ein Plumpsklo. Die erzwungene Pose ähnelt die es Denkers. Der Künstler demonstriert es einer Performance. Unten der Mensch, oben die Skulptur. Die wiederum die Pose grob imitiert. ES ist unfertig, fast wie eine Verletzung. Der Denker, denkt er gar nicht? Ist er auf dem Klo und hinterlässt Fäkalien? Die westliche Philosophie wird auf den Prüfstein gelegt und in einen lächerlichen Kontext gestellt. Hier stellt sich dem Europäer die Frage, wie das geschehen kann und konnte. Natürlich ist die Skulptur witzig, aber ist es gerechtfertigt ist, die Hochkultur so zu verballhornen? Und dann auch noch mit einem typischen Amerikanischen Magen- und Verdauungsmedikament zu verbinden? Ist denn Europa bereits ein Abklatsch der Amerikanischen Kultur geworden? Wird in Südkorea Europa so verstanden? Als eine Suppe? Wo es ein leichtes ist, den Denker von Rodin auf ein Performance gerechtes Klo zu stellen?

Photo Ursula Drees

Ist der Künstler in die Entstehungsgeschichte dieser Skulptur gegangen? Hat er amüsiert festgestellt, dass die männliche Figur alles andere war, nur kein Denker? Und dann auch noch Dante Alighieri, diesen 1265 geborenen Florentiner, mager mit scharfer Hakennase und klaren Verstand darstellen soll? Ist ihm bewusst, dass Rodin diese Skulptur immer und immer wieder geformt hat, sich regelrecht daran abgearbeitet hat? Dass Rodin einen inneren Kampf mit der Göttlichen Komödie ausfocht? Diesem Jahrhundertwerk? Diese Fragen bleiben unbeantwortet. Der Betrachter kann unbedarft lachen und weiter gehen oder nicht. Als Europäer kommt ein wenig Empörung hoch, und das ist wiederum ein kurzes Innehalten wert, denn die Kritik an der Amerikanischen Kulturvermittlung im Eingang lässt uns kalt. Aber der Denker? So ist es wenn mit einem Mal persönlich betrachtet wird. Die Kritik sitzt.

Im Innenraum wird „Proper Time: Though the Dreams Revolve with the Moon” von Lee Wan durch einen schmalen Eingang betreten. Dann eröffnet sich die Welt der Uhren. Es sind 668, vom Model her die gleichen Wanduhren. Auf jeder Uhr ist ein Name, ein Geburtsdatum, eine Nationalität und ein Beruf vermerkt. Der Künstler Lee Wan hat diese Menschen getroffen, mit Ihnen über ihre Lebenssituation gesprochen. Es ist eine Studie, subjektiv in der Festlegung der Kriterien, und so ein künstlerischer Ausdruck eines Überblicks der Menschen, ihrer ökonomischen Situation und ihres Lebens.

Photo Ursula Drees

Die Uhren ticken mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, je nachdem wie lange ein Mensch für eine Mahlzeit arbeiten muss. Es sind abstrakte Portraits. Und sie zeigen wie unterschiedlich Menschen in der heutigen Welt leben. Die einen brauchen gar nicht für ihre Mahlzeit arbeiten, andere verschwenden überschaubare Zeit für die Finanzierung, andere viele Stunden, manche Tage. Der Raum ist weiß, Die Uhren eng aneinandergereiht aufgehängt, von der Decke bis zum Boden. Kein Ticken, wohl temperiertes weißes Licht, neutral, beruhigend, unaufdringlich, fast dekorativ.

 

 

 

Photo Ursula Drees

In der Mitte eine schwarze Büste „For a Better Tomorrow“. Mutter, Vater, Kind, im Dreiklang vereint, harmonisch, nur sind die Gesichter herausgeschnitten. Die Metapher, ziemlich gradlinig der gesichtslosen Gesellschaft. Es ist viel Plastik, die Gießkanten sind sichtbar. Die Skulptur fußt auf nordkoreanischen Propagandabildern. Oder solchen aus Nazideutschland oder den USA im 2. Weltkrieg. Zwei dimensional, Kriegergestalten, idealisierte Menschen im Kampf gegen….. wen auch immer.

photo by the artist. courtesy of the artist.

Die Mutter weist mit dem Arm in die Zukunft und auch ohne Gesichter zeigt die Pose das Idealisierte einer Familie im Staat. So wird die Familie für politische Missionen missbraucht. Der Mensch als Politwerkzeug instrumentalisiert. Keiner fragt sich nach der Herkunft, nach Gedanken und Gefühlen dieser Menschen. Sie leben nicht, sie stellen dar aber sind gesichtslos.

 

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